Metallikonografie

Am 15. November wäre Josua Boesch 100 Jahre alt geworden. Der reformierte Pfarrer und Goldschmied hat mit seinen Metallikonen eine neue Bildsprache gefunden. Eine Wanderausstellung gibt Einblick in sein Schaffen. Sie macht halt in der Kartause Ittingen.

Die Ausstellung zeigt eine repräsentative Auswahl von Ikonen in verschiedenen Grössen. Ausserdem sind sogenannte Wortikonen zu sehen, kurze Texte aus Gebeten, Psalmen und dem Tagebuch Josua Boeschs. Dessen Werke entstanden aus einer vertieften Auseinandersetzung mit Spiritualität, christlicher Mystik und dem menschlichen Dasein. 

Künstlerischer Eremit
Josua Boesch (1922–2012) kam in Niederweningen/ZH zur Welt und liess sich an der Kunstgewerbeschule zum Silber- und Goldschmied ausbilden. Nach dem Theologiestudium war er 28 Jahre lang reformierter Pfarrer. Die Taizé-Gemeinschaft diente ihm als Modell für zeitgenössische Spiritualität, für praktizierte Stille und ökumenische Verbundenheit. Nach seinem 50. Geburtstag wurde die Berufung zu einem kontemplativen Leben immer stärker. Bruder Klaus und Franz von Assisi wurden seine inneren Begleiter. In seinen letzten beiden Jahren als Pfarrer arbeitete er Teilzeit in Affoltern am Albis und war künstlerisch tätig – im Schopf neben dem Pfarrhaus. 
Der Tagebucheintrag vom 9. Januar 1974 leitet den Aufbruch ein in eine neue Lebensphase: «Im Traum schaue ich <vollendete Armut>: Abendmahlskelche und Teller, Wandbehänge aus Metall, Kreuze und Schmuck, alle aus Kupfer, Messing, Silber und ganz wenig Gold, zu einer Einheit geworden im Feuer. Im Erwachen spriessen die Ideen nur so, als würden sie vom Lebensbaum fallen. Was ist nur mit mir geschehen? Es ist wie erwachen. Endlich erwachen! Ja, das bin Ich: Pfarrer und Kunsthandwerker. Das Arme trägt das Vollendete. <Der Sand wird blühen.> (Jesaia 35,7)» So verliess Boesch seine Familie und lebte ab 1979 im Benediktinerkloster Eremo di Camaldoli als Eremit. Er richtete sich in seiner «Cella» eine Werkstätte ein. Neben künstlerischen Werken entstanden auch Übersetzungen biblischer Texte in die Zürcher Mundart. Da Rom der Ökumene zusehends frostiger gegenüberstand, verliess Boesch das Kloster und richtete sich 1985 in Farneta di Soci, ganz in der Nähe in einem ehemaligen Stall, eine neue «Cella» mit Werkstatt ein. Ab 1997 lebte er wieder in Zürich, wo er am 10. Juli 2012 verstarb. 

Schönheit Gottes
Was aus Boeschs Innerem nach aussen drängte, dafür fand er erst Jahre später einen Begriff: Ikonografie – als Einheit von Theologie und Kunsthandwerk. Allerdings erkannte er, dass er das Geheimnis der Ikone neu für sich suchen musste. Als Reformierter und als Gold- und Silberschmied konnte er nicht zurückgreifen auf die ostkirchliche Tradition. Er musste die Ikone seinen Möglichkeiten entsprechend verwirklichen. 
Boesch bezeichnete seine Kunst als «ars contemplativa». Im Tagebuch notiert er: «Ars contemplativa: Schaffen aus der Stille, aber mehr noch aus einer inneren Präsenz, der eigenen und einer anderen. Der anderen zuerst. Die macht dann die eigene erst möglich, in der Gestalt liebender Aufmerksamkeit. Kontemplative Kunst ist lebensverändernd, ein Weg, auf dem man unmerklich das eine und andere hinter sich hat, man kann nicht mehr zurück. Man wird verwandelt, neu und transparent.»
Transparenz zeigt sich auch in seinem Schaffen. So nennt er ein Werk «Leeres Kreuz». Der gekreuzigte Jesus ist zwar zu sehen, aber ohne Material. Das Metall darum herum bildet die Silhouette Christi. Christus als Leere? Für Boesch entzieht sich der Auferstandene der Sichtbarkeit. Er ist das Geheimnis der Leere. Durch die Leere «beginnt man wieder zu atmen, alles ist wieder offen. Der Wind bläst hindurch. Ein heiliger Wind», schrieb er im Begleittext zu seiner Metallikone. 
In seinen Werken sind die Arme Christi ausgebreitet, als würde der Auferstandene uns empfangen oder gar die ganze Welt umarmen. Boesch verwandelte die Marter des Gekreuzigten in eine heilsbringende Auferstehung. Gott ist deshalb sehr schön, strahlend – ausgedrückt in der Verwendung glänzender Metalle. Das schwere Material wirkt bei Boesch luftig und leicht. So hinterlässt Boeschs Kunst eine schwer zu fassende Faszination. Sie berührt unmittelbar.
 

Béatrice Eigenmann, forumKirche, 14.09.2022


Josua Boesch in der Kartause Ittingen
•    20.9.–2.10.: Wanderausstellung
•    25.9., Tag der offenen Tür mit Führung
•    29.9., 19 Uhr: Lesung «Psalmen – Johannes – Lyrik»
•    2.10., 18 Uhr: Konzert «Via resurrectionis – Auferstehungsweg», Uraufführung von Komponist Christian Enzler, mit Chor, Cello und Orgel; Texte: Pia Hirsiger
Infos: www.tecum.ch

Josua Boeschs Werk: Leeres Kreuz
Quelle: Verein Josua Boesch
Josua Boeschs Werk «Leeres Kreuz»: Die Silhouette Christi erschliesst sich aus dem Metall darum herum.

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