Weihnachtslieder mit unterschiedlichen Charakteren

Was wäre Weihnachten ohne Musik? Es wäre wie ein Festessen ohne Gewürz. Wie bei kulinarischen Vorlieben scheiden sich die Geister auch bei Weihnachtsliedern. Gott sei Dank gibt es ganz unterschiedliche Lieder, die je nach Typ oder Lebenssituation zum grossen Fest passen. forumKirche testet den Charakter bekannter Weihnachtslieder und beschreibt ihre Geschichte. 

Anrührend
Ein Lied, das bei einer Hitparade wohl ganz oben landen würde, ist «Stille Nacht, heilige Nacht». Es ist weltweit eines der bekanntesten Weihnachtslieder, wurde in über 320 Sprachen und Dialekte übersetzt und 2011 von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe in Österreich anerkannt. 
Es ist Nacht, die Menschen schlafen, nur ein junges Paar ist noch wach und kümmert sich um sein Neugeborenes. Dieses starke Bild in Verbindung mit einer getragenen Melodie vermag Herzen anzusprechen, öffnet die Tür zu den eigenen Sehnsüchten. Das mag ein Grund für die Popularität dieses Liedes sein. Die Melodie erinnert an eine Pastorale, eine instrumentale Hirtenmusik der Barockzeit. Mit ihrem langsam schwingenden 6/8-Takt wird sie zu einem Wiegenlied für das Kind in der Krippe. Die punktierte Achtelnote am Anfang jedes Taktes wirkt wie das Anstossen des Bettchens.
Den Text des Liedes dichtete der Priester Joseph Mohr. Er bat den Dorfschullehrer und Organisten Franz X. Gruber, die Melodie dazu zu komponieren. An Heiligabend 1818 sangen die beiden das Lied «Stille Nacht» erstmals in der Schifferkirche St. Nikola in Oberndorf bei Salzburg. Mohr spielte dazu Gitarre und sang die erste Stimme, Gruber die zweite. Grössere Aufmerksamkeit erhielt das Weihnachtslied 1831 in Leipzig, als es von den Geschwistern Strasser an ihrem Verkaufsstand auf dem Weihnachtsmarkt gesungen wurde. Die Geschwister reisten schliesslich als Gesangsgruppe durch ganz Deutschland und machten das Lied damit bekannt. So erreichte es auch Berlin, wo es zum Lieblingslied von König Friedrich Wilhelm IV. wurde.

Melancholisch
Eine etwas trostlose, fast bedrückte Stimmung verbreitet das Lied «Maria durch ein Dornwald ging». Diese wird durch eine archaisch klingende Melodie in der alten dorischen Kirchentonart hervorgerufen, die an das moderne Moll erinnert. Zudem lässt die schlichte, reimlose Sprache, die um Worte wie «kein Laub», «Dornen», «ohne Schmerzen» kreist, viel Raum für eigene dunkle Bilder und Empfindungen. Erst mit der dritten der sieben Strophen scheint Hoffnung auf: Durch den Vorübergang des kindlichen Erlösers brechen aus den dürren Dornen Rosen hervor. Die Feststellung, dass Maria ein kleines Kindlein «unter ihrem Herzen» trug, erinnert an das adventliche Evangelium vom Besuch der schwangeren Maria bei Elisabeth (Lk 1,39–56). 
Die Einfachheit von Melodie und Sprache geben dem Lied einen altertümlichen Anstrich. Doch das täuscht. «Maria durch ein Dornwald ging» taucht erstmals in einer 1850 erschienenen Sammlung auf, die «Geistliche Volkslieder» aus «mündlicher Tradition und seltenen Gesangbüchern» vereint, und war ursprünglich auch kein Adventslied. Vermutlich diente es als Wallfahrtslied, das sich vom thüringischen Eichsfeld aus im Bistum Paderborn (D) verbreitete. Richtig bekannt wurde das Lied durch die Aufnahme der ersten drei Strophen in den «Zupfgeigenhansl», dem Liederbuch der Wandervogel-Bewegung. Dieser Bewegung gehörten junge Menschen an, die das Einfache und Ursprüngliche suchten. Über die katholische Quickborn-Bewegung fand das Lied Ende des 20. Jahrhunderts schliesslich als Adventslied Eingang in die deutschsprachigen Kirchengesangbücher. 

Kindlich
Auch wenn «Ihr Kinderlein, kommet» vor allem für Kinder geschrieben wurde, spricht es mit seiner einfachen, anschaulichen Sprache und mit seiner eingängigen Melodie durchaus auch Erwachsene an. Dies mag der Grund dafür sein, dass es auch in manchen deutschsprachigen Kirchengesangbüchern zu finden ist. Nachdem man in den ersten beiden Strophen als Singende*r zur lukanischen Szene – nach Bethlehem zum Stall – geführt worden ist, entfaltet sich in der dritten Strophe die ganze weihnachtliche Botschaft: Das Kind liegt neben seinen glücklichen Eltern «auf Heu und auf Stroh», die Hirten beten es an und die Engel jubilieren über dem Stall. Getragen wird diese freudige Botschaft von einer beschwingt wiegenden Melodie.
1798 verfasste der Pfarrer Christoph von Schmid, der es als seine pädagogische Berufung ansah, Glaubensinhalte in einer für Kinder verständlichen Sprache auszudrücken, das achtstrophige Weihnachtsgedicht «Die Kinder bey der Krippe». Die erste Vertonung dieses Gedichtes ist 1825 erschienen. Es folgten zahlreiche andere. Bekannt wurde «Ihr Kinderlein kommet» aber mit einer Melodie, die schon vor dem Text existierte. Der Lüneburger Johann A. P. Schulz, Hofkapellmeister am dänischen Königshof, hatte diese Melodie bereits 1794 zu dem Frühlingsgedicht «Wie reizend, wie wonnig ist alles umher» komponiert. Der Organist Friedrich Hermann vereinigte dann Schmids Gedicht mit der Melodie, die er im Nachlass von Schulz gefunden hatte, und führte «Ihr Kinderlein, kommet» erstmals an Weihnachten 1829 in Gütersloh auf. Die Veröffentlichung des Liedes wurde ein Bestseller. 

Anspruchsvoll
«Es ist ein Ros entsprungen» stammt aus dem 16. Jahrhundert. In kunstvollem Strophenbau, der in den beiden ersten Strophen acht Mal den Vokal a enthält, entfaltet der Textbeginn ein Rätsel: Ein Ros (Reis) bringt mitten im Winter ein Blümlein hervor. In der zweiten Strophe – beginnend mit «Das Röslein, das ich meine» – wird das Rätsel aufgelöst: Das Reis ist Maria, das Blümlein Christus. Diese Symbolik bezieht sich auf Jes 11,1a: «Doch aus dem Baumstumpf Isais/Jesses wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht.» Die Kirchenväter bezogen diesen Satz einerseits auf Maria, die «virgo» (Jungfrau) und «virga» (Reis) zugleich ist, andererseits auch auf Christus. Denn dieser stammt aus dem Geschlecht Davids (Baumstumpf Isais/Jesses). 
Der Komponist ist unbekannt. Die einfache, ruhig wirkende Melodie findet sich zum ersten Mal im Speyerer Gesangbuch, das 1599 in Köln gedruckt wurde. 1609 hat der protestantische Komponist Michael Praetorius einen vierstimmigen Chorsatz daraus gemacht und dem Lied auch musikalisch eine gewisse Komplexität gegeben. Ebenso hat er die zweite Strophe umgeschrieben: Diese fokussiert auf Christus, ohne Mariens Reinheit (Jungfräulichkeit), die in der katholischen zweiten Strophe hervorgehoben wird, in Zweifel zu ziehen. Heute wird das Lied meist mit einer dritten Strophe gesungen: «Das Blümelein so kleine», die der deutsche lutherische Pfarrer Friedrich Layriz 1844 gedichtet hat.

Mundartlich
Im Gegensatz dazu geht das ein- oder zweistimmige Mundartlied «Das isch de Schtärn vo Bethlehem» direkt ins Herz. Der Text verweist auf die Geburt Christi. Er fordert in seiner Schlichtheit nicht nur auf, die Krippe mit dem Jesuskind zu besuchen, wobei der Stern als Wegweiser dient, sondern Jesus im Leben nachzufolgen – und darüber hinaus in die Ewigkeit. Das Lied gilt als religiöses Volkslied und ist ins Kirchengesangbuch der evangelisch-reformierten Kirche der deutschsprachigen Schweiz aufgenommen worden (RG 426). Es findet sich auch im Liederbuch der Aktion Sternsingen.
Text und Melodie stammen aus der Feder des Schweizer Komponisten Paul Burkhard. Als er 1959 nach Zell zog – ein kleines Dorf in der Nähe von Winterthur –, wurde er angefragt, ob er für die Zeller Kinder ein Weihnachtsspiel schreiben könne. So wurde 1960 in der Dorfkirche von Zell «D Zäller Wiehnacht» uraufgeführt. Es ist ein Krippen- und Singspiel mit acht Liedern, die Burkhard geschrieben und komponiert hat. «Das isch de Schtärn vo Bethlehem» ist das erste Lied des Singspiels, und damit endet es auch. «D Zäller Wiehnacht» wurde in ungefähr 20 Sprachen übersetzt.

Poppig
Mariah Carey hätte sich nie träumen lassen, dass ihr kleiner, fröhlicher Weihnachtssong «All I want for Christmas is you», den sie im Sommer 1994 in ihrem Zimmer auf einem kleinen Casio-Keyboard geschrieben hatte, ein Dauerbrenner werden würde. Sie und ihr Produzent Walter Afanasieff wollten keine Weihnachtsballade machen, sondern etwas Schnelles im Motown-Boogie-Woogie-Rock-'n'-Roll-Stil – etwas, das es bis dahin nicht gegeben hatte. Herausgekommen ist ein Weihnachts-Liebeslied mit einer einfachen Melodie, die jeder nachsingen kann. 
Afanasieff ging das alles viel zu schnell, er war zu Beginn sehr skeptisch. Der Song gefiel ihm nicht. Das Arrangement war ihm viel zu einfach, er empfand es wie Gesangsübungen. Deshalb hielt er auch die Orchestrierung einfach: Alles programmierte er am Computer, nur der Gesang ist original – mit Background-Sängerinnen.
Der Song war Teil eines Weihnachtsalbums und wurde nicht als Single ausgekoppelt, sodass er zuerst nicht in den Charts war. Die Fans mussten also das ganze Weihnachtsalbum kaufen, um sich das Lied anzuhören. Regelmässig taucht der Song seither in der Adventszeit in den Charts auf und bricht immer wieder Rekorde. Mittlerweile ist er über 16 Millionen Mal verkauft worden und hat den beiden Urhebern über 50 Millionen Franken eingebracht. Das Rezept für den Erfolg sieht Walter Afanasieff darin, dass der Text immer gültig ist und für alle gilt: «Alles, was ich zu Weihnachten brauche, bist du.» 

Detlef Kissner, Béatrice Eigenmann, 14.12.2023
 

Stille-Nacht-Kapelle
Quelle: Gakuro/Wikimedia Commons
Die Stille-Nacht-Kapelle steht am Ort der ehemaligen Nikolauskirche, in der «Stille Nacht» zum ersten Mal aufgeführt wurde.

 

 

 

 

 

 

Erstveröffentlichung des Liedes «Es ist ein Ros entsprungen» im Speyerer Gesangbuch 1599
Quelle: Wikimedia Commons
Erstveröffentlichung des Liedes «Es ist ein Ros entsprungen» im Speyerer Gesangbuch 1599

 

 

 

 

 

Mariah Carey auf ihrer Welt-Tournee 2019
Quelle: Raph_PH/Wikimedia Commons
Mariah Carey auf ihrer Welt-Tournee 2019

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