Gedanken zum Begriff emuna

In der Hebräischen Bibel kommt das Wort emuna nur zwei Mal vor. Das Wort wird mit dem nicht wirklich passenden Begriff «Glauben» übersetzt. 

Warum kommt «Glauben» in der Hebräischen Bibel kaum vor? Im Christentum gehört es ja zu den Gottesdiensten, das Glaubensbekenntnis zu sprechen. Diese 12 Glaubenssätze sollen/müssen die Gläubigen für wahr halten. Im Neuen Testament gibt es fast 500 Belege für das Verb und Nomen «glauben». Nur in der Tora, dem sogenannten Alten Testament des Christentums, der Hebräischen Bibel, kommt es fast nicht vor.

Die hebräische Sprache
Hebräisch unterscheidet sich massgeblich von unseren Sprachen. Es ist nicht ein anderer Weg, dasselbe zu sagen: Es ist ein völlig unterschiedlicher Zugang zu den Menschen und der Welt. Es wird von rechts nach links geschrieben, die Bücher beginnen nach unserem Verständnis «hinten». Vokale werden oberhalb und unterhalb angedeutet. Die Worte werden mit einer Wurzel aus drei Konsonanten gebildet. An diese werden dann die Partikel angehängt für Geschlecht, Einzahl und Mehrzahl, Artikel etc.. Dazu kann ein Verb bis zu sieben Formen haben mit unterschiedlichen Bedeutungen. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs! Dadurch hat das Hebräische einen relativ kleinen Wortschatz mit vielen Wurzeln. Eine Wurzel steht dann für unterschiedliche Bedeutungen. Mishpat bedeutet etwa Gerichtsort, Gerichtsverhandlung, Gerichtsurteil, Urteil, Strafe, Verbrechen, Verpflichtung, Amt, Rechtschaffenheit. Da bieten sich reichlich Möglichkeiten der Interpretation und Übersetzung an.

In Gott Halt finden
Emuna kommt bei 5. Moses 32,20 und Habakuk 2,4 vor. Wir übersetzen es normalerweise mit «Glauben» - eine mangelhafte Übersetzung. In emuna steckt das hebräische Wort emun (Vertrauen). Das Wort geht auf aman (fest, sicher, zuverlässig sein) zurück. Das meint ein Sichfestmachen, in Gott und seinem Wort einen zuverlässigen Halt und einen Grund finden. Das Wort Amen gehört auch dazu.
Glauben ist in der Hebräischen Bibel eine Tätigkeit, die nichts damit zu tun hat, ob man einen Glaubenssatz für wahr hält. Sie wird immer mit einem Verb ausgedrückt, muss immer wieder neu gefunden und gelebt werden. Ein gutes Beispiel ist Abraham, der Gottes Verheissungen glaubt, dass er noch als betagter Mann Nachkommen sehen wird – gegen alle momentane Realität. Glaube meint, sich Gott anzuvertrauen. Damit dies möglich ist, müssen wir Gott kennenlernen. Dies geschieht dadurch, dass wir uns lebenslang in sein Wort und seine Weisungen vertiefen, sie lernen. Darum ist im Judentum Lernen eine religiöse Pflicht. Weitere Begriffe im Umfeld dieses Vertrauens sind «erkennen, suchen, fragen nach, harren, hoffen auf den Ewigen».

Vertrauen, das sich im Alltag zeigt
Emuna steht dafür, sich Gott aktiv zuwenden und gerade nicht ein passives Anerkennen von Gottes Grösse. Es geht um unsere Beziehung zum Ewigen und unsere Beziehung zu uns selbst, unserer Gesundheit, Familie, zum Beruf bis hin zum Klimaschutz. Die Tora zeigt, dass es nicht um emotionale Aufwallungen in besonderen Momenten geht, nicht darum, hier und da «Gott die Ehre zu geben». Es geht um den Alltag, die Tage und Nächte. 
Emuna heisst Vertrauen. Vertrauen ist grundsätzlich. Entweder traue ich einer Person oder nicht, da gibt es keine halben Sachen. Gerade auch die Psalmen zeigen uns, wie dieses Vertrauen in Gott selbst in schwierigen Zeiten der Bedrohung und Zweifel trägt.
Das Judentum kennt kein offizielles Glaubensbekenntnis. Das «Schma Israel/ Höre Israel», das viele für das Glaubensbekenntnis halten, ist ein Gebet. Sein Beginn lautet: «Höre Israel! Der Ewige, unser Gott, der Ewige ist eins/einer/einzig….». Es ist ein Gebet, das täglich gebetet wird und das den Glauben zum einen Gott bekennt. Der berühmte jüdische Religionsphilosoph und Bibelübersetzer Martin Buber stellte darum fest, das Christentum sei eine Orthodoxie, das Judentum eine Orthopraxie: Für Christ*innen sei es wichtig, Glaubenssätze für wahr zu halten. Für Juden und Jüdinnen aber stehe das Handeln an erster Stelle. Und das bezieht sich auf emuna.

Christiane Faschon, 26.01.22



Serie «Bibel verstehen»
Die Theologin Christiane Faschon wird im Februar und März einen Kurs mit dem Titel «Auge um Auge? Was Übersetzungen anrichten können.» durchführen. Anlässlich dieses Kurses wird in forumKirche die dreiteilige Serie «Bibel verstehen» erscheinen, die anhand von verschiedenen hebräischen Begriffen Übersetzungsschwierigkeiten aufzeigt und zu klären versucht. 
 

Fragment einer antiken Schriftrolle aus Qumran mit hebräischen Schriftzeichen
Quelle: Israel Museum/Wikimedia Commons
Fragment einer antiken Schriftrolle aus Qumran mit hebräischen Schriftzeichen

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