Neue Synagoge eingeweiht

Am 10. November wurde der Neubau der jüdischen Synagoge in Konstanz eingeweiht – auf den Tag genau 81 Jahre nach der Zerstörung der alten Synagoge. Mit dem Neubau an der Sigismundstrasse 8 entstand unweit der 1938 durch Brandstiftung zerstörten Synagoge ein neues jüdisches Gotteshaus. Es soll ein Haus des Austausches, der Begegnung und des souveränen Konstanzer Judentums sein.

«Ich war im November 1938 in unserem kleinen Haus am Schreiberweg im Klosterviertel von Kreuzlingen, als meine Mutter zu mir sagte, dass in Konstanz die Synagoge brannte. Ich war sieben Jahre alt. Vermutlich stieg noch Rauch auf», erinnert sich Rolf Wessendorf. Er notiert das alles in einem Tagebuch. Der 88-jährige Fotograf lebt heute in Schaffhausen. Die grosse Synagoge in der Sigismundstrasse 19, 1883 eingeweiht, wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 von Radolfzeller und Konstanzer SS-Leuten und anderen Offiziellen in Brand gesteckt. Der Feuerwehr wurde nicht gestattet, den Brand zu bekämpfen, einige Feuerwehrleute waren sogar unter den Brandstiftern.

Im Depot des Rosgartenmuseums wurden Pergamentblätter aus der Thora entdeckt. Sie wurden vermutlich damals im November 1938 von einem mutigen Menschen aus den Trümmern der Synagoge gerettet, ins Museum gebracht und dort vom Direktor versteckt und so vor dem Untergang bewahrt.

«Zusammenleben war einträchtig»

«Sommer '39 – Alltagsleben am Anfang der Katastrophe» hiess eine Ausstellung 2009 im Konstanzer Rosgartenmuseum. Sie zeigte auf, wie Jüdinnen und Juden mit ihren christlichen Nachbarn vor dem 9. November 1939 in Konstanz zusammengelebt hatten. Kurator Tobias Engelsing sagte damals: «Mit Beginn der liberalen Ära im Grossherzogtum Baden um 1860 öffneten die badischen Städte ihre Mauern den Juden und gewährten ihnen das Bürgerrecht – gegen erbitterte Widerstände. Aber die Neubürger brachten Kaufmannsfleiss und Integrationswillen mit. In kurzer Zeit gab es unter den Konstanzer Juden geachtete, engagierte und sehr erfolgreiche Kaufleute, die Konstanz wieder zur Einkaufstadt für den ganzen Bodenseeraum und den Thurgau machten. Andere arbeiteten als Handwerker, Ärzte oder Anwälte. Sie waren in der Freiwilligen Feuerwehr aktiv, spendeten zum christlichen Weihnachtsfest an karitative Einrichtungen und liessen 1888 ihre Synagoge in der Sigismundstrasse von ‹christlichen› Konstanzer Bauhandwerkern bauen. Das Zusammenleben war einträchtig, nahezu frei von ernsteren Konflikten.» Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) setzte auch in Konstanz die Verfolgung der Juden ein: angefangen vom ersten reichsweiten Boykott von Geschäften über die Reichspogromnacht und die Zerstörung der Synagoge bis hin zur Deportation der jüdischen Bürger in das französische Internierungslager Camp de Gurs in den Pyrenäen und von dort in die Vernichtungslager im Osten.

Gut gesichert

«Es war eine lange Geschichte, bis dieser Bau inklusive dem denkmalgeschützten Altbau entstehen konnte», sagt der verantwortliche Architekt Fritz Wilhelm aus Lörrach. Der Altbau ist Teil des jüdischen Gemeindezentrums, der eigentliche Synagogenraum liegt im Neubau. Dieser Neubau zeigt sich als eigenständiger Bau mit jüdischen Bezügen, aber Seite an Seite mit den Bestandsbauten. Das neue Bethaus, das nahe an der pulsierenden Marktstätte liegt, sollte eigentlich bereits im Frühling 2019 fertiggestellt werden. Grund der Verzögerung seien kleinere bauliche Änderungen gewesen, beispielsweise bei der Sicherheit. Die neue Synagoge sei so konzipiert, dass Unbefugte keine Möglichkeit hätten, hineinzukommen, sagte Arthur Bondarev, Mitglied der Synagogengemeinde Konstanz, gegenüber dem Südwestfunk SWR. In den letzten Wochen und Monaten, nach dem Angriff auf eine Synagoge und einen Döner-Imbiss in Halle/Saale und anderen antisemitischen Taten, sind wieder Sorgen und Ängste aufgekommen, ob denn jüdisches Leben in Deutschland noch angstfrei möglich sei.

Freude im Thurgau und in St. Gallen

«Wir freuen uns, dass nach über 70 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg in Konstanz wieder eine Synagoge gebaut wurde, welche verschiedene jüdische Religionsrichtungen unter ein Dach bringen soll», sagt Tovia Ben-Chorin, Rabbiner der Jüdischen Gemeinde St. Gallen. «Das jüdische Leben blüht heute eher in Grossstädten, deshalb freuen wir uns besonders, dass in Konstanz, einer kleinen jüdischen Gemeinde, durch den Staat eine Synagoge gebaut wurde. » Rolf Hilb, letzter Präsident der Israelitischen Gemeinde Kreuzlingen (wurde 2015 aufgelöst), sagt: «Der Synagoge-Neubau ist zweifelsohne ein erfreulicher Baustein für jüdisches Leben und ein positives gesellschaftliches Zeichen – nicht nur für Konstanz, sondern für die ganze Region.»

Urs Oskar Keller/Red. (19.11.19)


Siehe auch www.jsg-konstanz.de und www.irg-baden.de 


 

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Der Gebetsraum der neuen Synagoge.

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Die neue Konstanzer Synagoge in der Sigismundstrasse 8 von aussen.

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Gedenkstelle in der Konstanzer Innenstadt mit den Namen der am 22. Oktober 1940 nach Gurs verschleppten Juden.

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Der baden-württembergische Ministerpräsident Wilfried Kretschmann trägt sich ins Gästebuch der Synagoge ein.


Bilder: © Urs Oskar Keller/ProLitteris
 

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