10 Jahre Minarett-Initiative

Am 29. November 2009 sagte die Schweizer Stimmbevölkerung Ja zum Minarett-Verbot. Muslimische Gemeinden und Verbände sind in der Kommunikation nach aussen offener geworden, wie die Moschee in Wil beispielhaft zeigt. Nach wie vor leidet der Islam in der Schweiz aber an einem negativ geprägten Medienbild.

«Eine Ohrfeige» sei dies gewesen, sagt Pascal Gemperli, Mediensprecher der Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz (Fids). Mit einem Stimmenanteil von 57,5 Prozent wurde der Bau von Minaretten in der Schweiz in der Verfassung verboten. Nur in Basel-Stadt sowie den Westschweizer Kantonen Neuenburg, Genf und Waadt wurde die Vorlage abgelehnt.

Den Dialog suchen

Dass es vor zehn Jahren zu einem solch deutlichen Ergebnis gekommen ist, schmerze viele Muslime aber bis heute. «Viele empfinden es als eine Diskriminierung. Wenn es wirklich Schwierigkeiten in islamischen Gemeinden gibt, dann ist das sicher nicht auf einen Turm zurückzuführen », sagt der Mediensprecher ernüchtert. Für die muslimischen Verbände war vor zehn Jahren klar, dass sie künftig viel aktiver informieren müssen. Die Öffentlichkeitsarbeit wurde gestärkt, die Bevölkerung wird regelmässig zu Besuchen in Moscheen und an Veranstaltungen eingeladen, der Dialog zu anderen Religionsvertretern noch intensiver gepflegt. So gesehen habe die Abstimmung auch ihr Gutes gehabt: Die Muslime seien zusammengestanden und hätten sich besser organisiert.

Auch Rückzug findet statt

Pascal Gemperle stellt zum einen fest, dass sich junge Muslime vermehrt in ihren Gemeinden engagieren, aber auch zurückhaltender seien und nicht als Muslime erkannt werden wollen. So fallen teilweise islamische Grussformeln im Beisein anderer Menschen weg oder Eltern entscheiden sich für neutraler wirkende Vornamen ihrer Kinder. «Es findet leider auch ein Rückzug statt», stellt Gemperli fest. Der Mediensprecher ist – mit Blick auf die bevorstehende Burka-Verbots-Initiative – der Ansicht, dass Muslime bei solchen Fragen heute aktiver kommunizieren. Haben die Verbände aus dem Ja vor zehn Jahren also gelernt? «Die ganze Gesellschaft hat aus dieser Abstimmung gelernt», ist Gemperli überzeugt. «Heute wird über solche Fragen viel differenzierter diskutiert.»

Neue Moschee ohne Minarett

Kurz nach der Abstimmung wurde im sanktgallischen Wil mit dem Bau einer neuen Moschee und eines islamischen Begegnungszentrums begonnen. Der einladende, ganz in weiss gehaltene Bau wurde 2017 mit einem grossen Fest eingeweiht. Die Pläne für die Moschee seien einer der Gründe für die Minarett-Verbots-Initiative gewesen, erinnerte die «Wiler Zeitung» damals. «Trotzdem oder gerade deshalb ist sie heute ein Sinnbild für die Offenheit über die Religionsgrenzen hinweg», bilanzierte die Zeitung nach dem Eröffnungsfest der Moschee ohne Minarett. Für den Wiler Imam Bekim Alimi hat sich durch die Annahme der Initiative nichts verändert, wie er gegenüber kath.ch sagte. Bei den ursprünglichen Plänen für das albanisch-islamische Zentrum wurde das Minarett weggelassen. Das bringe weder für ihn noch für die Gemeinde religiöse oder theologische Einschränkungen mit sich. Und die Moschee von Wil zeigt beispielhaft, wie offen muslimische Gemeinden kommunizieren: Auf deren Internetseite finden sich Begrüssung und kurze Informationen zuerst auf Deutsch.

Junge Muslime beziehen Stellung

In Untersuchungen des Luzerner Zentrums für Religionsforschung an der Universität Luzern wurde aber auch festgestellt, dass sich junge Muslime seit der Abstimmung vor zehn Jahren intensiver mit ihrem Glauben auseinandergesetzt haben. Ähnliches erwartet der Religionswissenschaftler Andreas Tunger-Zanetti auch mit Blick auf die Debatten um das Verhüllungsverbot. Er erinnert sich allerdings noch gut an die Reaktionen aus wissenschaftlichen Kreisen im Ausland: «Die Schweiz wurde als das Land mit dem Minarett-Verbot bekannt. Viele hatten dafür nur ein Kopfschütteln übrig.» Aber natürlich sei es das Resultat unserer direkten Form der Demokratie. Und, so ergänzt der Wissenschaftler, wäre damals in vergleichbaren Ländern abgestimmt worden, wäre es wohl zu ähnlichen Resultaten gekommen.

Friedliches Zusammenleben stärken

Eine Haltung, die Pascal Gemperli teilt: «Die mehrheitlich negativ geprägten Medienberichte machen es fast unmöglich, sich ein objektives Bild vom Islam zu machen.» Die Muslime würden dadurch generell als «gesellschaftliches Problem» wahrgenommen, sagt Gemperli und hält fest: «Wir werden aber weiter daran arbeiten, um als Mitbürger das friedliche Zusammenleben zu stärken.»

Martin Spilker/kath.ch/Red. (25.11.19)

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Die Moschee in Wil, St. Gallen.

Bild: ©1-Byte/Wikimedia Commons

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