Impulse aus der Bibel

Lügen ist kein Laster der Neuzeit. Schon vor über 3000 Jahren ermahnte das achte der Zehn Gebote die Israeliten dazu, bei der Wahrheit zu bleiben. Was verbirgt sich hinter diesem Gebot und was kann es im Zusammenspiel mit den Evangelien dazu beitragen, dass unser Leben heute gelingt?

Im Alten Testament, das mündliche und schriftliche Traditionen aus vielen Jahrhunderten vereint, wird Lügen nicht grundsätzlich verurteilt. An manchen Stellen wird es als kluge, vielleicht sogar legitime List dargestellt. Jakob gibt sich zum Beispiel vor seinem blinden Vater als sein Bruder Esau aus und erschleicht sich damit den Erstgeburtssegen, der ihn zum Oberhaupt seiner Sippe macht (Gen 27, 1-40). Wie passt das aber zum achten Gebot: «Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten»? Hier geht es um mehr, nicht nur um einen Vorteil, den man sich erschleicht. Das Gebot hat das Gericht vor Augen, das in antiken Zeiten vor den Toren der Stadt abgehalten wurde. Zeugenaussagen hatten damals eine noch höhere Bedeutung als heute. Ein Wort konnte zur Entlastung oder Verurteilung, zu Leben oder Tod führen. Von daher war eine intakte Gemeinschaft darauf angewiesen, dass die Wahrheit gesagt wurde. Doch daran hielten sich auch zu biblischen Zeiten nicht alle, wie das Beispiel von Nabot belegt, der wegen seines begehrten Weinbergs durch Falschaussagen zum Tode verurteilt wurde (1 Kön 21,13).

Gegen sich selbst

Die Zehn Gebote sind nicht als kleinliche Vorschriften zu verstehen. Sie werden einem Gott zugeschrieben, der sein Volk aus dem Sklavenhaus herausgeführt hat (Ex 20,2), der die Menschen befreien möchte. Sie sind «Warntafeln», die helfen sollen, dass das Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft gelingt. Als solche können sie bis heute wertvoll sein. Das achte Gebot setzt im Grunde schon beim Bild an, das jeder von selbst hat: «Du sollst dich nicht selbst belügen.» Unsere Selbstwahrnehmung ist oft geschönt. Die dunklen Seiten in uns möchten wir nicht wahrhaben: «Ich und nachtragend?» Ungeduld, Neid, Ungerechtigkeit, das weisen wir von uns, entdecken sie lieber bei den anderen. Wir gehören zu den «Guten». Dieses aufpolierte Selbstbild macht es uns einfach, Vorkommisse zu unseren Gunsten zu interpretieren und sie gegenüber anderen so – nämlich verdreht – darzustellen. Die Lüge beginnt bei mir selbst. Vielleicht war es Jesus deshalb so wichtig, auf den Balken im eigenen Auge hinzuweisen, anstelle sich über den Splitter im Auge der Schwester oder des Bruders zu ärgern (Mt 7,3f).

Gegen andere

Es gibt unterschiedliche Gründe dafür, dass wir uns zum Lügen hinreissen lassen. In vielen Fällen hat es mit Angst zu tun. Angst, dass das Gegenüber wütend wird, dass wir seine Liebe verlieren, dass es die Wahrheit nicht erträgt… Aber es muss uns bewusst sein, dass wir uns mit der Unwahrheit über den anderen stellen, ihn degradieren. Wir trauen ihm nicht zu, angemessen auf ein Problem zu reagieren. Dies lässt Misstrauen aufkommen, beschädigt eine Beziehung und verspielt die Chance, gemeinsam eine Lösung für ein Problem zu finden.

Aber bedeutet Wahrhaftigkeit, dass wir anderen alles sagen, was wir wissen? Ich finde, dass wir dies mit einem wohlwollenden, liebenden Blick abwägen sollten: Was tut dem anderen gut? Was trägt zu seiner Entwicklung bei? Es dürfen Geheimnisse bleiben, je nach Intensität einer Beziehung haben wir sogar das Recht, eine Auskunft zu verweigern. Das bedeutet: Wir müssen nicht immer alles sagen, aber was wir sagen, sollte wahr sein.

Freiheit und Klarheit

Nicht zu lügen, immer wahrhaftig zu sein, fällt schwer. Wir sind oft versucht, den vermeintlich einfacheren Weg zu gehen. Doch es lohnt sich, etwas zu wagen und Farbe zu bekennen. Jesus macht uns Mut dazu: «Die Wahrheit wird euch frei machen.» (Joh 8,32) Wer bei der Wahrheit bleibt, braucht nicht die Enttäuschung des anderen oder ein bohrendes schlechtes Gewissen zu fürchten. Er kann seinen Mitmenschen vorbehaltlos begegnen. Wenn sie aufgrund dieser Offenheit auf Distanz gehen, ist das deren Problem. Ausserdem ist die Wahrhaftigkeit mit einer wohltuenden Klarheit verbunden. Taktische Manöver werden unnötig, Entscheidungen können einfach getroffen werden.

Nicht zu lügen, ist also durchaus attraktiv. Und das Schöne daran ist: Wir können jederzeit damit beginnen und eigene Erfahrungen sammeln. Jesus macht es uns leicht: «Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!» (Joh 8,11).

Detlef Kissner (25.3.19)

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Sich die Wahrheit zumuten, fällt nicht leicht, lässt aber eine Beziehung wachsen.

Bild: pixabay.com

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