Ein Film, der Kampagne und Performance in einem ist

Im süditalienischen Matera verfilmte Milo Rau mit «Das Neue Evangelium» die Passion Christi als Revolte von Migranten, die in Italien für einen Hungerlohn Tomaten ernten. Gleichzeitig startete er eine reale politische Kampagne.

In Ihrem Film «Das neue Evangelium» interpretieren Sie dieses ein wenig anders. Wie genau?

Ich habe versucht, die Geschichte ins Heute zu transferieren. Als Bibelfilm fokussiert sich die Handlung auf die Evangelien, also auf die Taufe Jesu bis zu seiner Auferstehung. Ich habe seine sozial-revolutionäre Botschaft, mit der er das damalige Establishment angriff, jedoch so umgesetzt, dass ich den Film mit Aktivisten und Flüchtlingen besetzte.

Das war aber anfangs gar nicht so geplant, oder?

Richtig. Ich bekam eine Anfrage der süditalienischen Stadt Matera, dort ein Projekt zu realisieren. Da die Ortschaft als Filmkulisse grosser Christusfilme bekannt ist – Pier Paolo Pasolini und Mel Gibson drehten hier – war mein Thema schnell klar. Zu Beginn wollte ich dafür befreundete Schauspieler engagieren, die auch in den Filmen von Gibson und Pasolini mitgespielt hatten. Als ich jedoch die dortigen Flüchtlingslager um die Tomatenplantagen herum sah, beschloss ich, bis auf wenige professionelle Darsteller überwiegend mit Laien vor Ort zu arbeiten.

Ihr Jesus ist nicht nur ein Flüchtling, sondern auch dunkelhäutig. Wie begegnen Sie Vorbehalten?

Historisch gesehen war Jesus ein jüdischer Mann. Doch die Bibel richtet sich mit ihrer Botschaft an alle Menschen. Es ist eine kolonialistische Verkennung, wenn man glaubt, dass ein weisser Mann die ganze Welt missioniert. Jesus kann dort, wo er gebraucht wird, in allen Hautfarben, Geschlechtern und Zeiten immer wieder auftreten. Wir müssen die Bibel immer in unserer eigenen Zeit denken, sonst macht das Neue Testament keinen Sinn.

Wie kamen Sie zu Ihrem Hauptdarsteller Yvan Sagnet, der aus Kamerun stammt und auf einer Tomatenplantage in Apulien arbeitete?

In Italien ist er ein sehr berühmter Aktivist, der sich für Arbeitsverträge, medizinische Versorgung und Mindestlohn für Flüchtlinge einsetzt. Er wurde sogar zum Ritter geschlagen für seine Aufklärungsarbeit in Bezug auf die mafiöse Ausbeute auf den italienischen Tomatenplantagen. Er selbst ist gläubiger Katholik, es sind aber auch Schauspieler dabei, die Muslime, Anarchisten oder Atheisten sind. Die glaubensübergreifende Ausrichtung war entscheidend. Jeder der Laienschauspieler hat sich aus seinen ganz eigenen ideologisch oder religiös motivierten Gründen an dem Projekt beteiligt.

Aus dem religiösen Film ist so also ein politischer geworden?

Die Grenzen sind fliessend. Meine persönliche Lesart der Bibel ist eine politisch-humanistische und gar nicht so unähnlich derjenigen des aktuellen Papstes. Die Würde eines Menschen ist wichtig, das Wort nicht nur zu predigen, sondern auch zu leben. Einen solchen Film gerade in Italien zu realisieren, wo die katholische Kirche verwurzelt ist, gleichzeitig aber eine sehr menschenfeindliche Ausländer- und Innenpolitik vorherrscht, ist natürlich sehr interessant.

Sind Sie dort auf viel Widerstand gestossen?

Nicht unbedingt. In Italien zu drehen, ist extrem schön. Das Land hat eine lange Kinotradition, die Menschen sind deshalb dieser Kunstform gegen - über sehr offen. Auf der anderen Seite gibt es jedoch eine starke antiliberale, fast antireligiöse Rechte, die sich in ihrem Zynismus eingerichtet hat und die einfachsten Menschenrechte negiert. Von dieser Seite gab es hauptsächlich medialen Widerstand. Auch natürlich von den grossen Lebensmittelkonzernen, die von der Rechtlosigkeit der Flüchtlinge profitieren.

Und wer hat Sie unterstützt?

Die katholische Kirche. In Süditalien engagiert sie sich wirklich stark in der Flüchtlingshilfe. Wir haben dort mit sehr vielen Priestern zusammengearbeitet und konnten so ein Haus besetzen, das mittlerweile als Flüchtlingsunterkunft dient und jährlich mit einem kirchlichen Beitrag unterstützt wird.

Der Film wird von einer Kampagne begleitet. Hat sich diese aus der Idee zum Film heraus entwickelt?

Ja. Yvan Sagnet gründete die Bewegung «Rivolta della Dignità», auf Deutsch die «Revolte der Würde», die sich für die Rechte der Migranten in Süditalien einsetzt. Die politische Kampagne soll Nachhaltigkeit bewirken. Es muss etwas bleiben.

Interview: Sarah Stutte (17.12.19)


Der Film von Milo Rau wird voraussichtlich im Herbst 2020 in den Schweizer Kinos anlaufen. 


 

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Mit dem Aktivisten und ehemaligen Plantagen-Arbeiter Yvan Sagnet wird zum ersten Mal in der Filmgeschichte ein schwarzer Jesus vor der Kamera stehen.


Bild: ©2019 Fruitmarket/Langfilm. Foto: Thomas Eirich Schneider

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