Kritik an der Gotthelf-Verfilmung

Zurzeit ist im Kino eine neue Interpretation der düsteren Schauergeschichte von Jeremias Gotthelf zu sehen. Erfüllt «Die Schwarze Spinne» auf der Leinwand die Erwartungen an die Vorlage? Ein Interview mit Dr. Christian von Zimmermann, Leiter der Forschungsstelle Jeremias Gotthelf.

Was gefällt Ihnen an der Neuverfilmung?

Der Film hat eine starke Bildkraft. Mich hat die Farbigkeit überzeugt, teilweise auch die Perspektiven und Lichtverhältnisse. Die niederländische Malerei war hier sicher ein Bezugspunkt, genauso wie gewisse Darstellungen aus der bildenden Kunst. So sind manche Figuren im Gegenlicht von hinten zu sehen und dann öffnen sich die Blicke ins Dorf oder in die Landschaft – das fand ich gut gelungen.

Die Gotthelf-Novelle ist in eine Rahmenhandlung und zwei Binnenerzählungen unterteilt und dient als Mahnung zum fortwährenden Respekt vor Gott. Spürt man das im Film?

Nein, da der Film sich nur auf eine Binnenerzählung konzentriert und damit der Komplexität des literarischen Textes nicht gerecht werden kann. Gotthelfs Schrift funktioniert einfach nur in dieser Dreierkombination. Streicht man zwei Teile davon weg, ist die Gefahr der Banalisierung gross. Gotthelf beleuchtet in seiner Novelle das Problem der Freiheit aus zwei Perspektiven. In der ersten Erzählung zeigt er Menschen, die in Unfreiheit leben, jedoch noch sittliche Entscheidungen treffen sollen, was sich als unmöglich herausstellt. In der zweiten Erzählung sind die Menschen zwar frei, können jedoch nicht damit umgehen. Deshalb kommt es erneut zur Katastrophe.

Was bleibt denn noch an grundlegenden Gedanken aus der Vorlage übrig?

Nicht viel. Der Film ist ein anderes Medium als der literarische Text. Die Erzählung setzt die Handlung auf Distanz, damit man darüber nachdenken und reflektieren kann. Der Film dagegen arbeitet mit der Illusion realistischen Geschehens. Das führt zu einer grundlegenden Änderung in der Gestaltung der Figuren, die auf der Leinwand relativ banal psychologisiert werden und einem seltsamen Determinismus folgen. So haben alle Hauptfiguren hier ein Trauma: Christine, ihr Vater, der Ritter Hans von Stoffeln. Im Laufe der Handlung werden diese Traumata sogar noch vertieft.

Auch wird die Unglücksbringerin der Novelle im Film zur Heldin gemacht, die allen Rückschlagen trotzt und der Märtyrer-Pfarrer aus der Vorlage ist hier vor allem feige.

Genau. Die Charaktere sind im Grunde sehr eindimensional und langweilig gezeichnet. Selbst der Teufel ist nicht wirklich bedrohlich. Interessant ist, dass Christine keine Fremde mehr im Dorf ist. Die Auseinandersetzung mit Gotthelfs Novelle drehte sich immer wieder um das Thema der Fremdenfeindlichkeit, denn alle negativ besetzten Figuren in der Erzählung sind nicht Teil der Gemeinschaft. Hier versucht der Film richtig, eine neue Interpretation der Christine zu finden. Das Problem ist, dass sich Christine in dem Moment zu einem positivem Charakter entwickelt, wenn sie von den Dorfbewohnern als eine der ihren akzeptiert wird. Damit wird dann wieder dasselbe Muster bedient: Das Fremde wird als schlecht konnotiert und das heimische als gut.

Darüber hinaus hat Christine bei Gotthelf ein konkretes Ziel vor Augen, dass sie im Film jedoch komplett über Bord wirft.

Damit handelt sich der Film tatsächlich Probleme ein. Diese hängen eng mit dem leitenden Motiv der Mütterlichkeit zusammen, das alle positiven Entwicklungen im Film kennzeichnet. Bezeichnend dafür sind die beiden Schwestern: Maria als tatsächliche Mutter und Christine als Hebamme und damit soziale Muttergestalt. Das ist – vorsichtig ausgedrückt – eigentlich ein Idealbild der «Geistigen Landesverteidigung». Die Mütterlichkeit ist am Ende das, was das Böse auch bezwingt. Eine selbstbewusste, sich aus traditionellen Mustern lösende Rollengestaltung der Frauen im Film sähe anders aus.

Wie unterscheiden sich die religiösen Motive von Novelle und Film?

Der Film möchte eine gewisse Kritik an der Kirche transportieren. Er spricht heutige Konflikte an, die er in diese Mittelalterszenerie rückprojiziert. Der Pfarrer predigt darin nicht über Religion, sondern arbeitet mit abergläubischen Metaphern und Allegorien. Gotthelfs Sichtweise ist zwar ebenfalls historisch, doch für ihn war Religion immer in Bewegung. Er glaubte nicht an feste Überzeugungen, die sich durch die Jahrhunderte hindurch ziehen, sondern daran, dass jede Zeit für sich selbst eine Beziehung zur Religion und einen eigenen Glauben finden muss. Insofern hat Gotthelf im Rückblick auch den Glauben der vorreformatorischen Zeit nicht negativ dargestellt. Im Film gibt es einige Szenen mit problematischem Symbolcharakter. Da ähnelt ein Taufgeschehen einem Beschwörungszauber und das Spiel mit Licht und Schatten in Bezug auf die Gestalt der Maria bleibt fragwürdig. Ich weiss nicht genau, was man damit aussagen will, wenn die schwarze Marien-Figur bei der Prozession zu Beginn in den Dreck fällt und die helle Maria als lebendige Person diejenige ist, die das Leben neu begründet.

Ist der Film heute überhaupt radikal genug? Hätte es einen anderen, moderneren Ansatz gebraucht, wie das in der ersten Adaption von 1983 der Fall war?

In den 1980er-Jahren war der Film von Regisseur Mark Rissi so erfolgreich, weil er die alte Rahmengeschichte ins Drogenmilieu versetzte und damit für ein damaliges Publikum zugänglich machte. Heute würde das vermutlich in der Form nicht mehr funktionieren. Bei Rissi bleibt jedoch dieser Schematismus von Macht und Unterdrückung durch eine dominante grosse Gruppe an Widersachern stärker erhalten. In der jetzigen Interpretation des historischen Stoffs wirkt Hans von Stoffeln durch das ihm angedachte Trauma einfach zu schwach und kränklich. Dadurch wackelt das ganze Gebäude der Unterjochung und es ist nicht mehr überzeugend, warum sich die Bauern nicht erheben. Ein Beispiel für einen kreativen Zugang: Im Jahr 2017 gab es in Luzern «Die Schwarze Spinne» als Grusical, dort hat man den Teufel zum Erzähler gemacht. Das war auf der Theaterbühne unglaublich wirkungsvoll.

Wie kann man Gotthelfs Themen in die heutige Zeit transportieren?

Theologisch gesehen wird Jeremias Gotthelf in der Rezeption sehr häufig falsch dargestellt. Er war kein Vertreter einer traditionellen Frömmigkeit. Vielmehr beeinflusste ihn ein aufgeklärtes theologisches Denken, das sehr stark vom Menschen und seinem Verhältnis zu Gott oder zum Universum bestimmt ist. Dazu muss der Einzelne die selbstverantwortliche Führung seines eigenen Lebens erlernen. Dieser Erziehungsprozess funktioniert bei Gotthelf sehr stark über Gemeinschaftsinstitutionen, die auch wichtig waren, da er in einer Zeit lebte, in der es keinen modernen Sozialstaat gab. Er vertraute darauf, dass sich alles durch ein gutes soziales Miteinander und christliche Nächstenliebe regelt. Da hat er einen wichtigen Punkt, aber heute können wir gewisse Probleme so nicht mehr lösen, weil sie die Folgen von wirtschaftlichen Entscheidungen auf einer anderen Ebene sind. Das Nachdenken darüber, wie wir Menschen Mündigkeit erreichen, damit möglichst alle nach vernünftigen Kriterien zusammenleben können, bleibt aber natürlich aktuell.

Interview: Sarah Stutte

Der Film läuft zurzeit noch im Kino Liberty in Weinfelden und im Kiwi in Schaffhausen. 

Die schwarze Spinne

In der Novelle von Jeremias Gotthelf (1842 erschienen) geht es um den immerwährenden Kampf mit dem Bösen. Bei einem Tauffest im Berner Oberland erzählt ein Grossvater, was es mit dem geheimnisvollen Loch in einem Fensterpfosten auf sich hat. Scheinbar wurde darin eine Spinne eingesperrt, die im Mittelalter Tod und Verderben über die ansässigen Bauern brachte, nachdem diese sich auf einen Pakt mit dem Teufel eingelassen hatten. Knapp 200 Jahre später wird sie durch Leichtsinn und Übermut wieder befreit und das Unheil nimmt abermals seinen Lauf.

Christian Zimmermann
Quelle: zVg
Dr. Christian Zimmermann, Leiter der Forschungsstelle Jeremias Gotthelf in Bern.

Szenen aus dem Film

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