Leben eines katholischen Expats in Singapur

Tess Grawehr wuchs auf den philippinischen Inseln auf, lebte aber mit ihrem Schweizer Mann in verschiedenen Ländern: in den USA, Australien und über 20 Jahre in Singapur. Jetzt wohnt sie in der Schweiz und berichtete Kirche ohne Grenzen von ihren internationalen Erfahrungen und Beobachtungen.

Sehen Sie sich selbst nach fast 30 Jahren im Ausland noch als Philippinin?

Jein. Ich war als junge Frau stolze Nationalistin und wollte nie im Ausland leben. Ich hatte auf den Philippinen eine gute Arbeit und war grundsätzlich glücklich. Ich sagte immer, dass ich keine Lust habe, irgendwo auf der Welt ein Bürger «zweiter Klasse» zu werden. In Singapur ist mir jedoch klar geworden, dass ich eine Asiatin bin und bleibe. Obwohl die Philippinen, neben Osttimor, der einzige asiatische Staat mit katholischer Bevölkerungsmehrheit ist, haben wir trotzdem viele kulturelle Gemeinsamkeiten mit den südwestlichen Nationen Asiens.

Wie ist es als Christ in Asien?

Ich war überrascht, dass es auch in einem nicht-katholischen Land wie Singapur so viele katholische Kirchen gibt. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Christen in Asien viel tiefer in ihrem Glauben verankert sind, als jene z. B. auf den Philippinnen. Das sind Menschen, die sich selbst dazu entschieden haben, Christus zu folgen, sie leben deshalb ihren Glauben bewusster. Weil ihnen die Religion nicht von Geburt an gegeben wurde, halten sie ihre Religion auch nicht für selbstverständlich. Die Pfarrer sind dort besonders hingebungsvoll und engagieren sich aktiv in der Erwachsenenevangelisierung.

Die USA ist sehr multikulturell. Ist das Leben dort ähnlich wie in Singapur?

Nein. In den USA darf man nicht nach der Herkunft fragen – dies wäre höchst unhöflich und rassistisch. In Singapur dagegen muss man in jedem Formular nicht nur die Nation und Religion, sondern sogar die Rasse angeben. Dieses Phänomen wird mit dem natürlichen Identitäts- und Angehörigkeitswunsch des Menschen erklärt. Die Regierung benutzt die Informationen, um gezielte Hilfe für diverse ethnische Gruppen zu leisten. Der Staat funktioniert als Meritokratie, es sind also die Leistung und Kompetenzen wichtig und nicht die Abstammung. Im sogenannten «Public Housing-Project» (Öffentlicher Wohnungsbau und Stadtentwicklung in Singapur, Anm.d.Red.) bringt die Regierung unterschiedliche Kulturen methodisch zueinander. Vorschriften und Regelungen bestimmen, dass sich nirgends Wohngegenden mit Leuten von ausschliesslich derselben Herkunft bilden dürfen. Die Religionen sind auch planmässig durchmischt. Praktisch in jedem Viertel gibt es Tempel, Andachtsorte, Moscheen und verschiedene Kirchen.

Wie funktioniert dieser Mix in der Praxis?

Er ist tatsächlich sehr bereichernd. Man geht mit allen Religionen sehr respektvoll um. Ich lernte durch meine Arbeit im Relocation-Management (Umzugsdienstleister, Anm. d. Red.) diverse religiöse Einrichtungen kennen. Es überraschte mich, wie viele Ähnlichkeiten es bezüglich der Rituale und Andachtsformen in den verschiedenen Religionen gibt. Überall sind Kerzen angezündet und Blumen schmücken die Altäre in allen religiösen Einrichtungen; auch Weihrauch verschiedenster Art ist in den meisten spirituellen Orten bekannt. Das sind natürlich nur die oberflächlichen Zeichen, doch auch die Glaubensethik basiert bei allen auf ziemlich ähnlichen Grundlagen.

Wie haben Ihre Erfahrungen Ihren Glauben beeinflusst?

Unser Glaube ist definitiv gestärkt worden, weil er uns bei allen Schwierigkeiten eine grosse Stütze war. Das Leben im Ausland ist nie einfach. Deswegen betet man automatisch häufiger und vertieft die Beziehung zu Gott. Der Glaube hat auch jeweils viel zum Integrationsprozess beigetragen. Natürlich wird der Kontakt zu Einheimischen vor allem durch die Schule und die Kinder hergestellt, aber die Kirche war uns immer eine sehr gute Stütze dabei und hat uns überdies geholfen, neue Leute kennenzulernen.

Interview & Übersetzung: Monika Freund Schoch (19.2.19)


The multicultural Social Design

Life of a Catholic expat in Singapore

Tess Grawehr grew up in the Philippines, but afterwards lived with her Swiss husband in different countries: in the USA, Australia and more than 20 years in Singapore. Now she settled in Switzerland and shared with Kirche ohne Grenzen her international observations.

Besides Osttimor, the Philippines is the only Catholic country in Asia, so Tess Grawehr was surprised that there are so many Catholic churches in Singapore. She says: «I have found that the faith of Christians in the rest of Asia is deeper than for example in the Philippines». These people have chosen their religion with the full awareness, so they don’t take it for granted. She also revealed: «Our faith has definitely been strengthened as it was a great support for all our difficulties while living abroad.» She marked also a further contribution of faith into the integration process: «Of course first of all the contact with locals is taken up by the school and thanks to the children, but the church has always been a very good support for us and has helped to meet new people».

The aspects of a multicultural society

Tess Grawer explained why in Singapore everyone has to type in each form not just the nation and religion, but even the race. «It is based on the man’s natural identity needs. The government uses the information also to provide targeted assistance to diverse ethnic groups». The state works as a meritocracy, so it's performance and competences that matter, not the origin of the person. In the public housing project the government brings methodically different cultures and religions together. Tess Grawehr describes this specific social design: «Practically in every district there are all kinds of temples, places of worship, mosques and various churches. It is indeed very enriching». 


Ausgabe Nr. 04/2019


 

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Tess Grawehr bei einem Bibeltreffen

Bild: Monika Freund Schoch

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