Zur Situation von ausreisepflichtigen Flüchtlingen

Flüchtlinge, deren Asylantrag abgelehnt wurde, erhalten statt Sozialhilfe nur noch Nothilfe. Wie lässt es sich mit dieser Unterstützung leben? Auf Initiative der Arbeitsgruppe für Asylsuchende Thurgau (AGATHU) stellten Fachpersonen dar, wie sie die Nothilfepraxis im Thurgau wahr - nehmen und welche Verbesserungen aus ihrer Sicht angebracht sind.

Am 1. März 2019 trat die Neustrukturierung des Asylwesens in Kraft. Aus dem Empfangszentrum Kreuzlingen wurde in diesem Zuge ein Ausreisezentrum. Es beherbergt seither Menschen, die einen negativen Asylbescheid erhalten haben und die Schweiz verlassen müssen. Ist das nach 140 Tagen noch nicht geschehen, ist der Kanton Thurgau für deren Lebensunterhalt zuständig. Das Sozial- und das Migrationsamt des Kantons hatte eine Nothilfe-Richtlinie für die ausführenden Institutionen (u.a. Peregrina) herausgegeben, die sich am Konzept der Konferenz der kantonalen Sozialdirektor*innen (SODK) orientiert. Deren Wirkung soll nach einem Testjahr nun überprüft und, wenn nötig, angepasst werden. Die Arbeitsgruppe Nothilfe des Netzwerkes Asyl Thurgau, die aus freiwillig Engagierten in der Flüchtlingsbetreuung besteht, war eingeladen, zur Nothilfepraxis im Thurgau schriftlich Stellung zu nehmen.

Richtlinien der SODK als Vorbild
Victor Ofner von der Arbeitsgruppe Nothilfe überzeugt die kantonale Nothilfestrategie mit ihrem vierstufigen «Bestrafungsmodell» nicht. Der psychische Druck, der mit jeder Stufe erhöht werde, führe bei vielen nicht zur Ausreise, im Gegenteil: «Die Betroffenen trocknen aus. Sie sind so belastet, dass sie irgendwann gar nicht mehr ausreisefähig sind.» Die kantonalen Vorgaben müssen sich seiner Ansicht nach mehr am Konzept der SODK orientieren, das keine Verschärfung innerhalb der Nothilfe kennt und Zugang zu Beschäftigungs- und Ausbildungsprogrammen vorsieht. Aus Sicht von Iris Lagrange von der Arbeitsgruppe Nothilfe kann Nothilfe keine langfristige Lösung sein: «Deshalb haben wir gefordert, eine Härtefall-Regelung einzuführen.» Ausserdem beurteilt die Arbeitsgruppe die konkrete Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen als ungenügend. Ofner bemängelt die Zusammenlegung von Flüchtlingen, die sich noch im Asylverfahren befinden, und Ausreisepflichtigen. Das führe beispielsweise zu der Situation, dass «eine Mutter mit Kleinkind unter einem Dach mit jungen Burschen» wohnen muss. Ein unhaltbarer Zustand, zumal die Heime nachts und am Wochenende nicht betreut sind.

Perspektive durch Ausbildung
Gemäss Prof. Walter Leimgruber, Präsident der Eidgenössischen Migrationskommission, bräuchte es im Umgang mit ausreisepflichtigen Flüchtlingen «flexiblere Ansätze»: «Zum einen müsste man in manchen Fällen eine vorläufige Aufnahme aussprechen, zum anderen nach langjährigem Verbleib in der Nothilfe einen Härtefall anerkennen». Beide Regelungen würden es ermöglichen, Flüchtlingen an Integrationsmassnahmen (Sprachkurse, Ausbildung usw.) teilnehmen zu lassen. Er plädierte entschieden dafür, Kinder und Jugendliche von Flüchtlingen von den Konsequenzen der Nothilfe zu verschonen und ihnen Schul- und Ausbildung zu ermöglichen. «Das gibt ihnen und ihren Familien eine neue Perspektive.» Denn das Schlimmste sei für diese Menschen, keine Perspektive zu haben.

Detlef Kissner (14.7.20)

Iris Lagrange und Victor Ofner
Quelle: Detlef Kissner
Iris Lagrange und Victor Ofner wollen darauf hinwirken, dass die Nothilfe-praxis im Thurgau verbessert wird.

Kommentare

+

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.
Bild-CAPTCHA
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.