Standortbestimmung 60 Jahre nach Konzilsbeginn

Vor 60 Jahren wurde das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) eröffnet. Anlässlich dieses Jubiläums skizziert der Innsbrucker Theologe Roman Siebenrock die Entwicklungen nach dem Konzil. Der synodale Prozess könne eine erste Etappe auf ein kommendes Konzil hin darstellen.

Konzilien sind keine «Luxusartikel, um theologische Positionen durchzusetzen», und es sei von einem neuen Konzil abzuraten, «solange nicht die Hausaufgaben des Zweiten Vatikanischen Konzils gemacht worden sind», sagte der emeritierte Theologieprofessor Roman Siebenrock im Interview mit dem Vorarlberger «Kirchenblatt».
«Ein neues Konzil kann es nur geben, wenn Frauen vollgültig mitstimmen dürfen und wenn es zu einer substanziellen ökumenischen Einheit dadurch kommen könnte und unsere Kirche sich nicht dadurch noch mehr spalten würde, als sie eh schon gespalten ist», sagt Roman Siebenrock.

Bezugsgrösse heutiger Debatten
Der emeritierte Professor für Dogmatik bezeichnete Konzilien als «Brennpunkte der Kirchen- und Glaubensgeschichte». Sie würden daher auch nicht in einer, kaum in zwei Generationen wirklich aufgenommen und ins selbstverständliche Leben der Kirche integriert. Das Zweite Vatikanische Konzil könne deshalb an Bedeutung kaum überschätzt werden, «weil es bis heute, negativ oder positiv, die Bezugsgrösse unserer Debatten darstellt».
Er sei dennoch überzeugt, «dass der von Papst Franziskus angeregte synodale Weg vielleicht schon eine erste Etappe auf ein kommendes Konzil hin darstellen kann». Vom aktuellen Synodalen Prozess zeigte sich der Theologe aber noch nicht überzeugt, denn die Maxime des Umgangs in einer christlichen Gemeinde, die auch einen synodalen Weg prägen sollte, habe der Apostel Paulus im Philipperbrief klar ausgedrückt. Dort liest man: «… dass ihr eines Sinnes seid, einander in Liebe verbunden, einmütig, einträchtig, dass ihr nichts aus Streitsucht und nichts aus Prahlerei tut. Sondern in Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst. (…) Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht.» Roman Siebenrocks kritische Nachfrage dazu: «Leben wir das wirklich, was hier gesagt wird?»

Europäer spielen nicht mehr erste Geige 
Noch fehle ohnehin die Umsetzung zahlreicher Vorgaben des Zweiten Vatikanischen Konzils. So manches sei vor 60 Jahren grundgelegt, aber bis heute noch nicht entfaltet worden. Beispielsweise sei die Kirche beim Konzil zur Weltkirche geworden. «Das bedeutet, dass wir Europäer nicht mehr die erste Geige spielen werden, sondern die Kirchen des Südens wesentlich mitentscheiden. Das bedeutet ganz konkret - und dieses Bewusstsein ist im deutschen synodalen Prozess kaum vorhanden - dass etwa im Bereich der normativen Sexualität und Lebensformen auch andere Kulturen ein gewichtiges Wort mitreden werden.» Dies verlange von den Europäern ein radikales Umdenken. «Wir reden gerne von postkolonialem Denken, hier würde es konkret werden», sagt der Theologe.

Veränderte Vorstellung von Mission
Zur theologischen Bedeutung des Konzils befragt, betonte Siebenrock an erster Stelle: «Das Konzil bekennt sich zum universalen und ernsthaften Heilswillen Gottes, der mit seiner Gnade im Heiligen Geist nicht nur allen Menschen nahe ist, sondern sie auf unterschiedliche Weise anspricht und begleitet.» Deshalb habe Papst Paul VI. gesagt, die Kirche müsse die Gestalt des Wortes, der Botschaft des Gesprächs annehmen. Von diesem Gespräch oder Dialog sei aber niemand ausgeschlossen, so Siebenrock. «Deshalb verpflichtet sich das Konzil auf den ökumenischen, den interreligiösen und den Dialog mit allen Menschen guten Willens. Das wird hoffentlich immer mehr zur selbstverständlichen Haltung der Kirche werden.» 
Ein weiterer Aspekt sei die Anerkennung der Religionsfreiheit. Damit verabschiede sich die Kirche von der Symbiose von Staat und Kirche, bestimme sich als Teil der Zivilgesellschaft und sei sich bewusst, «dass sie für ihre Sendung allein auf Predigt, Argument und Dienst am Leben der Menschen bauen darf». Eine weitere einschneidende Veränderung durch das Konzil sei die Neubestimmung des Verhältnisses von Kirche und Judentum. Diese Neuorientierung könne nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Taufsendung fördern
Für das Selbstverständnis der Kirche sei zudem zentral, dass die Taufe als das grundlegende Sakrament angesehen worden sei. «Das bedeutet, dass alle an der Sendung der Kirche teilhaben und aller Dienst und alles Amt diese Taufsendung zu fördern und zu schätzen hat. Deshalb ist die Kirche nicht vom Amt und von der Hierarchie her, sondern vom Volk Gottes her zu denken.» 

kath.ch/Red., 19.10.2022
 

Roman Siebenrock
Quelle: © KNA-Bild
Roman Siebenrock war ordentlicher Professor für Systematische Theologie an der Universität Innsbruck. Seit 1. September ist er emeritiert.

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