Jugendliche erleben einen Kirchenraum

Am Freitag, 10. März, luden Elias Schönenberger und Anja Egloff vom AVANTI-Team in Frauenfeld zu einem ganz besonderen Event: zu einer Übernachtung in der katholischen Stadtkirche St. Nikolaus. Vier Mädchen haben dieses Abenteuer gewagt. Elias Schönenberger, Jugendarbeiter und Katechet, schildert das Erlebte.

Gemeinsam eine Nacht in der Kirche zu verbringen, auf dem harten Steinboden zu schlafen und dabei in die Stille des grossen Gemäuers hineinzuhorchen: ein Abenteuer, nicht nur für die Jugendlichen, sondern immer auch für die Jugendarbeitenden! Denn spätestens, wenn man mitten in der Nacht in den Schlafsack geschlüpft ist und das letzte Gekicher verhallt ist, kann man sich der Wirkung des Raumes nicht mehr entziehen. Man lauscht der beeindruckenden Stille des weiten Raumes, entdeckt im Deckengewölbe Formen und Umrisse, die mit Beleuchtung doch noch ganz anders wirkten. Nur das ewige Licht und die Opferkerzen leuchten. Und wenn draussen ein Auto vorbeifährt und das Scheinwerferlicht auf die glänzenden Oberflächen fällt, reflektiert es in allen Winkeln.

Glücksgefühle und Ernsthaftigkeit 
Das Erlebnis schweisst zusammen – oder ist es doch der Raum? Als wir spätabends hinter dem Altar auf unseren Mätteli sitzen und Uno Flip spielen, gellt ein Glücksruf durch die Kirche. Erschrocken sehen sich alle an, und eine Jugendliche sagt stellvertretend für alle: «Uh, ich habe ganz vergessen, dass wir ja hier in der Kirche sind.» 
Drei Mädchen haben sich in den Beichtstuhl zurückgezogen. «Wir haben diskutiert, wie das eigentlich ist mit den vier apokalyptischen Reitern, die dem Buch mit den sieben Siegeln entspringen und die Menschheit mit Plagen heimsuchen.» Ich sehe das ernsthafte Interesse, die persönliche Bange vor dem Unfassbaren und frage mich, wie die Mädchen gerade auf dieses Thema gekommen sind. An einem Freitagabend kurz vor 23 Uhr muss ich mein ganzes theologisches Wissen auspacken, um Mut zu machen und Ängste zu bannen. Als wir gemeinsam den Beichtstuhl verlassen, ist Erleichterung spürbar. «Die Reiter sind davongeritten», sage ich scherzhaft, die Mädels lachen und laufen in den Altarraum. Kurz vor 1 Uhr spachteln wir in der Sakristei unseren süssen Mitternachtssnack. Ein Lachen jagt das nächste, man erzählt sich Witze und Anekdoten. Communio (Gemeinschaft) in ihrer lebendigsten Form.

Orgelklänge und Dankbarkeit
Gebannt lauschen die vier Mädels den Orgeltönen von Emanuel Helg. Dieser beginnt ganz fein, zieht Register um Register – und schwallartig ertönt die Orgel in ihrer ganzen Pracht. Da fliessen fast Tränen. «So schön», flüstert ein Mädchen dem anderen zu, «fast wie im Himmel!» - «Da, schau», sagt dieses und zeigt auf das nahe Deckengemälde. 
«So viele Details – die sind mir noch gar nie aufgefallen», staunt ein Mädchen während des Who's who (Wer ist wer) in der Kirche. Begeistert begeben sich die Jugendlichen rätselnd von Objekt zu Objekt, suchen und staunen über die Baukünste vergangener Tage. «Wer putzt das eigentlich alles?», fragt ein Mädchen. «Den Boden und die Bänke unsere Mesmerin. Den Rest: ehrlich gesagt, keine Ahnung», gestehe ich.
Zum Abschluss zünden wir eine Kerze an und danken unserem Gastgeber für seine Gastfreundschaft. Ein einmaliges Erlebnis – die Dankbarkeit ist allerseits spürbar. Unglaublich, in welch kurzer Zeit Gemeinschaft entstehen kann. Dieser Raum verbindet – ob in oder ausserhalb der Liturgie. 

Elias Schönenberger/Red., 29.03.2023


AVANTI – Übernachten in der Kirche
AVANTI ist ein offenes Jugendangebot von der ersten Sekundarstufe bis zum 17. Lebensjahr. Unabhängig von Religion und Konfession, kostenlos und unverbindlich.
Jugendliche haben oft eine grosse Hemmschwelle, den Kirchenraum zu betreten, ihn zu nutzen und die eigene Beziehung zu ihm zu hinterfragen. Als Ministrant*innen oder Kirchenbesuchende nehmen sie Kirche oft nur als Raum der Liturgie und damit stark segmentiert wahr. AVANTI - Übernachten in der Kirche soll den Kirchenraum erfahr- und erlebbar machen und Anlass zur Reflexion bieten. Was kann Kirchenraum ausserhalb der Liturgie bieten? Was kann Kirchenraum auslösen? Die Gruppe bietet dabei Raum und Sicherheit, sich auf die Erfahrung einzulassen und allfällige Fragen und Gefühle zu reflektieren. Die persönliche Beziehung zum Gotteshaus wird aufgebaut und gestärkt. Nach Christi Vorbild gilt Christ*innen der Körper selbst als Tempel Gottes, als heilige Stätte, die es zu kultivieren und zu pflegen gilt. In der Erfahrung eines äusseren Gotteshauses kann das Gespür für den eigenen, heiligen Tempel geweckt und geschärft werden.
 

Interessiert folgen die Mädchen den Ausführungen des Organisten Emanuel Helg.
Quelle: zVg
Interessiert folgen die Mädchen den Ausführungen des Organisten Emanuel Helg.

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