Gedanken zu einem liturgischen Stolperstein

Vor der Kommunion sprechen die Gottesdienstbesucher* innen die Worte: «Herr ich bin nicht würdig…». Manche tun sich schwer mit diesem Bekenntnis. Sie fühlen sich dadurch herabgesetzt, klein gemacht. Gunda Brüske, Co-Leiterin des Liturgischen Instituts der deutschsprachigen Schweiz, erklärt in einem Gespräch mit forumKirche Ursprung und Bedeutung dieser Worte.

«Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.» Diese liturgische Formel geht auf eine Erzählung im Neuen Testament zurück: der Hauptmann von Kafarnaum begegnet Jesus und bittet ihn, seinen gelähmten Diener zu heilen (vgl. Mt 8,5-13 bzw. Lk 7,1-10). Gunda Brüske sind bei Impulstagen für liturgische Dienste immer wieder Menschen begegnet, die an diesen Worten Anstoss nehmen. Deshalb bietet sie am 19. September einen Kurs an, der sich dieses liturgischen Stolpersteines und anderer annimmt. Zwei Begriffe aus der biblischen Vorlage sind für sie ein Schlüssel, den Sinn der liturgischen Formel besser zu verstehen. «Kyrios» (Herr) ist in der griechischen Übersetzung des Alten Testamentes das Wort für Gott. «Wenn der Hauptmann, ein Heide, Jesus so anspricht, sagt er, dass er in ihm den Gott Israels erkennt», sagt Gunda Brüske. Ebenso weist das Wort, um das der Hauptmann bittet, auf einen umfassenderen Kontext hin: Das Wort, das Gott spricht, hat nämlich Macht. Mit ihm erschafft er die Welt und lenkt die Geschicke Israels. «Jesus soll wie Gott durch pures Sprechen den Diener heilen», betont die Theologin. Es gehe in diesem Bekenntnis also um das Verhältnis von Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf und nicht um die Würde und den Wert des Menschen in einem moralischen Sinn.

Unterschiedliches Verständnis

Die Formel «Ich bin nicht würdig», die auch Eingang in die byzantinische und äthiopische Liturgie fand, ist in der römischen Liturgie erstmals ab dem 10. Jahrhundert belegt. Sie kommt zusammen mit anderen Begleitworten zur Kommunion in deutschen und italienischen Handschriften vor. Papst Pius V. übernahm sie in sein überarbeitetes Messbuch (1570), das durch den Buchdruck eine breite Verwendung fand. Dieses Messbuch schrieb vor, dass zuerst der Priester und dann die Gläubigen das Bekenntnis drei Mal wiederholen sollen. Gunda Brüske ist froh, dass die Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil diese Form verändert hat: «Priester und Gläubige sollen die Formel gemeinsam sprechen. Das ist gut. Sie stehen ja beide als endliche Menschen vor dem unendlichen Gott.» In Gottesdiensten fällt der Liturgiewissenschaftlerin auf, dass viele sich zu diesem Bekenntnis hinknien. Diese Haltung, die stärker einen Akt der Demut betone, sei aber weder im Messbuch noch in der All - gemeinen Einführung zum Messbuch an dieser Stelle vorgesehen. Auch das begleitende Klopfen an die Brust sei kein offizieller, sondern ein volkstümlicher Gestus. Gunda Brüske gibt zu bedenken, dass mit der liturgischen Formel nicht nur Demut, sondern auch Vertrauen gegenüber Gott zum Ausdruck gebracht wird.

Unterschiedliche Widerstände

Menschen, die sich mit der liturgischen Formel schwertun, haben dafür unterschiedliche Gründe. Die einen fühlen sich durch das «Ich bin nicht würdig» herabgesetzt und klein gemacht. Gunda Brüske hält entgegen, dass es in der Liturgie ja gerade darum gehe, den Menschen aufzurichten: «Es ist die Feier der Auferstehung.» In den Begleitworten zum Kommunionempfang machen sich die Gläubigen bewusst, dass sie dem Geheimnis Gottes gegenüberstehen. Andere reiben sich an dem Wort «Seele», finden, dass sie ja nicht seelisch krank seien. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in der englischen und französischen Übersetzung stattdessen von «ich» die Rede ist. «Der Ausdruck Seele steht für unsere ganze Person, es geht um die Heilung des ganzen Menschen», so Brüske. Letztlich betreffe diese Bitte jeden, da keiner ohne Wunden durchs Leben gehe.

Liturgische Alternative

Die Theologin kennt Gemeinden, in denen das Bruder-Klausen-Gebet anstelle des «Ich bin nicht würdig» gesprochen wird. Aber auch dieses Gebet fordere die Mitfeiernden mit seiner mystischen Tiefe («nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen dir») stark heraus. «Bei beiden Begleitworten besteht die Gefahr, dass man sie einfach nur nachspricht und sie so zur blossen Formel verkommen.» Dann sei es besser, wenn jemand einen Widerstand verspüre, weil er damit offen bleibe für eine geistliche Entwicklung.


Detlef Kissner, forumKirche, 1.9.20


Nähere Infos zum Kurs «Liturgische Stolpersteine» auf www.liturgie.ch
 

Dr. Gunda Brüske
Quelle: zVg
Dr. Gunda Brüske

 

 

 

Jesus und der Hauptmann von Kafarnaum (Minitur aus dem Codex Egberti, 10. Jhd.)
Quelle: Wikimedia Commons
Jesus und der Hauptmann von Kafarnaum (Minitur aus dem Codex Egberti, 10. Jhd.)

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