Gedanken über das Dichten

Poesie begegnet uns bei festlichen Anlässen, in der Werbung oder auf einer persönlich gestalteten Glückwunschkarte. Sie bereichert, bringt etwas auf den Punkt, ist eingängig. Poetische Gedanken sollen Sie als Leserinnen und Leser auch das nächste Jahr über begleiten (siehe Bemerkung am Schluss des Artikels). In kleiner Runde philosophierten Gaby Zimmermann und Christoph (Stöff) Sutter darüber, was die Stärke von Gedichten ausmacht und wie sie entstehen.

Welche Gedichte lesen Sie gern?

Zimmermann: Ich mag Christian Morgenstern, Heinrich Heine und Erich Kästner. Mir gefällt das «Moralisierende» in ihren Gedichten. Sie sind kritisch und haben etwas Appellatives.

Sutter: Ich habe auch gern etwas Moral mit dabei. Wir sollten wieder mehr Mut haben, uns für Werte einzusetzen. Es kommt nur darauf an, wie man es sagt. Gut ist es, wenn man es in der Ich-Form schreibt und der Leser über den Autor grinsen kann. Ich liebe es, wenn Moral auf dem Silbertablett des Humors präsentiert wird.

Worin liegt die Stärke eines Gedichtes gegenüber einer Erzählung?

Sutter: Für mich, ganz klar in seiner Magie. Wenn ich irgendetwas in einer vollendet gereimten, rhythmischen Form präsentiere, dann glaubt mir der Zuhörer das, weil es fertig daherkommt. Man hat das Gefühl, dass auch die Aussage geschliffen ist, dass auch der Inhalt rund ist. Dieser Magie habe ich mich bis heute nicht entziehen können.

Zimmermann: Wir leben in einer sehr wortlastigen Welt. Es gibt viel Geschriebenes, es wird viel geredet. Ein Gedicht hingegen ist von seiner Form her kurz, was für die Schreibenden auch ein Korsett ist. Damit kann man eine Botschaft, für die man sonst viele Worte bräuchte, knapp und prägnant weitergeben. Das bekommt man mit anderen sprachlichen Mitteln, z. B. einer Predigt, nur schwer hin.

Sutter: Ja, es ist faszinierend, dass man mit vier bis acht Zeilen einen ganzen Roman aussagen kann. Und es hat den Vorteil, dass es durch seine Form – vor allem durch den Reim – hängen bleibt. Wenn du mitbekommst, dass jemand einen Zweizeiler von dir als Lebensmotto hat, gehört dies zu den schönsten Rückmeldungen. Ein riesiges Geschenk. So etwas ist nur möglich, weil ein Gedicht gereimt ist.

Dichtung ist ja wieder «in». Sie kommt heute als «Poetry Slam» daher. Was halten Sie davon?

Zimmermann: Ich finde das super, was die da machen. Auch dass es so einen Anklang findet. Was mich daran stört, ist die Form des Wettbewerbs.

Sutter: Ich finde es genial, weil es die Kreativität der Sprache hervorhebt. Allerdings glaube ich, dass es das immer gegeben hat, nur die Form hat sich geändert. Als ich jung war, waren Gedichte nicht sehr im Fokus, aber da waren es die Liedermacher wie Mani Matter, die mit Wortspielen gearbeitet haben. Danach kam dann der Rap, ein verdichtetes Reden mit einem klaren Rhythmus dahinter, nun haben sich die Slammer davon losgelöst. Vielleicht ist Poetry Slam auch eine Antwort auf unsere anspruchsvolle Literatur. Man hat sich danach gesehnt, wichtige Themen auf einer anderen Ebene zu besprechen.
Das mit dem Wettbewerb ist ein notwendiges Übel, damit man Menschen begeistern kann – eine Zeiterscheinung. Aber grundsätzlich finde ich es gut, dass Menschen den Mut aufbringen, sich mit ihrem Wort zu präsentieren, und dass jeder mitmachen kann.

Wie kamen Sie dazu, Gedichte zu schreiben?

Zimmermann: Schon als ich auf der Gitarre zwei Akkorde spielen konnte, habe ich ein Lied mit Reim geschrieben. Lieder sind ja vertonte Gedichte. Vor 30 Jahren habe ich mit Lesungen lyrischer Texte begonnen. Zwischen die Poesie der grossen Dichter habe ich hier und da auch eigene Texte hineingestreut. Einmal kam eine Frau zu mir, die meinte, dass die Texte von Heine, Tucholsky und Brecht echt gut gewesen seien, aber die von mir unter aller Kritik. Auf meine Frage, welche Gedichte ihr gefallen hätten, zählte sie einige von mir auf. Da dachte ich mir: Wenn das so ist, kann ich noch ein paar mehr von meinen nehmen. So ist da etwas gewachsen. Stöff hat mir ausserdem seine Gedichte zugeschickt. Als Fan von ihm habe ich ihm irgendwann ein eigenes Gedicht als Antwort zurückgeschickt. Später dann ziemlich regelmässig.

Sutter: Bei mir gab es einen klaren Start. In der dritten Sekundarschule sollte ich ein Gedicht von Kästner auswendig lernen, habe es aber nicht in meinen Kopf reingebracht. Der Lehrer hatte es uns freigestellt, dieses oder ein anderes zu lernen. So habe ich mich entschieden ein eigenes zu schreiben – über den «Platzregen». Das Gedicht habe ich heute noch. Der Lehrer hat beim Vortrag eines unbekannten Gedichts immer geraten, von wem es sein könnte. Als ich meines vortrug, hat er auch den Namen eines Dichters vorgeschlagen. Das hat mich ermutigt, mit dem Dichten weiterzumachen. Mit 17 Jahren habe ich ein Gedicht an eine Wochenzeitung geschickt. Diese wollte, dass ich jede Woche eines bringe. Das war meine erste Rubrik. Seit dieser Zeit schreibe ich mindestens ein Gedicht pro Woche. Das hat einerseits so dazugehört, ein Ritual, andererseits war es auch die Herausforderung gewesen, Dinge neu zu denken und nicht in abgedroschene Reim-Schemen zu kommen, immer wieder anders zu schreiben.

Wie entsteht ein Gedicht?

Sutter: Es ist wie mit einem Teig. Am Anfang hat man ein paar Zutaten. Man lässt es im Hirn oben ein wenig kneten und staunt dann selber, wie sich alles entwickelt. Es ist wie ein meditatives Spiel von Gedanken, Worten und Rhythmen. Das mache ich jetzt über vierzig Jahre. Es ist immer noch spannend. Wenn ich nicht dazu komme, werde ich fast «hässig».
Es gibt noch einen anderen Weg: Wenn mir ein Blitzgedanke kommt, schreibe ich den grad auf. Ich habe immer einen Zettel für Themen und angefangene Sachen bei mir. Zwischendurch nehme ich mir Zeit und mache etwas aus einem dieser Aufschriebe. Es hat etwas zu tun mit verinnerlichen, herumspielen, reifen lassen. Dann schleife ich noch daran. Wenn ich den letzten Satz geschrieben habe, ist das Gedicht fertig. Danach wird es nicht mehr verändert

Zimmermann: Bei mir ist es verschieden. Wenn Stöff mir ein Gedicht schickt, habe ich eine Vorgabe. Dann befasse ich mich bewusst damit. Oder ich schreibe ein Gedicht für einen besonderen Anlass. Ich mache auch jedes Jahr ein Weihnachtslied. Beim Lied ist es noch schwieriger; da kommt noch die Melodie dazu, die ja zum Text passen und eingängig sein muss. Aber manchmal fällt mir einfach irgendetwas ein. Das ist immer am schönsten. Das habe ich ziemlich lange im Kopf, bevor ich es aufschreibe und daraus ein Gedicht wird. Wenn es fertig ist, verändere ich es auch nicht mehr.

Dichten ist für mich wie….

Sutter: …aktiv träumen und den Vorteil haben, alle Gedanken selber steuern zu dürfen. Manchmal dichte ich auch im Bett. Dann merke ich: Jetzt tauche ich ein wie in eine Meditation, wie in eine eigene Welt, die ich steuern kann.

Zimmermann: Ja, es hat auf jeden Fall etwas sehr Meditatives. Ich hab das Gefühl, es ist ein Geschenk. Ich muss nicht vielmachen. «Komponieren» bedeutet ja «zusammensetzen ». Ich habe nicht das Gefühl, dass ich etwas erfinde, sondern dass ich vorgegebene Dinge zusammenbringe. Manche Teile liegen achtlos herum. Die entdecke ich und kann sie einbauen. Manches schmeisse ich wieder raus und bin froh, dass ich es los bin. Man eignet sich die Welt immer wieder neu an. Dies kann man nicht wollen oder erzwingen. Am Schluss bin ich selber überrascht, was herauskommt. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich das gemacht hätte. Insofern hat es auch etwas Transzendentes, etwas Offenes, obwohl das Korsett sehr eng ist. Das Wechselspiel zwischen Rahmen und Offenheit, zwischen den Rahmen sprengen und sich wieder darauf einlassen, spiegelt wider, wie unser Leben überhaupt ist.

Dann fallen einem die Verse einfach so zu?

Sutter: Es gibt auch die handwerkliche Seite. In einer Radiosendung bekam ich von den Hörern drei Worte und musste daraus in wenigen Minuten ein Gedicht schreiben. Da verlass ich mich auf meine Technik. Ich konstruiere Wortspiele. Das ist eine andere Art des Dichtens. Das, was in die Tiefe geht, kann man nicht konstruieren, das wird einem geschenkt. Dies kann durchaus ein strenger Prozess sein. Man muss seine Antennen in alle Richtungen ausfahren.

Zimmermann: Es gibt zwei Varianten, mit denen man Menschen erreichen kann: Mit einem überraschenden Effekt, einer Wendung, mit der sich der andere identifiziert. Oder indem man einen Raum öffnet, in dem er sich wiederfinden und sich seine eigenen Gedanken machen kann. Wenn einem keins von beidem gelingt, hat man einfach nur schöne Reime gemacht.

Welche Reaktionen erleben Sie?

Sutter: Einmal wurde ich von einem alten Konditormeister nach St. Gallen ins Bahnhofbüffet eingeladen. Er hatte alle meine Gedichte aus dem St. Galler Tagblatt ausgeschnitten und sie so zusammengestellt und dekoriert wie eine Torte. Zu manchen Texten hatte er eigene Gedanken notiert, zum Schluss auch in Form von Gedichten. Das hat mich sehr berührt.


Interview: Detlef Kissner (15.1.19)


Ungedichtetes

Nicht alles kann man gut in Worte fassen,
auch wenn man's noch so kunstvoll schreibt,
denn Manches muss man ungeschrieben lassen,
damit es ein Geheimnis bleibt.

Oft kann man sich auch keinen Reim drauf machen,
wenn sich etwas allzu flüchtig, brüchig zeigt,
es reicht dann nur das Staunen, Weinen oder Lachen,
und es ist besser, wenn die Dichtkunst schweigt.

So hat dieses Gedicht einen besonderen Schluss,
der sich nicht mal reimen muss.
Ungesagtes ist in den folgenden vier Zeilen,
die schlicht im Schweigen verweilen:

…………………………………………
…………………………………
………………………………………
……………

GABY ZIMMERMANN


Poesie

Ein jedes Wort ist tief im Keim
ein edler, meist sakraler Reim.
Doch auf dem Weg vom Herz zum Mund
wird es oft trivial und wund.

Drum hör, willst du poetisch sein,
dem Sprechenden ins Herz hinein.

CHRISTOPH SUTTER


Serie «Dichte Worte»

In der neuen Jahresserie 2019 mit dem Titel «Dichte Worte» finden Sie ab dieser Ausgabe auf Seite 9 ein Gedicht von Christoph Sutter. In manchen Heften antwortet Gaby Zimmermann mit einem eigenen Gedicht auf seine Vorlage. So entsteht ein «dichterischer Dialog». Christoph Sutter (56) ist im Hauptberuf Sekundarlehrer. Er hat bereits zwölf Gedichtbücher veröffentlicht (siehe auch www.verse.ch). Gaby Zimmermann (60) arbeitet noch bis Sommer als Gemeindeleiterin der Pfarrei St. Johannes in Romanshorn.


 

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Gaby Zimmermann und Christoph Sutter schöpfen aus der Tiefe – auch ihre Gedichte.

Bild: Detlef Kissner

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