Das Bergpredigt-Fenster von Carl Elmpt

Zaghaft scheinen die Sonnenstrahlen durch das Glasfenster in der evangelischen Kirche Altnau und zeichnen «Die Bergpredigt Christi» in zarten Farben und leicht verschwommen auf dem Holzboden der Empore ab. Das Fenster ist schlicht und von durchsichtigen Fensterkacheln umrahmt. Doch genau diese Einfachheit macht es so besonders. Die dargestellte Szene wirkt real und aus dem Leben gegriffen. 

Abgebildet ist Jesus, umgeben von Kindern, Frauen und Männern, die ihm zu Füssen sitzen und aufmerksam zuhören. Aufrecht sitzt Jesus auf einem grossen Stein in ihrer Mitte. Seine Arme sind weit ausgebreitet und die Hände nach vorne hin geöffnet, so als würde er jeden einladen, sich dazuzusetzen und seinen Worten zu lauschen. Sein Gesicht wirkt auf den ersten Blick ein wenig ausdruckslos. Und doch spiegeln die grossen Augen und der offene Blick eine herzliche und gütige Haltung wider. Bei näherer Betrachtung scheint es, als würde Jesus jemanden leicht anlächeln. Auch ich fühle mich dadurch als Teil der Runde. Das einfache hellgrau-beige Gewand, welches Jesus trägt, lässt ihn als einfachen Mann vom Volk erscheinen. Im Gegensatz dazu steht die rubinrote Toga, die er locker um seine linke Schulter geschwungen und über seine Knie gelegt hat. Die rubinrote Farbe hebt sich von den Kleiderfarben der Menschen um ihn herum ab. Jesus wirkt dadurch besonders, ja königlich.

Jesus vereint alle Menschen
Die einen Zuhörenden schauen ehrfürchtig zu Jesus auf, einige halten den Blick gesenkt. Ihre Mienen sind nachdenklich, hoffnungsvoll und aufmerksam. Die Art und die Farben ihrer Kleider lassen vermuten, dass sie verschiedenen Gesellschaftsschichten angehören. So stehen die einfachen Kleider in Braun- und Blautönen des Mannes mit Holzstock und mit Rücken zum Betrachter in starkem Kontrast zum goldenen Gewand mit Bordüren und dazu passender eleganter Kopfbedeckung des Mannes neben ihm. 
Die Darstellung der Zuhörerschaft zeigt, dass Jesus die Gabe und die Anziehungskraft hatte, verschiedenste Menschen jeglichen Alters, Geschlechts und Standes um sich herum zu versammeln und sie dadurch zu vereinen - und das nicht in einem Palast oder in einer Synagoge, sondern unter freiem Himmel, mitten in Gottes wunderbarer Schöpfung. Passend zur Bergpredigt (Mt 5-7) sind im Hintergrund Berge abgebildet. Darunter folgt das kräftige Grün von Wäldern und Wiesen. Jesus wird als nahbarer und volksnaher König dargestellt, der Mensch geworden ist und den Menschen Gottes Wort predigt und sie dadurch zu berühren vermag (vgl. Mt 7,28-29).

Zwei Glaskünstler waren am Werk
Das Glasfenster in der Grösse von 125x100 Zentimetern ist das Mittelfenster auf der Südwestempore der Altnauer Kirche. Es bildet aber nicht nur «Die Bergpredigt Christi» ab, sondern zeigt unterhalb der Bildszene auch die beiden Familienwappen der Familie Haffner-Roth, welche das Fenster 1928 gestiftet hat. Die Bordüre und die beiden Wappen sind unter der Hand von Heinrich Röttinger (1866-1948) aus Zürich entstanden, der die bekannte Glasmalereiwerkstatt Röttinger seines Vaters übernommen hatte. Die Bildszene hingegen wurde von Glasmaler Carl Elmpt (1867-1939) geschaffen, der in Emmishofen (Kreuzlingen) wohnte und 1895 in Konstanz zusammen mit Paul Lütz die Glasmalereiwerkstatt Lütz & Elmpt gegründet hatte. 

Überblick über Jesu Leben
Nebst der «Bergpredigt Christi» sind auf den Glasfenstern in der Kirche Altnau noch andere biblische Szenen aus dem Leben Jesu dargestellt. Die ersten vier Gemälde aus der Serie der Jahre 1920/1921 zieren die Fenster auf der Kanzelseite und zeigen zum Beispiel Jesus am Ölberg oder seine Kreuzigung. Alle vier Fenster wurden von Heinrich Röttinger aus Zürich geschaffen. 1927/1928 wurden Röttinger die weiteren Fenster auf der Seite des Hauptportals in Auftrag gegeben. Dieser erschuf dann aber nur die Ornamentverglasung. Entwurf und Ausführung der Bildszenen dieser neuen Fenster, zu denen unter anderem «Die Bergpredigt Christi» gehört, überliess er nun Carl Elmpt.
Es lohnt sich, die Glasfenster in der Kirche Altnau als Lebenszyklus Jesu - bestehend aus einzelnen Lebensabschnitten und Szenen - auf sich wirken zu lassen. Sie ermöglichen einem, ganz in sein Leben von der Geburt bis zum Tod und in sein Wirken einzutauchen. Wie in einem Bilderbuch machen die Bildszenen die biblischen Geschichten ganz neu erfahr- und erlebbar. 

Simone Ullmann, 17.08.2022
 

Bergpredigt-Fenster von Carl Elmpt
Quelle: © Vitrocentre Romont (Foto: Hans Fischer)
Das Bergpredigt-Fenster von Carl Elmpt: Die Menschen hören Jesus fasziniert zu, wie er sich das Reich Gottes vorstellt.

 

Kirche Altnau
Quelle: Simone Ullmann
Die evangelische Kirche Altnau

Kommentare

+

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.
Bild-CAPTCHA
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.