Gedanken eines Grautiers
Der Esel ist in der Advents- und Weihnachtszeit allgegenwärtig. Als treuer Begleiter von Samichlaus und Schmutzli trägt er den Sack mit den Geschenken für die Kinder oder wacht über dem Jesuskind im Stall. Die Redaktion hat einen Esel der Eselpension « Graf & Gräfin Hofgut » in Oberhallau aufgefordert, über sich, Weihnachten und den Bezug zur Bibel zu erzählen.
Wie mir diese kalte, nasse Jahreszeit zuwider ist ! Iah ! ! ! ! Gut, habe ich einen gemütlichen Stall. Mir zieht es alles zusammen – vom Schwanz über den ganzen Rücken. Je nu. Dieses Wetter ist nicht für mich geeignet. In den Bergen wäre es einfacher bei trockener Kälte. Schliesslich gibt es auch in den Wüstengebieten, wo ich ursprünglich herkomme, kalte Nächte.
Kolleginnen und Kollegen von mir werden in dieser Zeit wieder mit Säcken beladen, um die Menschen rund um den Samichlaustag zu erfreuen – mit ihrer Anwesenheit und natürlich auch, weil sie etwas Feines mitbringen, das dann der Samichlaus oder der Schmutzli verteilt. Der Legende nach stand am Tag der Bischofsweihe von Nikolaus von Myra sein alter Esel vor der Kirche. Fortan unterstützte er ihn, den Bedürftigen zu helfen.
Für mich wären Schoggi, Mandarinli und Erdnüssli nichts. Ich liebe mageres Heu und frisches Gras. Bloss darf ich vom frischen Gras nicht zu viel haben, sonst werde ich krank. Es ist zu eiweisshaltig. Ich bin ja kein Rindvieh ! Weiden sind deshalb heikel für mich. Meine Menschen müssen schauen, dass ich nicht zu lange auf der Weide bleibe. Für mich ist das schwierig, denn ich fresse einfach alles, was ich vorfinde. Meine Urahnen mussten in der Wüste alles fressen, um nicht zu verhungern. Ich muss noch heute mehrmals täglich etwas zu knabbern haben.
Ich weiss nicht, wie die Menschen darauf gekommen sind, mich bei der Geburt des Jesuskindes dabei zu haben – zusammen mit einem Ochsen. In der Bibel steht nichts davon, dass einer meiner Urahnen an der Krippe Jesu gewesen wäre. Weder im Matthäus- noch im Lukasevangelium. Als Herdentier brauche ich mindestens einen Eselkollegen. Zudem benötige ich eine Beschäftigung. Nur so an der Krippe zu stehen, wäre mir zu langweilig. Ich will nicht damit prahlen, aber ich denke, ich bin schon einiges klüger als der Ochse, auch als ein Pferd. Meine Menschen sagen, ich sei viel intelligenter. Wenn ich mal etwas gelernt habe, dann weiss ich es auch Jahre später noch, selbst wenn ich es nie mehr gemacht habe.
Es ist eine absolute Beleidigung für mich, wenn man mich als stur bezeichnet und dumm oder meinen Namen als Schimpfwort braucht, um Menschen zu beleidigen . Iaaaaaaaahh ! Ich bin sehr sensibel und vorsichtig. Im Gegensatz zu einem Pferd lasse ich mir nichts befehlen. Man muss mich bitten. Und wenn ich keine Lust dazu habe, dann zottele ich davon. Meine Ohren sind ein ganz wichtiges Organ, mit dem ich quasi auch sehen kann. Denn ich nehme Geräusche schon von Weitem wahr. Wenn mich Menschen begleiten, hören sie beispielsweise Velofahrer nicht, die sich ihnen von hinten nähern. Und wenn ich auf einer gewohnten Strecke etwas Neues wahrnehme, muss ich mir das erst einmal genau anschauen respektive anhören, um sicherzugehen, dass es kein Angriff ist auf mich und meine Begleiter. So irritieren mich diese komischen Dinger im Rasen – ach ja, Rasenroboter heissen sie.
Da fällt mir ein, dass es in der Bibel eine Geschichte gibt, die sehr gut erklärt, wie umsichtig wir Esel handeln. Sie steht in Num 21-24 : Balak, König der Moabiter, fühlte sich von den Israeliten bedroht und wollte, dass der Magier und Wahrsager Bileam sie mit einem Fluch schwäche, um sie leichter besiegen zu können. Bileam zog mit seiner Eselin los. Doch Gott gefiel das nicht. Er stellte eine Strassensperre in den Weg, einen Engel, der mit einem Schwert bewaffnet war. Allerdings sah ihn nur die Eselin und wich ihm entsprechend drei Mal aus. Dafür erhielt sie Schläge von Bileam, der sehr ungehalten war über die vermeintliche Störrigkeit seines Reittiers. Da liess Gott die Eselin sprechen : « Was habe ich dir getan, dass du mich jetzt schon zum dritten Mal schlägst ? » Bileam erwiderte : « Weil du mich verhöhnst. Hätte ich ein Schwert dabei, dann hätte ich dich jetzt schon umgebracht. » Darauf antwortete die Eselin : « Bin ich nicht deine Eselin, auf der du seit eh und je bis heute geritten bist ? War es etwa je meine Gewohnheit, mich so zu benehmen ? » Bileam musste zugeben, dass dies bisher nicht der Fall gewesen war. Danach öffnete ihm Gott die Augen und Bileam sah, dass der Engel mit dem Schwert im Weg stand. Dank der Hartnäckigkeit der Eselin konnte Gott Bileams Auftrag korrigieren. Statt das Volk Israel zu verfluchen, segnete es Bileam und machte damit Balaks Pläne zunichte.
Was sagt die Geschichte aus ? Was uns Eseln als Störrischsein ausgelegt wird, ist in Wahrheit Vorsicht und Einsicht. Im Falle von Bileam war meine Urahnin sogar in der Lage zu realisieren, dass Bileams Vorgehen nicht gottgefällig war. Gott hat also unsere Fähigkeiten gesehen und gibt uns Spezialaufträge. So reitet Jesus am Palmsonntag auf einem jungen Esel in die Stadt Jerusalem ein (Joh 12,14). Dafür hat Gott uns mit dem Andreaskreuz versehen. Jeder Esel trägt es auf seinem Rücken. Es ist ein Symbol Gottes für den Auftrag an Palmsonntag.
Hmmmm, dabei muss es sich wohl um einen grossen Vorfahren gehandelt haben. Wenn ich gesund bleiben will und 35 bis 40 Jahre alt, dann kann ich nur einen Fünftel meines Gewichts tragen. Sonst erdulde ich Schmerzen und gehe früh heim zu meinem Vater im Himmel.
Apropos Himmel : Ich weiss sehr wohl, wo der ist. Genau deshalb trete ich in keine Pfütze, denn dort spiegelt sich der Himmel. Ich will nicht zulassen, dass der Himmel ins Wasser gezogen wird ! Überhaupt schadet die Nässe meinen Hufen. Diese sind nämlich weicher als jene der Pferde. Und mein Fell ist auch nicht dafür geeignet, im Regen zu stehen. Es wird total nass. Ich sehe lieber von einem geschützten Unterstand zu, wie das Nass aus den Wolken fällt. Pferde oder Hunde haben da weniger Schwierigkeiten, denn ihr Fell enthält mehr Fett, das das Wasser abstösst. Wo ich ursprünglich herkomme, gibt es kaum Regen. Dafür wälze ich mich gerne im staubigen Sand. Das ist Parasitenbekämpfung.
Wir Esel wissen übrigens ganz genau, wie jede und jeder in unserer Gruppe tickt. Wir sind Herdentiere. Wir können uns über Kilometer orten. Man kann uns nicht einzeln halten, da würden wir eingehen. Jede und jeder von uns hat spezielle Fähigkeiten, die wir schätzen. Es ist auch nicht so, dass es eine Hierarchie gäbe wie bei anderen Tieren. Bei uns kann jeder einmal die Gruppe anführen. Wir gehen gerne hintereinander her. Und wenn jemand von uns nicht mehr mag, weil es zu heiss ist zum Beispiel, dann warten wir alle. Wir sind solidarisch.
Wir merken auch ganz genau, wie die Menschen ticken, die zu uns kommen. Ich teste sie gerne und schaue, wie konsequent sie mit mir umgehen. Hihihi, wenn sie nicht konzentriert sind, dann fange ich halt einfach an zu fressen … Meine Menschen sagen immer, wenn ich einmal gewinne gegenüber einem Menschen, dann behalte ich die Oberhand. Aber ich spüre sehr wohl, wenn es jemandem nicht gut geht. So bleibe ich stehen, wenn ältere Menschen Schwierigkeiten mit dem Atmen haben, oder gehe besonders umsichtig um mit Menschen mit Beeinträchtigung. Wenn jemand Angst hat, dann stupse ich ihn sanft an, um ihn zu ermuntern und zu sagen, sei etwas mutiger.
Wenn ich Vertrauen gefasst habe zu meinen Menschen, dann mache ich alles für sie. Das geht sogar so weit, dass ich still leide, wenn ich zu schwere Lasten tragen muss oder krank bin. Man merkt es mir fast nicht an. Nur wenn man mich gut kennt, sieht man es. Ich bin sehr treu, zuverlässig, zäh und genügsam. Als Beschäftigung sind Scheiben von Holzstämmen oder Bälle eine tolle Sache ! Oder auch Tannenreisig, daran lässt sich so schön knabbern.
Das erinnert mich daran, dass ich nun dringend etwas zu futtern brauche …
Aufgezeichnet : Béatrice Eigenmann, forumKirche, 08.12.2025
Dieser Artikel entstand mit freundlicher Unterstützung von Denise und Hansueli Graf vom «Graf & Gräfin Hofgut» in Oberhallau sowie den Verantwortlichen des Samichlausanlasses in Homburg.
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