Redewendungen aus der Bibel

Wer endlich darüber reden kann, was ihn bedrückt, was er zu einer bestimmten Angelegenheit denkt oder was er darüber weiss, was andere vielleicht nicht wissen, der macht aus seinem Herzen keine Mördergrube.


Die Redewendung «Aus seinem Herzen eine Mördergrube machen» meint, Belastendes und Ärgerliches nicht auszusprechen, sondern für sich zu behalten. Ich muss offen zugeben: Mir passiert das immer wieder. Genau, ich mache aus meinem Herzen eine Mördergrube: «Höflich» kann man dieses Verhalten vielleicht nennen, aber auch «konfliktscheu» und «harmoniebedürftig». Es geht um das Grummeln im Magen, das man zwar vernimmt, ihm aber nicht weiter nachgeht. Dieses Grummeln – es besteht aus Verärgerung, Verletzungen und Irritationen – soll gefälligst bleiben, wo es ist. Im Magen. Und da biblisch gedacht dem Herzen eine grössere Bedeutung zukommt als dem Magen, bleibt das Grummeln eben im Herzen. Es wird nicht ausgesprochen, sondern macht das Herz zur Mördergrube.

Diese Wendung ist nicht auf den ersten Blick als biblisches Zitat erkennbar. In den heutigen modernen Übersetzungen taucht «Mördergrube» weder im Alten noch im Neuen Testament auf. Ein Blick ins Biblische Reallexikon von 1794 zeigt, dass «Mördergrube» eigentlich «Räuberhöhle» meint. Und von einer solchen spricht die Bibel an mindestens zwei Stellen: «Ist denn in euren Augen dieses Haus, über dem mein Name ausgerufen ist, eine Räuberhöhle geworden?» schimpft der Prophet Jeremia. Und «In der Schrift steht: Mein Haus soll ein Haus des Gebetes sein. Ihr aber macht daraus eine Räuberhöhle!» poltert Jesus bei der Tempelreinigung.

Jeremia und Jesus beziehen sich auf den Tempel als der «Wohnstatt Gottes», dem Ort höchster kultischer Reinheit und grösstmöglicher Gottesnähe. Paulus, der gegen - über dem Jerusalemer Tempel auf Distanz ging, sprach schon anders: «Ihr seid der Tempel Gottes», schrieb er an seine Gemeinde in Korinth, und «Euer Leib ist ein Tempel des Heiligen Geistes». Die Gemeinschaft der Christen, aber auch der einzelne Christ und die einzelne Christin, in ihrer ganz eigenen Leiblichkeit – das ist der Ort der Gottespräsenz wie auch der Gotteserfahrung. Wer streitet, so Paulus, schwächt den «Leib» der Gemeinde, wer sündigt, verdirbt den «Tempel Gottes». Und hier wird der Bogen zu unserer Redewendung geschlagen: All der Ärger und Groll, den wir einfach herunterschlucken, nicht thematisieren oder aussprechen – der schädigt den Leib als «Tempel Gottes» und macht ihn zur Mördergrube. In diesem Sinne: Raus damit! Und aussprechen, was im Magen grummelt.


Ann-Katrin Gässlein, Theologin bei der Cityseelsorge St. Gallen

Ausgabe Nr. 14/2018

Bild: Alina Martin

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