Menschen nach einer Schock-Diagnose

Es macht einen betroffen, wenn man mitbekommt, dass andere eine schlimme Diagnose erhalten. Doch wie reagiert man, wenn es plötzlich einen selbst trifft: Herzinfarkt, Krebs, MS. Was hilft dann? Und wie kann man Menschen in der Krise helfen?

Studien zeigen, wie unterschiedlich Menschen auf schwere Diagnosen reagieren. Manche schieben sie weg, andere verzweifeln, weinen, klagen, sind wütend. Wieder andere gehen relativ gut damit um oder sind erleichtert. «Endlich kannte ich die Ursachen der Schmerzen und konnte etwas dagegen tun», sagt Heinz*, ein junger Ingenieur. Anders Claire*: «Nach der Operation sagte der Chirurg überraschend, dass es bösartig war.» Da waren die Schmerzen, die Intensivstation. «Und das K-Wort – Krebs; ich schob es weg. In der Reha begriff ich, dass ich mein Leben ändern muss. Der Körper muss sich jetzt erholen – und die Seele von der Diagnose.»

Fragen und Haltepunkte

Dazu kommen materielle Sorgen: Ist der Arbeitsplatz sicher? Und viele Fragen: Gibt es emotionalen und lebenspraktischen Beistand? Wen kann man um Hilfe bitten? Wem erzählt man von der Diagnose? Wie regelt man administrative und finanzielle Fragen (Krankenkasse, Reha etc.)?

Wut, Verzweiflung, Mut, Zuversicht, Gelassenheit – all dies kann Betroffene immer wieder einholen. Es gibt keine Regel und «richtige» Reihenfolge dafür. Der Glaube kann manchen Menschen Kraft geben. Bildung hilft dagegen bei Gesprächen mit Ärzten und bei der Informationssuche. Die Begleitung einer kompetenten Person zu Gesprächen ist ebenfalls hilfreich: Wenn Erkrankte im Schock der Diagnose gefangen sind, können diese nachfragen. Selbsthilfegruppen, Institutionen, seelische Begleitung (Psychotherapie, Seelsorge) sind wichtig, eventuell auch ein Psychopharmakon.

Hilfe, die hilft

Die Diagnose trifft auch Partner, Kinder, Eltern, Freunde, Kollegen. Sie sind mit betroffen, sind auch verzweifelt, traurig, wütend, hilflos. Oft werden sie aber gar nicht gesehen. «Ich ging ganz vergessen», sagt Heinz'* Frau. Niemand fragte, wie es ihr oder den Kindern ging.

Dabei wollen viele Nahestehende «richtig» helfen. Das bedeutet auszuhalten, dass es den Betroffenen schlecht geht. Zuhören, da sein, schweigen, die Hand halten. Und konkrete Hilfe anbieten. Nicht: «Ruf an, wenn ich helfen kann», sondern «ich kann kochen, Wäsche waschen, einkaufen, was brauchst du?» Gartenarbeit, ein Ausflug mit den Kindern oder dementen Angehörigen, Begleitung zu Terminen und Spaziergängen können ebenfalls willkommen sein. Es ist wichtig anzugeben, wann und wie lange man zur Verfügung steht. Es sind immer Angebote. Die Betroffenen und die Nahestehenden entscheiden.

Herausforderung für Beziehung

Negativ sind Ratschläge oder Sprüche wie «Kopf hoch, du schaffst es». Überhaupt sind moralische Wertungen verboten, aber auch von anderen Menschen zu berichten, «die es noch schlimmer getroffen hat». «Dazu kommen noch die ‹furchtbar Frommen›», so Claire*. Die, die nach Sünden suchen (oder dem Karma), womit man sich die Diagnose «verdient» hat. Die Bibel lehnt dies übrigens klar ab!

Schwere Diagnosen sind eine Belastung für Beziehungen. Doch wenn Menschen sich gegenseitig unterstützen, kann das Leid integriert werden. Wichtig dabei ist der Austausch darüber, wie es jedem geht, Erschöpfung und Hilflosigkeit inklusive. Manchmal müssen Rollen neu verteilt werden: Wer übernimmt welche Aufgaben? Was kann man miteinander unternehmen? Es hilft, wenn Paare schon früher schwierige Veränderungen positiv bewältigt und Hilfe organisiert haben. Dies betrifft auch Freundschaften. An schweren Diagnosen zerbrechen Beziehungen oder sie vertiefen sich.

An der Grenze

Eine schwere Erkrankung löst oft existenzielle Krisen aus. Es ist wichtig, die eigenen Gefühle anzunehmen. Vielleicht ist es Zeit, Lebensziele neu zu definieren, sich von Altem und Abgelebtem zu trennen – auch weil die Kraft limitiert ist. Manche Menschen sagen, dass gerade diese Krise ihrem Leben, ihren Beziehungen und manchmal auch ihrem Glauben eine neue Intensität gegeben hat. Zum Prozess gehören Stunden, in denen man sagt: «ich finde es einfach schrecklich» – und Wachstum. Schwer zu erkranken heisst nicht, seinen Lebensmut und die Kompetenz fürs eigene Leben zu verlieren. Claire* ist dankbar, «dass Menschen um die halbe Welt für mich und die Ärzte gebetet haben. Dies zeigt mir, wie tief viele Freundschaften sind». Sie vertraut auf ein anderes gutes Leben. Mit mehr Achtsamkeit für sich selbst. Heinz* und seine Frau haben sich «tiefer gefunden». «Wir gehen bald ein Wochenende wandern. Schön langsam», lächelt er.

Christiane Faschon/Red. (19.11.19)

* Namen von der Redaktion geändert 

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Eine negative Diagnose kann Menschen in eine Krise stürzen.

Bild: pixabay.com

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