Weinfelden, 8.2.22 (RNL/Red.) «Was zurzeit in der Kirche abläuft, ist zum Davonlaufen» oder «Da wird publik, was seit Jahrzehnten schon viele zutiefst verletzt und verjagt hat.» Das sind Äusserungen von Teilnehmenden, die der Einladung von P. Martin Werlen zu einer «Auskotzete» gefolgt waren, um über ihre Erfahrungen mit der Kirche zu sprechen.

Unter dem Motto «Jetzt reicht´s» hatte P. Martin Werlen, Benediktiner aus Einsiedeln und Probst von St. Gerold (A), am 28. und 29. Januar in St. Gerold Menschen die Gelegenheit geboten, ihrer Wut, Entrüstung und Enttäuschung über die jüngsten verstörenden Ereignisse in der Kirche Ausdruck zu verleihen. Die Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachtens war der Auslöser dafür. Der Anlass war innerhalb von zwei Tagen ausgebucht. Rund 40 Frauen und Männer, Diakone, Pastoralassistent*innen oder «ganz normale Christ*innen» aus Deutschland, Liechtenstein, Österreich und der Schweiz waren der Einladung gefolgt.
Zu Beginn der Veranstaltung konnten die Teilnehmenden während jeweils zwei Minuten ihre Wut und Enttäuschungen, Entsetzen und Leiden in der Probsteikirche St. Gerold offen benennen. «Die Kirche hat meine Kinder zu Atheisten gemacht» oder: «Ich verstehe, dass meine Kinder aus der Kirche austreten» waren nur einige der Zeugnisse. «Ein ehemaliger Papst, der zum Schutz der Institution und seiner Person die ganze Welt anlügt, und mit der Wahrheit nur Stück um Stück herausrückt, lässt die Sprache verschlagen», war eine weitere kritische Äusserung. Ein Saxophonist gab seinem Frust musikalisch Ausdruck. Die Statements von Missbrauch, Ausgrenzung, Angst, Vertuschung und Leid gingen den Teilnehmenden unter die Haut.

Warum sind wir noch dabei?
Es stellte sich immer wieder die Frage: «Warum sind wir noch dabei?» Die Antwort war einfach. Für alle ist die Kirche immer noch Heimat, Ort der Begegnung und Kraftquelle. Sie sind da, weil sie die Kirche lieben und nicht hassen. «Wir brauchen keine andere Kirche, aber eine Kirche die anders ist», wie es Papst Franziskus formulierte. Oder wie es Oscar Romero gesagt hatte: «Wenn viele Menschen sich bereits von der Kirche entfernt haben, dann ist das darauf zurückzuführen, dass die Kirche sich zu weit von der Menschheit entfernt hat. Eine Kirche aber, die die Erfahrungen der Menschen als ihre eigenen verspürt, die den Schmerz, die Hoffnung, die Angst aller, die sich freuen oder leiden, am eigenen Leib verspürt, diese Kirche wird zum gegenwärtigen Christus.» Schweigen oder Austreten ist keine Lösung.
Mit einem Gottesdienst wurde in den neuen Tag gestartet. In verschiedenen Gruppen wurde nach dem Frühstück über das Thema «Gutes ist immer konkret» diskutiert. Wie finden wir zu einer Kirche ohne Ausgrenzung, Macht, Missbrauch und Angst? Dabei orientierten sich die Gruppen an den Vorgaben des Papstes zum synodalen Weg. Am Schluss stellten die einzelnen Gruppen die Resultate ihrer Gespräche vor. Die Wut auf die Kirche wich zu Gunsten einer neuen Aufbruchstimmung. Es bleibt die Hoffnung, dass die Teilnehmer*innen dieses Anlasses diese Kraft weitertragen in ihre Pfarrei, in ihre Familie, in ihr Bistum. Damit diese weiterwirkt.

Rainer Naeff-Ludin/Red.

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