Französisches Kino über medizinische Grenzen

Im Film «L'Ordre des médecins» spielt die Basler Schauspielerin Marthe Keller eine Todkranke, die sich gegen den ärztlichen Rat ihres Sohnes und lebensverlängernde Massnahmen stellt. Was sie persönlich von selbstbestimmtem Sterben und Sterbehilfe hält, verrät die 74-Jährige im Interview.

Haben Sie schon einmal eine Figur gespielt, die den ganzen Film über in einem Spitalbett verbringt?

Nein. Das war eine fantastische Erfahrung. Ich musste nicht wie sonst bei Dreharbeiten darauf achten, wo das Licht war und ich bei meinem Einsatz zu stehen habe. Alle liefen um mich herum, während ich dort lag und mich völlig auf meine Sätze konzentrieren konnte. Ich habe durchgeatmet und war entspannt. Nur noch das Wort war wichtig und der Gedanke, nicht mehr die grosse Geste. Die Emotionen gehen tiefer, sind wichtiger und ehrlicher.

Was hat Sie an der Rolle gereizt?

Der Satz, den ich im Film sage: Ich habe das Leben gehabt, das ich mir gewünscht habe. Ich identifiziere mich vollkommen mit diesem Satz.

Haben Sie beim Dreh über den Tod nachgedacht?

Ich bin es gewohnt, eine Sterbende zu spielen und ich bin total fatalistisch. Der Tod gehört zum Leben. Ich habe wahnsinnig viel Glück gehabt in meinem Leben und für mich ist klar, dass das alles einmal vorbei ist. Vielleicht lebe ich noch zwanzig Jahre lang, vielleicht trifft es mich schon morgen, das ist kein Drama. Wenn es so weit ist, bestimmt. Aber jetzt nicht. Man soll das Leben ausnutzen, jeden Tag das Beste daraus machen und geniessen, so lange es da ist. 

Wie stehen Sie zum Thema selbstbestimmtes Sterben?

Wenn man weiss, dass man gehen will, soll man gehen. Für Mathilde Chaykine, die Frau, die ich im Film darstelle, spielt es keine Rolle, ob sie jetzt noch ein paar Wochen ihr Leben verlängert. Sie sagt, es ist Zeit. Ich finde das toll. Es heisst, wenn man gut lebt, stirbt man gut. Das bedeutet, dass man dann von einem gewissen Frieden beseelt ist. Man spürt die Liebe, hat gegeben und bekommen und kann loslassen. Frustration ist etwas vom Schlimmsten im Leben.

Und was halten Sie von Sterbehilfe?

Ich bin hundertprozentig für EXIT. Leiden finde ich total falsch. Genauso wie artifiziell weiterzumachen und weiterzupumpen, wenn sich jemand nicht mehr bewegen kann und vor sich hinvegetiert. Darüber kann ich mich furchtbar aufregen. Diesbezüglich hat die Religion viel kaputt gemacht.

Sie sind der Kirche also kritisch gegenüber eingestellt?

Die Kirche gibt vielen Menschen Halt, doch ihr haftet genauso viel Negatives an. Deshalb besuche ich keine Messe und bin vollkommen unkatholisch, obwohl ich katholisch geboren und getauft worden bin. Trotzdem glaube ich an etwas Höheres, das kann Gott oder auch Buddha sein. Mit dieser wirkenden Kraft spreche ich täglich und bedanke mich für jeden Tag.

Haben Sie Angst vor dem Älterwerden?

Ich hatte Probleme, als ich fünfzig geworden bin und die ersten Falten kamen. Aber jetzt nicht mehr. Von der Kraft und vom Kopf her fühle ich mich wie 20, ich spüre keinen Unterschied. Äusserlich sehe ich aus, wie ich aussehe. Ich würde aber nie ein Lifting machen, lieber gönne ich mir Massagen, meditiere und laufe stundenlang in den Bergen von Verbier. Das entspannt mich. Wenn ich nicht arbeiten würde, wäre ich vielleicht deprimierter und würde das ausbleibende Rollenangebot womöglich aufs Alter schieben. Aber ich arbeite und fühle mich wohl.

In einem Interview haben Sie einmal gesagt, dass Sie jetzt auch mehr Rollenangebote bekommen, als noch mit 40 Jahren. Das steht konträr zur vorherrschenden Meinung, für Schauspielerinnen gehe es ab 30 bergab.

Genau, eigentlich befindet man sich als Frau schon mit 25 Jahren auf dem absteigenden Ast. Zumindest in Hollywood. Ein Regisseur attestierte mir einmal meine Natürlichkeit als Grund dafür, dass ich in Altersrollen gefragt bin. Andere Schauspielerinnen meines Jahrgangs seien zu künstlich und aufgeplustert. Mit 20 reicht es manchmal vor der Kamera, wenn man hübsch aussieht und charmant ist. Wenn man aber älter wird, muss man gut sein.

Mögen Sie die Vielfalt? Sie leben an drei verschiedenen Orten, Sie haben Theater und Film gespielt, bei Opernproduktionen Regie geführt?

Ich muss verschiedene Sachen machen, ich könnte nicht nur Film oder Theater spielen oder nur eine Sprache sprechen. Ich bin sehr breit interessiert, möchte Neues entdecken und habe einen anormalen Drang zum Lernen. Länder habe ich schon viele gesehen und Reisen empfinde ich als anstrengend, aber im Kopf reisen, mich über neue Philosophien informieren und bilden, das bin ich.

Interview: Sarah Stutte (6.8.2019)


Der Film «L'Ordre des médecins» startet am 8. August in den Schweizer Kinos


Filmtipp

L’ordre des médecins Simon verhängt nach dem Tod seiner Mutter die Spiegel in seiner Wohnung. Dieser jüdische Brauch erinnert die Trauernden daran, dass der Tod alle menschliche Hybris entlarven wird und mahnt zur Demut. Simon ist ein junger Arzt, der sich bestens zurechtfindet im Spitalalltag. Er macht die Triage von leichten und schweren Fällen mit links, bandelt mit der Assistenzärztin an und im Gespräch mit den Patientinnen informiert er wenig mitfühlend. Als Simons Mutter mit einem erneuten Krebsleiden ins Spital eingeliefert wird, verliert sich seine Lässigkeit. Als klar wird, dass sie nicht mehr gesund werden wird, zerbricht Simons Welt. «L'ordre des médecins» zeigt den Clash einer Welt des Machbaren, mit der des Wünschbaren.

Frankreich 2018. Regie: David Roux. 

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«Sie ist positiv, trotz allem, das gefällt mir» – Marthe Keller über ihre Rolle als Mathilde Chaykine in «L'Ordre des médecins».

Bild: ©cineworx

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