Erlebnis Stummfilm mit Orgel-Improvisation

Am 24. März wird es in der Kirche Heilig Kreuz in Neuhausen ein Konzert der ganz besonderen Art geben. Zum Stummfilm «Christus» von 1916 improvisiert Kirchenmusiker Johannes Lienhart an der Orgel live die Begleitmusik.

Warum die Vielfältigkeit und Farbenfülle eines Instrumentes wie der Orgel nicht mit einer anderen Kunstform wie dem Film verbinden? So kann dem Besucher, neben einem Erlebnis für die Ohren auch eines für die Augen geboten werden. Das dachte sich Kirchenmusiker Johannes Lienhart und brachte die für den Raum Schaffhausen ziemlich einzigartige Idee einer improvisierten Stummfilmbegleitung nach Neuhausen. Neu ist diese für ihn selbst aber nicht, denn zuvor hatte der gebürtig aus Villingen-Schwenningen stammende Lienhart schon mehrmals in einem kleinen Kino in Berlin diverse Stummfilme live begleitet. «Dafür habe ich auf einer original Kinoorgel, wie sie in den 1920er-Jahren in fast allen Lichtspielhäusern auf der Welt im Einsatz war, hinter der Leinwand gespielt», erzählt er. Diese historischen Kinokonzerte haben das Publikum stets begeistert. Deshalb wollte der 28-Jährige, der bis 2018 in Berlin ein ergänzendes Studium der Orgel-Improvisation absolvierte und seit Jahresbeginn Kirchenmusiker im Pastoralraum Neuhausen-Hallau ist, dieses musikalische Ereignis danach auch in einem kirchlichen Kontext mit christlichen Filmen umsetzen.

Musikalische Herausforderung

Anders als bei einem gewohnten Kirchenkonzert, das detailliert vorbereitet werden kann und beispielsweise auch Pausen beinhaltet, sei an einer musikalischen Gestaltung in Echtzeit speziell, 90 Minuten am Stück zu spielen und dabei präzise alle Stimmungen zu vertonen. «Stummfilme kennzeichnet ihre grosse Handlungsdichte. Ich muss also die ganze Zeit über hoch konzentriert sein und wissen, welche Szene als nächstes folgt», erklärt Johannes Lienhart. Deshalb schaut er sich die jeweiligen Filme mehrmals an und legt für sich bestimmte Themen zu den Filmfiguren fest. So interpretiert er den Helden beispielsweise freudig-triumphal oder weist dem traurigen Mann eine melancholische Melodie zu. Die genaue Szenenabfolge sei vor allem für den richtigen musikalischen Einsatz bei plastischen Ereignissen und Tatvorgängen in der Handlung entscheidend.

«Wenn ein Mann auf der Leinwand mit einem Hammer ausholt, muss ich diese Sequenz im selben Moment auch tonal treffen. Es gibt kein Zurück, nur den nächsten Ton», so der Kirchenmusiker. Lächelnd fügt er hinzu, dass gerade dieses spontane Gefühl für die Musik auch sehr unterhaltsam für ihn sei. Üben muss Johannes Lienhart trotzdem – auch bei einem improvisierten Konzert. Dazu probt er ein bis zweimal den ganzen Film mit Orgelbegleitung, die aber natürlich jedes Mal anders tönt. «Genau das ist auch das Besondere für die Besucher. Das Konzert erklingt nur ein einziges Mal genau so und danach nie wieder», erklärt er. Und fügt nach kurzem Überlegen hinzu: «Ich versuche, aus dem Moment heraus etwas Neues und Schönes zu erschaffen, das so gut ist, als wäre es aufgeschrieben.»

Historisch bedeutend

Auch der am 24. März von Lienhart live vertonte Christus-Film ist gleich aus mehreren Gründen aussergewöhnlich. Einerseits ist er historisch bedeutend, weil der italienische Regisseur Giulio Antamoro damit das erste visuelle Werk in voller Spielfilmlänge schuf, das in der Fülle der gezeigten Episoden das Wirken Christi widerspiegelt. Der Film aus dem Jahr 1916 war für die damalige Zeit ein überaus kostspieliges sowie ehrgeiziges Projekt. Ein Grossteil der Aufnahmen wurde an Originalschauplätzen in Palästina und Ägypten gedreht und auch für die grosse Zahl an benötigten Statisten und Komparsen wurde ein beträchtlicher logistischer Aufwand betrieben. Darüber hinaus charakterisiert den Film die intensive Verwendung der sogenannten «tableaux vivants» (lebenden Bildern), einer seit dem Ende des 18. Jahrhunderts im bildästhetischen Stummfilm gerne verwendeten Darstellung vorzugsweise von bedeutenden Gemälden durch lebende Personen. So zitiert der Film unter anderem Werke von Raffael, Rembrandt oder Leonardo da Vinci. «Diese Szenen greife ich musikalisch eigens heraus», so Johannes Lienhart.

Der Zeitpunkt der Aufführung ist bewusst gewählt: Die Betrachtung des Jesusfilmes soll gerade in der Fastenzeit dazu einladen, sich auf die zentralen Ereignisse des Glaubens zu besinnen und ist als Anregung für das eigene spirituelle Leben zu verstehen. «Ich wünsche mir natürlich sehr, dass das Konzert auch Menschen anspricht, die nicht regelmässig in der Kirche anzutreffen sind. Es lohnt sich für alle, vorbeizuschauen.»

Sarah Stutte (25.3.19)

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Johannes Lienhart wird am 24. März einen Stummfilm live an der Orgel vertonen.

Bild: Sarah Stutte

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