Evakuierung des Flügelaltars

Der drohende Felssturz in Brienz (GR) hält die ganze Schweiz in Atem. Dorfbewohner*innen und Vieh sind in Sicherheit. Nun ist auch die Kostbarkeit des Dorfes, der goldene Flügelaltar, aus der katholischen Kirche gerettet worden.

Karolina Soppa, Professorin für Konservierung und Restaurierung an der Hochschule der Künste Bern, weiss aus Sicherheitsgründen als Einzige, wo sich das sogenannte Retabel, also der Altaraufsatz, befindet. Es gibt Gerüchte, dass er in einem Bunker eingelagert worden ist.

Gut erhalten
«Besonders wichtig war es, einen Ort mit einem günstigen Raumklima zu finden, denn die Kirche in Brienz ist relativ feucht», erklärt die 45-jährige Dozentin. Zweieinhalb Tage waren Soppa und ihr Team aus acht Studierenden, zwei Dozierenden und fünf Männern vom Graubündner Kulturgüterschutz damit beschäftigt, den goldenen Flügelaltar von 1519 abzubauen. Er wurde sorgsam in Einzelteile zerlegt, in Kisten verpackt und mittels zweier Kleinlastwagen «im Schritttempo» abtransportiert. Im Akkord seien kleinere Dinge notkonsolidiert worden, um sie transportfähig zu machen, sagt die Konservatorin. Das Retabel ist 5,60 Meter hoch und mit aufgeklappten Flügeln rund 4 Meter breit. «Da gibt es Teile, die angeschraubt oder ineinandergesteckt sind. Einige konnte man nicht mehr auseinanderbauen, weil sie geklebt wurden», berichtet sie. Insgesamt habe sich der 500 Jahre alte Altar mit seinem doppelstöckigen goldenen Gesprenge-Aufbau aus Lindenholz in einem guten Zustand befunden. Auch die ölgemischten Temperafarben würden die Kunstfertigkeit der Altarbauer unterstreichen.

Unschätzbare Kostbarkeit
Beim Brienzer Flügelaltar handelt es sich laut Soppa um ein Juwel. Er wird nämlich dem legendären Yvo Strigel aus Memmingen (1430–1516) zugeschrieben. Dieser Bildhauer entstammte der gleichnamigen süddeutschen Künstlerfamilie und war eine Koryphäe des spätgotischen Flügelaltarbaus. Er leitete ab etwa 1480 eine Künstlerwerkstatt in Memmingen, die zahlreiche Altäre herstellte und diese in Süddeutschland, Graubünden, im Tirol und Tessin vertrieb. Warum sich das kleine Brienz eine solche Kostbarkeit leisten konnte, kann man nur vermuten, Urkunden liegen nicht vor. In Graubünden wurden viele Retabel als Sammelspende finanziert. «Zudem lag der Ort an einer Handelsroute über die Alpen», so Soppa.

Calixtus gewidmet
Aussergewöhnlich ist auch, dass der Altar dem heiligen Calixtus gewidmet ist, einem Märtyrer-Papst, den man im dritten Jahrhundert der Legende nach in einen Brunnen warf. «Häufig wurden Flügelaltäre Maria oder Johannes dem Täufer gewidmet», erläutert Soppa. Der Altar sei auf jeden Fall von unschätzbarem Wert. Im Juli/August soll er von der Hochschule der Künste Bern konserviert und restauriert werden. Dazu sagt Soppa: «Unser grösster Wunsch ist es, den Brienzer*innen ihren Flügelaltar so bald als möglich wieder zurückzubringen.»

Wolfgang Holz, kath.ch/Red., 22.05.2023

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Quelle: zVg
Spätgotischer Flügelaltar der Pfarrkirche St. Calixtus in Brienz (GR)
 
 

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