Über die Bedeutung des Lichtes

Unser Bild vom Advent ist geprägt von Kerzenschein und Lichterglanz. Angesichts der drohenden Energiekrise sind wir dieses Jahr angehalten, Strom einzusparen, also auch die Advents- und Weihnachtsbeleuchtung zu reduzieren. Wie wird das sein? Das Fehlen von etwas Selbstverständlichem regt an zum Nachdenken: Was bedeutet uns das Licht? Welchen Stellenwert hat es in unserer Geschichte?

Letztes Weihnachtsfest hätten wir uns nicht träumen lassen, dass die Advents- und Weihnachtszeit 2022 unter ganz anderen Vorzeichen stehen wird. Der Ukrainekrieg mit den nachfolgenden Wirtschaftssanktionen führte zu einer Verknappung von Energie. In der Schweiz wurde vor zwei Monaten die Energiespar-Alliance ins Leben gerufen, der neben vielen anderen Institutionen auch der Kanton Thurgau angehört. Sie hat zum Ziel, möglichst viel Energie einzusparen, um einem drohenden Mangel vorzubeugen. Die meisten Gemeinden haben damit begonnen, die Strassenbeleuchtung zu reduzieren. Vielerorts wurde auch die Weihnachtsbeleuchtung verringert. Private Haushalte folgen diesem Beispiel. Damit fühlt sich die Advents- und Weihnachtszeit anders an als sonst. Manche mögen dies bedauern, andere entdecken dabei Neues. Auf jeden Fall rückt das, was uns jetzt fehlt, in den Mittelpunkt: das Licht. 

Sonne als Gottheit
Für die Menschen in der Antike war die Sonne die wichtigste Lichtquelle: Sie bestimmte den Tagesablauf, spendete Wärme und war ein wichtiger Faktor für das Gedeihen der Ernte. Ihre existenzielle Bedeutung führte dazu, dass sie in vielen antiken Kulturen als Gottheit verehrt wurde. 
Ein Beispiel dafür ist der altägyptische Sonnengott Re. Er verkörperte die Sonne, sein Name bedeutet im Ägyptischen schlicht «Sonne». Re ist einer der bedeutendsten Götter Ägyptens. Später wurde Re mit Amun, dem wichtigsten Gott Thebens, zum Hauptgott Ägyptens, zu Amun-Re, verschmolzen. Dem Mythos nach entstieg Re am Anfang der Welt dem Urhügel, um die Menschheit zu erschaffen. Anschliessend zog er sich wieder in den Himmel zurück und fuhr danach tagsüber in Begleitung seiner Tochter Maat mit der Sonnenbarke durch den Himmel. Nachts durchquerte er mit einer anderen Barke das Totenreich, um am nächsten Morgen wiedergeboren zu werden. Dabei musste er die Angriffe der Unterwelt abwehren.
Die alten Griechen verehrten den Titanen Helios als Gott der Sonne. In der Mythologie steuerte er den Sonnenwagen, der von vier Hengsten über den Himmel gezogen wurde. Ihm wurde mit einer 30 Meter hohen Statue, dem Koloss von Rhodos, ein Denkmal gesetzt. 

Gott steht über dem Licht
Im Unterschied zu den antiken Mythen sieht die Hebräische Bibel (unser Altes Testament) in der Sonne keine Gottheit. Im Gegenteil – sie weist darauf hin, dass sie nur ein Geschöpf Gottes ist wie die Tiere, die Pflanzen und der Mensch. Nach der ersten Schöpfungserzählung (Gen 1) erschafft Gott gleich am ersten Tag das Licht durch sein Wort. Am vierten Tag befestigt er Sonne, Mond und Sterne als einfache «Lampen» am Himmelszelt. Auch wenn damit das Licht verweltlicht wird, werden Erfahrungen mit Gott oft mit lichthaften Ereignissen in Verbindung gebracht. So erscheint Gott dem Mose in einem brennenden Dornbusch (Ex 3,2). Den Israeliten, die vor den Ägyptern fliehen, zieht er nachts als Feuersäule voraus (Ex 13,21f).

Zeichen für Jenseitigkeit
Die Verwendung von Lichtmetaphern setzt sich im Neuen Testament fort. Bei der Verklärung Jesu auf einem Berg heisst es: «Sein Gesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden weiss wie das Licht» (Mt 17,1ff). Und danach sprach Gott «aus einer leuchtenden Wolke». 
Im Johannesprolog wird Jesus als göttliches Wort beschrieben, das auf die Welt kam. Über dieses Wort wird gesagt: «In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst» (Joh 1,4f). Später lässt der Evangelist Jesus über sich selbst sagen, dass er das «Licht der Welt» ist. «Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben» (Joh 8,12). Und kurz vor seiner Hinrichtung fordert Jesus die Menge auf: «Solange ihr das Licht bei euch habt, glaubt an das Licht, damit ihr Kinder des Lichts werdet» (Joh 12,36).
Auch das Wirken des Heiligen Geistes wird von den Jünger*innen als Lichtereignis in Form von Feuerzungen erlebt (Apg 2,1–13). Im Blick auf die Endzeit verheisst der Prophet Jesaja dem Volk Israel, dass nicht mehr die Sonne sein Licht sein wird, sondern Gott «ein ewiges Licht» (Jes 60,19). 

Christus, die wahre Sonne
Die in der Bibel grundgelegte Lichtsymbolik lebte in der christlichen Tradition weiter. Sie war wohl auch ein wichtiger Grund für die Entstehung des Weihnachtsfestes. Als nämlich Kaiser Aurelian 274 n. Chr. den kultisch begangenen Geburtstag des römischen Reichsgottes Sol invictus (übersetzt: unbesiegte Sonne) auf die Wintersonnenwende am 25. Dezember legte, kam es im jungen Christentum zu einer Gegenbewegung: Christus, der Sieger über den Tod, war für die Christen der wahre Sol invictus. Deshalb sollte an diesem Tag auch seine Geburt gefeiert werden. 
Mit dem Christbaum kam dann auch Licht in das weihnachtliche Brauchtum. Allerdings wurde dieser nicht als leuchtendes Weihnachtssymbol eingeführt, sondern entwickelte sich aus einer anderen Tradition heraus. Am 24. Dezember wurde nämlich im Heiligenkalender ursprünglich der Ureltern Adam und Eva gedacht. Man stellte in den Kirchen mit Äpfel behangene Paradiesbäume auf und führte in Mysterienspielen die Vertreibung aus dem Paradies auf. Als der 24. Dezember zunehmend als «Heiliger Abend» wahrgenommen wurde, änderte sich auch die Bestimmung des Baumes. 
Erste Belege für das Aufstellen von Weihnachtsbäumen reichen bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts zurück. Danach begann man wohl auch mit dem Brauch, diese Bäume - ausser mit Äpfeln - auch mit anderen Dingen zu behängen. Herzogin Dorothea Sibylle von Schlesien soll 1611 erstmals einen Weihnachtsbaum mit Kerzen geschmückt haben. 

Lichtzeichen
Der Brauch, einen Adventskranz aufzustellen, geht auf den evangelischen Theologen Johann Hinrich Wichern zurück, der ein Kinder- und Jugendheim in Hamburg betreute. Er führte 1839 in seiner Einrichtung den Lichterkranz ein, der schrittweise das Licht von Weihnachten näherbringt. Der Brauch fand bald in der ganzen Welt Anklang.
Licht spielt auch bei anderen christlichen Bräuchen und in der Liturgie eine grosse Rolle – vor allem in der dunkleren Jahreszeit. So werden im Advent Rorate-Messen gefeiert, an Darstellung des Herrn Kerzen gesegnet und einen Tag später der Blasiussegen mit brennenden Kerzen gespendet. In der Osternacht brennt das Osterfeuer, an dessen Flammen die Osterkerze in der dunklen Kirche entzündet wird. An St. Martin finden grosse Laternenumzüge statt.
Eine besondere Lichtgestalt ist die heilige Luzia, die das Licht in ihrem Namen trägt und deren Fest am 13. Dezember gefeiert wird. Der Sage nach soll sie ihre Mitgift an Arme verschenkt haben. Um den Weg zu finden, setzte sie sich einen Lichterkranz auf den Kopf. Damit hatte sie die Hände frei für ihre guten Gaben. In Schweden wird Luzia bis heute gefeiert, indem junge Frauen mit einem Lichterkranz auf dem Kopf ihre Angehörigen bedienen. 

Licht in der Tiefenpsychologie
Das Zusammenspiel von Licht und Schatten prägt unseren Alltag und unsere Kultur. Licht und Schatten sind aber auch Bilder, die auf psychische Dimensionen und Vorgänge verweisen. Der Psychiater C. G. Jung identifizierte mit dem Begriff des Lichtes das menschliche Bewusstsein, welches auch menschliche Selbst-Aufklärung ermöglichen kann. Der Begriff des Schattens ist bei ihm mit dem Unbewussten verbunden, mit dem, was uns an uns selbst fremd ist. Jung sah die Aufgabe des Menschen darin, «sich dessen, was vom Unbewussten her andrängt, bewusst zu werden … Soweit wir zu erkennen vermögen, ist es der einzige Sinn der menschlichen Existenz, ein Licht anzuzünden in der Finsternis des blossen Seins.» Die Theologin und Psychotherapeutin Elisabeth Grözinger erläutert dazu: «Wenn ich das Dunkle in mir mit dem Licht meines Bewusstseins anerkenne, bin ich dem Dunklen nicht ausgeliefert, kann es schon dadurch transformiert werden.»

Das Dunkle beachten
In seinem Kommentar zum Buch Hiob kritisiert C. G. Jung das christliche Gottesbild. «Jung schreibt dort sinngemäss, dass Gott zu einem <Lichtgott> verkommen sei. Man sehe nur das Lichtreiche an Jesus Christus, das Dunkle habe man abgespalten», so Grözinger. Jung plädiere dafür, auch das Dunkle, das Nicht-zu-Verstehende, das Befremdende an Gott anzuerkennen. Das habe etwas Trostreiches, Befreiendes an sich – gerade für Menschen, die an dem Gott leiden würden, welcher Schmerz und Elend zulasse, hebt Elisabeth Grözinger hervor. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf eine Liedzeile von Jochen Klepper, die das Zusammenspiel von Licht und Dunkel zum Ausdruck bringt: «Gott will im Dunklen wohnen und hat es doch erhellt.»
Für die Psychotherapeutin ist klar, dass die Annäherung an das Dunkle in Gott, aber auch in einem selbst durchaus schmerzhaft sein kann. Doch sie sieht darin die einzige Möglichkeit, neu eine Verbindung zum eigenen Selbst, zu dem inneren Kern, der einen prägt.

Sich berühren lassen
Diese Zusammenschau macht deutlich, wie Licht – sei es als Sonnenstrahl, Feuer oder Elektrizität - das Leben der Menschen über Jahrtausende geprägt hat. Wenn wir in den nächsten Wochen das Licht sparsamer einsetzen, können wir vielleicht nachempfinden, wie Dunkelheit auf vergangene Generationen gewirkt hat und wie wertvoll für sie schon der Schein einer Kerze war. Unter Umständen verstehen wir besser, was der Beter des Psalmes damit meint, dass seine Seele auf den Herrn wartet, «mehr als die Wächter auf den Morgen» (Ps 130,6). Und vielleicht inspiriert uns ja ein Advent ohne Glitzerwelt, selbst dazu beizutragen, ein wenig Licht und Wärme in diese Welt zu bringen. 

Detlef Kissner, forumKirche, 01.12.2022

Der Sonnengott Re wird in einer Barke über das Firmament gezogen (hölzerne Stele, um 600 v. Chr.).
Quelle: Guillaume Blanchard/Wikimedia Commons, CC BY-SA 2.5
Der Sonnengott Re fährt in einer Barke über das Firmament (hölzerne Stele, um 600 v. Chr.).

 

 

 

 

 

 

 

 

Feier zum Festtag der heiligen Luzia
Quelle: Foreign and Commonwealth Office/Wikimedia Commons, CC BY 2.0
Eine Gruppe schwedischer Sänger*innen gestaltet eine Feier zum Festtag der heiligen Luzia (2016).

 

 

 

 

 

 

Der Adventkranz führt aus der Dunkelheit ins das weihnachtliche Licht.
Quelle: Andreas Hermsdorf/pixelio.de
Der Adventskranz führt aus der Dunkelheit in das weihnachtliche Licht.

Kommentare

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Häring Erich

08.12.2022, 19:44

Lieber Detlef, deine Zeilen lese ich auf einer Schiffsfahrt an der Küste von Norwegen entlang. Deine Gedanken begleiten mich sehr, auch in der Tiefe, die sie zum Ausdruck bringen. Vielen Dank

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