Liturgische Texte erfordern sensiblen Umgang

Die Texte in der Liturgie der Karwoche enthalten teils massive Attacken gegen Jüdinnen und Juden. Dazu transportieren die Bach-Passionen ebenfalls diese Botschaft. Seit mehr als 50 Jahren bemüht sich die Kirche um ein Umdenken. Dies ist heute umso wichtiger, als der Antisemitismus in Europa zurzeit massiv steigt.

Für Juden und Jüdinnen war die Karwoche lange die gefährlichste Woche des Jahres. Man stachelte mit den liturgischen Texten Christ*innen zu Ausschreitungen gegen die Juden an. Staat und Kirche begründeten mit diesen Bibeltexten deren Diskriminierung und Verfolgung. Ich selbst habe noch in den 1970er-Jahren in Schaffhausen am Karfreitag in der Messe für die «perfiden Juden» gebetet!

Die Lesungen der Karwoche bieten reichlich Stoff für die Entstehung von Judenhass. Da werden Sätze wie «Sie (die Juden) aber schrien: <Weg mit ihm, kreuzige ihn!>» (Joh 19,15) oder «Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!» (Mt 27,25) in einer emotionalen Atmosphäre gelesen. Jahrtausendelang hiess es daher, die Juden seien die Mörder Jesu, ja Gottesmörder, und müssten dafür bestraft werden – ein konfessionsübergreifendes Problem. «Was Hitler getan hat, hat Luther geraten», meinte der Philosoph Karl Jaspers. Ausserhalb der Liturgie kommen besonders die Passionen von Johann Sebastian Bach hinzu: Die ergreifende musikalische Interpretation der «Judenchöre» verstärkt den Text und spricht emotional unterbewusste Schichten an. Heute ist man sich dessen bewusst und hält mit Einführungen zum historischen und theologischen Kontext dagegen.

Aufarbeitung gesucht
Die Kirchen erklären seit 1945 zunehmend den historischen Kontext: Die Kreuzigung war eine Hinrichtungsart der Römer, nur diese konnten Todesurteile verhängen. Man verweist darauf, dass die Evangelien etwa 40 bis 70 Jahre nach dem Geschehen geschrieben wurden (70 bis 100 n. Chr.). Deren Vergleich zeigt, dass die Schuld am Tod Jesu zunehmend von den Römern auf die Juden übertragen wurde. Der Höhepunkt ist das Johannes-Evangelium. Pontius Pilatus, der später als Statthalter wegen seines blutigen Regimes aus der Provinz abgezogen wurde, wäscht hier wenig glaubhaft seine Hände in Unschuld. Die Beschreibung ist jedoch der politischen Situation geschuldet: Jerusalem war zerstört, die christlichen Gemeinden setzten sich nun von ihrer jüdischen Herkunft ab und versuchten, Konflikten mit den Römern auszuweichen.

Das Konzil leitete mit «Nostra aetate» 1965 eine neue Sicht der Kirche auf das Verhältnis zu den Jüdinnen und Juden ein. 1974 wurden dazu «Vatikanische Richtlinien und Hinweise für die Durchführung der Konzilserklärung <Nostra aetate>» publiziert: Es gehe um eine sachgerechte Auslegung der Bibeltexte, besonders dort, wo scheinbar das jüdische Volk in ein schlechtes Licht gesetzt werde, hiess es. Man müsse den eigentlichen Sinn des Textes herausarbeiten. So sei der Ausdruck «die Juden» bei Johannes besser mit «die Führer der Juden» oder «die Feinde Jesu» zu übertragen, «wobei der Anschein zu vermeiden ist, als sei hier das jüdische Volk als solches gemeint». Die jüdische Identität Jesu solle betont werden.

Falsche Anschuldigungen vermeiden
Diese 50 Jahre alten Richtlinien sind aber selbst Liturgiewissenschaftler*innen kaum bekannt. Auf Nachfrage erklärt Dr. Gunda Brüske, Leiterin des Liturgischen Institutes der deutschsprachigen Schweiz, dass diese sich deshalb auch nicht auf dessen Website finden. «Ich denke, man muss konstatieren, dass die Erklärung zu <Nostra aetate> in dieser Hinsicht nicht rezipiert wurde.» Sie verweist auf den Zweiten Fastensonntag, den «Tag des Judentums», als Gelegenheit zur Aufarbeitung. Allerdings gehe dieser Tag oft vergessen.

Helfen könnten die «10 Tipps gegen Antisemitismus in der Karwoche» von Elena Procario-Foley, einer Expertin für jüdisch-katholische Studien in New York. In Punkt 7 heisst es: «Vermeiden Sie die gefährlichen Gottesmord- und Blutfluchvorwürfe (Mt 27,25), die seit Jahrtausenden zu Gewaltexzessen gegen jüdische Menschen geführt haben. Ob bei der Rezitation der Passionsgeschichte oder bei dramatischen Darstellungen, prangern Sie die gefährliche und falsche Anschuldigung an, dass alle Juden überall und zu allen Zeiten für den Tod Christi verantwortlich sind. Rom hat Jesus hingerichtet.» Und zum Schluss: «Verpflichten Sie sich, so über die christliche Erlösung zu predigen und zu lehren, dass die Opfer der Synagogenanschläge und die brennenden Kinder in Auschwitz davon nicht beleidigt werden.»

Christiane Faschon, 13.03.2024
 

In der Cappella Scrovegni in Padua hat Giotto die Empörung des Hohepriesters Kaiphas dargestellt.
Quelle: Heritage Image Partnership/ Alamy Stock Foto
Nicht das jüdische Volk, sondern einzelne Autoritäten geraten mit Jesus in Konflikt. In der Cappella Scrovegni in Padua hat Giotto die Empörung des Hohepriesters Kaiphas dargestellt.

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