Redewendungen aus der Bibel

Die Redewendung «Perlen vor die Säue werfen» meint, jemandem etwas Wertvolles überlassen oder sich für ihn einsetzen, ohne dass dieser es zu schätzen weiss.

Vor meinem inneren Auge sehe ich immer meine Grossmutter: Beim Abwasch in der Küche zischelte sie in vorwurfsvollem Ton, mit leicht nach unten gezogenen Mundwinkeln meiner Mutter zu: «Das ist doch... wie Perlen vor die Säue geworfen!» Worum es ging, war mir meistens nicht klar, und die beiden Frauen gaben sich auch selten Mühe, darzulegen, warum es jetzt so schlimm sein sollte, dass ein schlaues und hübsches Mädchen aus der entfernten Verwandtschaft auf einmal angefangen hatte, mit einem Hallodri auszugehen…

Auch mein Grossvater führte die Redewendung im Mund. Stundenlang konnte er über sein Lieblingsthema – oberfränkische Fürstenhäuser – dozieren, und er war merklich enttäuscht, wenn wir Kinder auf Durchzug stellten und darauf brannten, wieder an den Gameboy zu dürfen.

Das kraftvolle, biblische Wortbild zeigt: Es gab etwas Wertvolles, das in unwürdige Umstände geraten war. Und zwar nicht aus Versehen; vielmehr wurde dieses Wertvolle vergeben und verschenkt, und nun weiss dies der Empfänger nicht zu schätzen. Die Redewendung geht zurück auf eine Passage der Bergpredigt. Es ist Jesus selbst, der seine Freunde und Freundinnen warnt: «Gebt das Heilige nicht den Hunden und werft eure Perlen nicht den Schweinen vor, denn sie könnten sie mit ihren Füssen zertreten und euch zerreissen!» Die Perlen, von denen Jesus spricht, müssen nicht ausschliesslich symbolisch gemeint sein. Im Neugriechischen bezeichnet «margaritas» (Perlen) auch kleine Brotkrümel, und die byzantinische Kirche benannte bald Stückchen des geheiligten Brotes der Eucharistie nach ihnen. Der Kontrast zu den Schweinen, die nach jüdischem Glauben unreine Tiere sind, wird so noch grösser. Mir liegt die metaphorische Lesart näher: Jesus warnt davor, seine kostbare Lehre nicht Menschen vorzulegen, die sie nicht schätzen oder gar missbrauchen könnten. Wie geht das zusammen mit unserem Glauben an Jesus, der seine Botschaft grosszügig an alle richtet und alle willkommen heisst? Es ist der Missbrauch des kostbaren, heiligen Guts, vor dem Jesus warnt, nicht etwa die Verschwendung. Es kann das «Sinnentfremden» seiner Botschaft sein: Wenn z. B. die christliche Lehre der Liebe und Versöhnung zum Anlass genommen wird, Christinnen und Christen ein Recht auf Kritik abzusprechen. Oder wenn umgekehrt flammende Sprachbilder der Bibel als Rechtfertigung für Gewalt herangezogen werden. Dieser Art des Missbrauchs der Lehre Jesu müssen wir uns nicht aussetzen. Dann ist es besser, die Perlen des Glaubens für einen besseren Zweck aufzubewahren.

Ann-Katrin Gässlein,
Theologin bei der Cityseelsorge St. Gallen

Ausgabe Nr. 2/2018

Bild: pixabay.com

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