Leserbrief zum Editorial in der Ausgabe 18/2023

Das Thema «Missbrauch in der katholischen Kirche» ist in aller Munde und die Verantwortlichen Würdenträger sind gefordert. Neu publizierte Untersuchungen der Universität Zürich förderten für die letzten 70 Jahre ca. 1002 Missbrauchsfälle und 510 Beschuldigte zu Tage. Das sind 14.3 Fälle bzw. 7.3 Beschuldigte pro Jahr. Nach einer Studie der Hochschule Luzern gibt es in der Schweiz pro Jahr bis zu 50‘000 Fälle von Misshandlungen älterer Menschen. Die Organisation Medicus Mundi geht davon aus, dass pro Jahr in der Schweiz bis zu 45‘000 Kinder sexuell missbraucht werden.

Auch Sportler sind mit Übergriffen konfrontiert. Nachdem Swiss Sport Integrity eine Meldestelle eingerichtet hat, wurde sie pro Woche mit 6 – 7 Meldungen überrascht. Bekannt wurden in diesem Zusammenhang auch die sog. «Magglingen-Protokolle». Auch die Synchronschwimmerinnen berichteten über ein Klima der Angst, was zum Rücktritt der Co-Leitung führte.

Es liegt mir fern mit diesen Zahlen die katholische Kirche reinzuwaschen. Sie hat früher versucht derartige Fälle intern und ohne grosses Aufheben zu bewältigen. Genau wie viele weltliche Behörden, die oft pädophile Lehrer einfach in ein anderes Schulhaus versetzen, oder ihnen ermöglichte in einem anderen Kanton eine neue Stelle zu suchen. So konnte man sich zusätzliche Probleme und Sozialkosten ersparen.

Wir sind alle durch die Evolution geprägte, triebhafte Menschen. Die Frage ist, wie wir damit umgehen – mit uns selber und mit solchen, die ihre Triebe nicht im Griff haben. Die Religionen haben dafür Regeln und Gebote erlassen und bieten dadurch auch Angriffsflächen für Moralisten. Es ist daher verständlich, dass wenn im „heiligen Umfeld“ Verfehlungen ans Licht kommen, die Häme gross ist. Die Medien und teilweise auch die Justiz tendieren dann zu Übertreibungen.

Dass sich die katholische Kirche ihren Problemen stellt, und an organisatorischen Präventions-Massnahmen arbeitet, darf als selbstverständlich angesehen werden. Einen Grund für Kirchenaustritte sehe ich dadurch nicht – eher für Kirchenbeitritte. Diese Organisation zeichnet sich im Vergleich zur Gesamtbevölkerung durch ein unterdurchschnittliches Missbrauchsrisiko aus.

Peter Schweizer, Neuhausen