Ein neues Buch über die Heilige

Wiborada gilt als Märtyrerin der katholischen Kirche und ist die einzige Frau unter den St. Galler Hausheiligen. Doch nicht nur dort hat sie im 10. Jahrhundert gelebt und gewirkt, sondern auch im Thurgau. Die Autorin Dorothe Zürcher versucht in ihrem kürzlich erschienenen Buch «Stabilitas loci – Der Weg der Wiborada», diese Spuren nachzuzeichnen.

«Ich kannte sie vorher nicht und bin eher zufällig über ihre Geschichte gestolpert. Sie hat mich aber sofort fasziniert. Ich wollte wissen, warum sie sich dazu entschloss, sich einmauern zu lassen», erklärt die Zürcher Schriftstellerin. Also recherchierte sie drei Jahre lang alle vorhandenen literarischen Quellen und redete mit Fachleuten. Zudem legte sie einen Teil des Jakobswegs auf dem 14 Kilometer langen Teilstück von Märstetten nach Kreuzlingen zurück, auf dem Wiborada nach Rom pilgerte. «Ich wollte die Landschaft erfahren – daran die Häuser verbildlichen, die Kleidung und das gesellschaftliche Leben. Das half mir bei der Vorstellung, wie alles hier im Mittelalter ausgesehen haben könnte.» 

Menschlich und vielschichtig 

Die Autorin kam auf ihrer Route überdies an der evangelischen Kirche in Märstetten vorbei, die früher eine adlige Festung war und gelangte zur Burgruine Altenburg, die im 10. Jahrhundert noch aus einem grossen Herrenhof bestand. In beiden Örtlichkeiten könnte sich Wiborada in ihrer Kindheit und Jugend aufgehalten haben – Beweise gibt es dafür jedoch nicht. Genauso wenig, wie darüber, ob sie ihre jahrelange Askese im Wald tatsächlich alleine verbrachte oder mit mehreren Frauen in einer Gemeinschaft lebte. «Ich empfand es als Vorteil, dass es wenige Quellen gibt und dafür viele Mutmassungen – das räumte mir gewisse Freiheiten ein. Auch in ihrer Besetzung als Heilige. Ich konnte sie ein wenig vermenschlichen und vielschichtig darstellen», sagt Dorothe Zürcher. 

Einzigartige Frau

Dazu zählte ebenfalls, sich Gedanken über ihre damalige Stellung als Frau zu machen. «Sie hat bewusst und bestimmt einen anderen Lebensentwurf gewählt, was zu jener Zeit erstaunlich war», gibt die Schriftstellerin zu bedenken. Die Kirche, dessen Sicht damals rein männlich geprägt gewesen sei, akzeptierte sie zudem als Nicht-Klerikerin. «Sie wurde von den Mönchen des Gallusklosters ernst genommen und diese waren es auch, die nach ihrem Tod ihre Heiligsprechung vorantrieben», sagt Dorothe Zürcher. Sie glaubt, dass Wiborada nicht nur aufgrund ihrer Wahl zur Einmauerung eine besondere Stellung genoss, alle ihre Voraussagen mussten sich über einen Zeitraum von zehn Jahren bewahrheitet haben. «Anders ist es nicht zu erklären, dass die Mönche ihr den Ungarnüberfall vorbehaltlos glaubten. Es war das erste und einzige Mal in der Geschichte des Klosters, dass dieses evakuiert wurde», so Zürcher. 

Sarah Stutte


Wiborada (lateinische Form von Weiberat) stammte Quellen zufolge aus einer Thurgauer Adelsfamilie. Der Bruder, ein Priester, mit dem sie später eine Wallfahrt nach Rom unternahm, war ihre wichtigste Bezugsperson. Durch ihn eignete sie sich geistliche Bildung an und erlernte die 150 lateinischen Psalmen. Vermutlich befand sich die Adeligen-Festung der Familie in der näheren Umgebung von Märstetten-Wigoltingen. Dafür sprechen Schilderungen, nach denen sie täglich barfuss den Weg von Altenklingen bis zur Kirche Wigoltingen zurückgelegt haben soll. Oft wird sie aber auch auf dem Gebiet der alten Burgruine Altenklingen oder in Konstanz verortet. Im Jahr 912 gelangte sie von Konstanz über den See nach St. Gallen und lebte in einer Zelle an der Kirche St. Georgen oberhalb des Klosters. Dort begründete sie die spätere Gemeinschaft der Inklusinnen – der in Zellen eingeschlossen lebenden Einsiedlerinnen, die sich im Schatten des Gallusklosters bildete. Nach vierjähriger Probezeit liess sie sich vom Bischof im Jahr 916 in eine Zelle an der Kirche St. Mangen auf Lebenszeit einschliessen. Hier wurde sie, durch ihre Prophezeiungen, zur Ratgeberin für Klerus, Adel und Volk. Weil sie im Jahr 926 den drohenden Einfall der Ungarn in St. Gallen voraussah, rettete sie die Klosterbibliothek sowie die Mönche, die in eine nahe Burg flüchteten. Wiborada blieb ihrem Gelübde als Inklusin treu und als einzige vor Ort. Daraufhin wurde sie von den Ungarn erschlagen. Als erste Frau wurde Wiborada 1047 im offiziellen römischen Verfahren von Papst Clemens II. heilig gesprochen. Ihre letzte Ruhestätte, deren genaue Lage bei der Kirche St. Mangen heute nicht mehr bekannt ist, war über Jahrhunderte hinweg Ziel vieler Wallfahrer. Zudem erinnert heute noch die Wiborada-Kapelle bei der Kirche St. Georgen an die Heilige. Ihr Gedenktag ist der 2. Mai.


  • Infoshttp://die-aus-zuerich.ch/dz 
  • Buch: Stabilitas loci – Der Weg der Wiborada, IL-Verlag, Basel 2018, ISBN 978-3-906240-78-7 
  • Lesung: 14. November, 19 Uhr, Wyborada Frauenbibliothek, 3. Stock, St. Leonhardstr. 40, St. Gallen, Kollekte 

 

 
Der Wiborada auf der Spur: Dorothe Zürcher
in der Ruine Altenburg.
 
Bild: Sarah Stutte

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