Ein Gespräch über Kirchenmusik

Ein Gottesdienst ohne Musik ist farblos. Musik berührt die Herzen der Gläubigen, hilft beten. Darüber hinaus erreicht sie Menschen, die sich schon lange von der Kirche verabschiedet haben. forumKirche sprach mit drei Experten darüber, wie Kirchenmusik heute attraktiv angeboten werden kann, um Menschen neu für den Glauben zu begeistern.

Können Sie folgenden Satz ergänzen: Musik ist für den Gottesdienst wie…

Greis: …ein Gebet. Man versucht, die Kirchengänger damit in eine bestimmte Stimmung zu versetzen.
Borner: …Begleitung.
Greis: Ja, genau. Die Begleitung zum Lied und die Führung durch dieses. Unsere Aufgabe als Organisten ist es, die Menschen mit unserer Musik so zu lenken, dass sie gerne mitsingen.
Borner: Bei der Begleitung einzelner Strophen muss man überlegen, wie man diese interpretieren will. Um was geht es im Text? Sind die Passagen ruhig oder kräftig? Beim solistischen Spiel, beispielsweise bei einer Kommunion oder beim Ein- oder Auszug der Messe, müssen wir uns viel mehr Gedanken darüber machen, was wir damit erreichen wollen. An einem Karfreitag spiele ich nicht dasselbe wie an Weihnachten. Es geht immer auch darum, eine Stimmung zu transportieren.
Lienhart: Für mich ist es das Salz in der Suppe. Musik ist für den Gottesdienst eine wahnsinnige Bereicherung und wie eine zweite Gebetsebene. Sie bewegt auf ganz andere Weise die Herzen der Menschen.
Greis: Stimmt. Wir gestalten mit der Kirchenmusik einen Gottesdienst aktiv mit und spielen nicht irgendwas im Hintergrund. Oftmals, denke ich, ist das einigen Gottesdienstbesuchern oder selbst Pfarrern zu wenig bewusst.

Und wie erleben Sie die musikalische Gestaltung von Gottesdiensten an Ihren Einsatzorten?

Lienhart: Ich spiele für fünf sehr unterschiedliche Gemeinden, die alle ein anderes Liedgut haben. Das ist für mich in der täglichen Arbeit herausfordernd und interessant. Bevor ich meine Stelle antrat, habe ich mich gefragt, wie offen die Menschen hier neuen Ideen gegenüber sind und war dann positiv überrascht über ihre Aufgeschlossenheit.
Borner: Ich erlebe das ähnlich. Einerseits gibt es die klassische Messe und dann andere Formen wie Familien- oder Jugendgottesdienste, in die ich moderne Pop- oder Rocklieder einbauen kann. Momentan gestalte ich für meine Kirchgemeinde ein aktuelles Liederbuch. Dieses schliesst das klassische Gesangbuch mit ein, lässt aber auch Platz für Neues und kann so fortlaufend erweitert werden. Viele Gemeindemitglieder haben mir im Vorfeld Vorschläge dafür geschickt. Die Menschen sind sehr offen, bereit für Veränderungen und wollen auch aktiv an der Musikgestaltung teilhaben.
Greis: Das ökumenische Kirchengesangbuch «rise up» geht ja auch in diese moderne Richtung mit einer Mischung aus meditativen Liedern, Lobpreis – und Popsongs.
Lienhart: …das haben wir in Neuhausen.
Greis: Das ist auch gut und recht. Ich denke aber, dass nicht immer alles, was neu ist, auch gleichzeitig besser ist. In Ramsen wurden erst alte Lieder aus dem allgemeinen blauen Gesangbuch herausgenommen und dann später wieder als Anhang hineingeklebt, weil es teilweise Gassenhauer waren, wie beispielsweise Johann Baptist Hilbers «Es singen die Engel».

Also sind die Kirchenliedtexte für Sie nach wie vor aktuell?

Greis: Das ist unterschiedlich. Einige Lieder sind sehr schön, mit anderen kann ich nicht so viel anfangen. Die ökumenische Ausrichtung finde ich gut, denn früher gab es unterschiedliche Interpretationen von katholischen und reformierten Liedern. Doch ich bin entschieden gegen Textänderungen der alten Stücke. Ich finde, die Texte passen stilistisch genauso in die heutige Zeit, wie in die damalige. Es ist zwar eine schöne Idee, für «Stille Nacht, heilige Nacht» drei neue Strophen von Silja Walter aufzunehmen. Doch die Kirchgänger singen sie nicht. Sie wollen das, was sie kennen und können. Weil sie diese Lieder schon in ihrer Kindheit so gesungen haben.
Borner: Viele moderne Poplieder sind rhythmisch so kompliziert, dass die Kirchenbesucher sie gar nicht mitsingen können. Aber bei «Grosser Gott, wir loben dich» machen dann alle mit. Man muss also immer abwägen, was überhaupt funktioniert.
Greis: Viele singen auch nur mit dem Kopf. Sie singen die Noten, die dort stehen, aber sie fühlen die Musik nicht. Gerade bei Spirituals oder Gospels muss die Musik aber aus dem Herzen und der Seele kommen.
Lienhart: Ich versuche, die bekannten Lieder zu pflegen und gleichzeitig neue einzuführen, die ich für gut befinde. Wenn man diese neuen Lieder dann jeden fünften oder sechsten Sonntag wieder spielt, werden sie mit der Zeit auch bekannt und die Kirchgänger machen mit.

Und was sind gute, neue Lieder?

Lienhart: Sie müssen musikalisch überzeugen. Also gut komponiert sein, textlich passen und im liturgischen Kontext oder Kirchenjahr Sinn machen und Platz finden.
Borner: Zudem gut singbar sein, nicht zu schwierig und ohne komplizierte Rhythmen.

Welche Impulse braucht es, um junge Menschen oder Fernstehende neu für Kirchenmusik und darüber hinaus für Gottesdienste zu begeistern?

Lienhart: Das gelingt nicht über das Liedrepertoire alleine. Deshalb versuche ich das über zwei andere Ebenen. Einmal über den Kinderchor, den ich neu gründen möchte. Dann versuche ich natürlich über Konzerte, wie dem Stummfilmkonzert mit Orgelimprovisation (forumKirche berichtete in Ausgabe 6/19), Menschen für Unkonventionelles mit geistigem Inhalt zu begeistern. Wenn nur einige von ihnen einen schönen Abend hatten und bei anderer Gelegenheit wiederkommen oder gemerkt haben, dass die Orgel auch anders klingen kann, dann hat man schon gewonnen. Im September habe ich für die Museumsnacht Hegau-Schaffhausen einen Abend mit Improvisation und Licht geplant.
Borner: So mache ich das auch. Alle zwei Wochen biete ich – ganz bewusst nach einer Messe – einen «Orgel z'Nacht» an, ein kurzes, halbstündiges Orgelkonzert, in dem Film- und Rockmusik vorkommt. Zudem können sich die Anwesenden auch selbst Musik wünschen und lernen dabei, die Orgel auch aus einer anderen Perspektive kennenzulernen und nicht als das traurige…
Lienhart: …Dracula-Instrument…
Borner: …das ein paar altbackene Sachen spielt. Ich wollte Menschen anders an dieses Instrument heranführen. Tatsächlich sind dort Leute aufgetaucht, die ich noch nie vorher in einem Gottesdienst gesehen habe. Ausserdem habe ich ein Vokalensemble gegründet, das auch einmal Moderneres im Gottesdienst singt, so dass die Mitfeiernden nach und nach an die neuen Möglichkeiten herangeführt werden, die wir haben.

Herr Greis, wie haben Sie mit Ihren Mitteln versucht, neue Impulse zu geben?

Greis: 1969 habe ich die Jungwachtkantate komponiert, ein Gesangs-Musikwerk für einen Jungenchor, Solisten, eine Rhythmusgruppe, verschiedene Blasinstrumente, Trommeln sowie E-Gitarren. In der Deutschschweiz kam das sehr gut an, in der Westschweiz bekamen wir damit Probleme. Weit und breit waren wir die Ersten, die in den dortigen Kirchen Spirituals, heute sagt man Gospels, mit Schlagzeug, E-Gitarre und Orgel in die Gottesdienste brachten. Das gab einen Riesenaufruhr. Die Presse mobilisierte den Bischof, der uns aber eine solche Jazzmesse mit deutschen Texten erlaubte, einmal im Monat und immer in einer anderen Kirche. Später, als Organist in Schaffhausen, habe ich dieses Konzept dort auch eingeführt, weil es damals vor Ort noch keine Gospelchöre gab.

Wie gehen Sie bei kirchlichen Feiern mit besonderen musikalischen Wünschen um?

Greis: Mir sagte man einmal, ich solle an einer Beerdigung ja nicht Bach spielen. Bach hat einen speziellen barocken Swing. Wenn man diesen nicht spürt, ist Bach nur trist und damit bekommt dann natürlich auch die Orgel etwas ganz und gar Tristes.
Lienhart: Aber Beerdigungen sind speziell, weil viele Angehörige gerade diese Stimmung auch beanspruchen.
Greis: Stimmt. Doch auch an Beerdigungen gilt, dass man mit dem Herzen Musik machen muss. Man kann dort genauso etwas Sanftes machen mit einer guten Improvisation. Doch viele Organistenkollegen gehen darauf gar nicht ein.
Borner: Menschen wünschen sich an Beerdigungen und Hochzeiten alles Mögliche und man sollte offen dafür sein. Ich finde es schwierig, wenn Kollegen abwinken und sagen, nein, mache ich nicht. Wenn man kreativ arbeitet, kann man aus allem etwas machen.
Lienhart: Ich versuche, mit den Menschen zu sprechen und gebe Empfehlungen ab. Dann sind die abstrusesten Wünsche meist sowieso schnell wieder vom Tisch.
Greis: Ich hatte mal jemanden, der für eine Hochzeit nach dem Trauungsakt «In the Ghetto» von Elvis Presley gespielt haben wollte. Ich fand den Text einfach von der Stimmung her ziemlich unpassend. Irgendwann habe ich dann aufgehört, auf Hochzeiten zu spielen. Ich wollte nicht mehr der Barpianist für alles sein. Für moderne Stücke wie Filmthemen benötigt man meiner Meinung nach ein Orchester. Das funktioniert mit einer Orgel nicht.
Borner: Da bin ich anderer Meinung, es kommt sehr auf das Instrument an. Mit meiner Orgel kann ich Orchestermusik spielen, das klingt toll in der Kirche und begeistert mich genauso wie die Besucher.

Herr Greis, Sie haben einen spannenden, musikalischen Weg beschritten und neben der Kirchenmusik noch in einer Hardrock- Band gespielt. Wie hat sich das gegenseitig beeinflusst?

Greis: Mit der Musik war das kein Problem. Ich habe Kirchenmusik gemacht und am Wochenende haben wir Hardrock gespielt im Stil von Deep Purple. Die Leute haben natürlich gespottet, als ich mit Lederhose in die Kirche kam.

Haben Sie anders gespielt?

Greis: Nein, ich habe die Lieder nicht verrockt. Die Rockmusik floss höchstens in Improvisationen ein.
Borner: Ich habe früher auch Heavy-Metal gemacht und hatte zehn Jahre lang eine Band. Bei mir hat sich die Kirchen- und Rockmusik gegenseitig extrem beeinflusst. Das passiert automatisch, bis heute. Wenn ich an der Orgel improvisiere, fliessen ganz viele Harmonien mit ein, der melodiöse Gedanke, die Idee von Strophe und Refrain. Umgekehrt ist es noch extremer: Wenn ich heute etwas für Heavy Metal komponiere, dann kommt da ein Sinfonieorchester mithinein. Das prägt auch die Musik – weg vom Drei-Akkord-Geschraddel hin zu komplexeren Harmonien. Der Witz ist: es funktioniert. Man kann die beiden Pole zusammenbringen.
Greis: Bei unseren Rockkonzerten in England haben wir immer mit der Toccata von Bach angefangen und am Schluss liessen wir eine Kassette mit dem Halleluja von Händel laufen. Wir hatten nie Reklamationen.

Wovon träumen Sie, wenn Sie an Musik in der Kirche denken?

Greis: Dass es «dort oben» auch mal eine grosse Orgel gibt… (lacht)
Lienhart: Dass die Menschen wieder den Weg in die Kirche finden, dass sie Freude an der Musik und auch am Glauben erleben. Das ist auch unsere Aufgabe als Musiker.
Borner: Es ist im Prinzip Aufbauarbeit, die wir leisten. Ich träume davon, dass diese in ein schönes Ergebnis mündet, in ein grosses Konzert mit allen zusammen – Kirchenchor, Vokalensemble und Instrumentalisten. Dass solche Angebote zur festen Institution in der Gemeinde werden. Dann plane ich, eine CD mit Soundtracks aus Filmen zu produzieren. Schliesslich vermisse ich auch das Musikmachen in der Band. Ich möchte wieder eine ins Leben rufen, die dann in zwei bis drei Jahren mit dem Vokalensemble zusammen Konzerte gibt.

Interview: Sarah Stutte und Detlef Kissner (25.6.19)

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Drei Kirchenmusiker – viel Gesprächsstoff:
Harry Greis, Nicolas Borner und Johannes Lienhart auf der Insel Werd (v. l. n. r.).

 
 
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Nicolas Borner, 29 Jahre, in Konstanz geboren. Studierte in Zürich (ZHdK) Kirchenmusik, zudem Aufbaustudium in Musikmanagement, Tontechnik und Gesang. Nach seinem Masterabschluss 2015 Kantor in verschiedenen Gemeinden rund um den Bodensee. Seit 2018 Chorleiter und Organist in Kreuzlingen, Kirche St. Stefan.

 
 
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Harry Bruno Greis, 76 Jahre, gebürtiger Schaffhauser, Organist in verschiedenen Schweizer Kirchen, unter anderem 20 Jahre lang im Kloster Einsiedeln, studierte Komposition am Konservatorium Schaffhausen, war in den 80er-Jahren Leader und Keyboarder der Hardrockgruppe «Black Angels». Heute Organist in Ramsen.

 
 
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Johannes Lienhart, 29 Jahre, aufgewachsen in Villingen-Schwenningen, studierte Diplomkirchenmusik in Rottenburg und machte seinen Master in Stuttgart. Bis 2018 absolvierte er ein ergänzendes Studium der Orgel-Improvisation in Berlin. Seit 2019 Organist und Dirigent im Pastoralraum Neuhausen-Hallau.

 

Bilder: Sarah Stutte

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