Ein besonderes Bandprojekt aus dem Thurgau

Die Gruppe «Funkesprung» (ehemals Friedheimer Spatzen) ist ein Inklusionsprojekt, bestehend aus Musikerinnen und Musikern mit einer geistigen Behinderung, die in verschiedenen Thurgauer Institutionen leben und arbeiten. Die Band pendelt zwischen Rock, Pop, Blues oder Jazz und überzeugt live mit einer unbändigen Spielfreude. Dieses Jahr feiert «Funkesprung» nicht nur Jubiläum, sondern hat auch einen grossen Auftritt an den Winterthurer Musikfestwochen. Ein Interview mit Lukas Gallati, dem musikalischen Leiter der Band.

Die Band gibt es nun schon seit 15 Jahren. Wie ist sie entstanden?

Unser Frontsänger und Leadgitarrist Lars wusste bereits vor 15 Jahren, dass in ihm ein Rockmusiker schlummert. Er lebte und arbeitete schon damals in der Stiftung Friedheim in Weinfelden, der heutigen Stiftung Vivala, und spielte dort seit jeher Gitarre. Zwei Betreuer wurden auf sein Talent aufmerksam und setzten sich für ihn und ein Musikprojekt ein, für das in der Folge noch weitere Musikerinnen und Musiker aus den Thurgauer Institutionen Ekkharthof Lengwil, Andante Eschenz, Lindenweg Wigoltingen sowie Chupferhammer und Hofacker Weinfelden einbezogen wurden. Wir haben jedoch keine direkte therapeutische Aufgabe, wir funktionieren als Band.

Aus wie vielen Mitgliedern besteht «Funkesprung» mittlerweile?

Sie besteht derzeit aus neun kognitiv eingeschränkten Menschen im Alter zwischen 28 bis 65 Jahren, die in dieser Besetzung fast seit dem Anfang zusammen musizieren. Sie spielen die verschiedensten Instrumente, von der Gitarre und dem Schlagzeug über die Kongas bis zum Djembé. Rein logistisch können wir nicht mehr Mitglieder aufnehmen, weil alle aus unterschiedlichen Einrichtungen kommen. Unterstützt wird die Band von unserem vierköpfigen Leitungsteam, einem Bassisten, der gleichzeitig Betreuer ist, einer Tontechnikerin, einem Koch und mir als Gesamtleiter des Projekts. Ich spiele aber zudem als aktives Bandmitglied E-Piano und Gitarre.

Und beides zusammen klappt, Leiter und Musiker gleichzeitig zu sein?

Ja. Als Musiker ist man immer auch ein Organisator und muss alles auf die Beine stellen. Ich werde vom Leitungsteam sehr gut unterstützt. Vor allem, wenn es um Betreuungsaufgaben geht, denn ich selbst bin darin nicht ausgebildet. Auch die Kommunikation mit den verschiedenen Institutionen und Angestellten läuft sehr gut, weil alle sehr gewillt sind, uns zu unterstützen.

Wie sind Sie zur Band gestossen?

Durch meinen Vorgänger Andi Reinhard, der heute in Thailand lebt. Er war von Beginn an bis 2012 musikalischer Leiter der Band, die sich damals noch «Friedheimer Spatzen » nannte. Da wir beide Jazzmusiker aus Frauenfeld sind, kannte ich ihn schon vorher. Er holte mich als Musiker dazu, mit der Absicht, dass ich zu einem späteren Zeitpunkt das Ruder übernehme.

Warum bekam die Band einen anderen Namen?

Bis im April 2019 hiessen wir noch «Friedheimer Spatzen», weil die Projektidee in der Stiftung Friedheim geboren wurde. Als sich das Wohnheim aber umbenannte, lag auch bei uns ein Namenswechsel auf der Hand. Zudem wurde mit dem Bandnamen vielfach ein Kinderchor oder eine volkstümliche Band assoziiert, weshalb wir für gewisse Veranstalter oft von vorneherein für Konzerte nicht in Frage kamen. Deshalb entschieden wir uns in einem Workshop für den Namen «Funkesprung».

Inwiefern funktioniert ihr anders als andere Bands?

Wir arbeiten ohne Noten. Einmal in der Woche proben wir in der Stiftung Vivala, die uns als unser grösster Sponsor einen eigenen Proberaum zur Verfügung gestellt hat. Dabei lernen wir die Songs auswendig. Unsere Musik lebt von der Repetition und von der Zeichensprache. Denn in den Proben und auf der Bühne tauschen wir uns sehr viel mit Zeichen aus, mit deren Hilfe die Musikerinnen und Musiker wissen, was sie zu tun haben. Daneben setzen wir auch stark auf Percussion-Instrumente, weil sie sich sehr gut einbinden lassen und für diejenigen unserer Bandmitglieder, die ein wenig stärker eingeschränkt sind, leichter spielbar sind. Sie müssen sich keine Harmonien merken und können einfach mitmachen.

Ihr improvisiert also auch viel?

Durchaus. Unser Grundprinzip lautet: Wir spielen einfach. Es gibt sehr wenige Vorgaben, wir setzen auf das, was vorhanden ist. Mein Job ist es, herauszufiltern, an was wir weiterarbeiten und mir Gedanken darüber zu machen, in welche Richtung sich ein solcher Input entwickeln kann. Daraus entstehen meistens zwei bis dreiteilige Songs, die dann auf Zeichen à la Refrain und Strophe funktionieren und sich in den verschiedenen Teilen dynamisch voneinander abgrenzen. Daneben versuche ich, für einzelne Musiker auch solistische Parts in den Songs unterzubringen, dort wo sich welche anbieten. Hier dürfen sie auch improvisieren und müssen sich nicht an eine Struktur halten.

Alle Songs entstammen also eurer Feder?

Ja. Die Musik ist das Produkt der Band, wir spielen keine Coverversionen. An den Songs schreiben wir alle gemeinsam. Ich lenke nur die Vorschläge, die Ideen selbst kommen aber von den Musikerinnen und Musikern.

Ihr spielt vor allem rockige Songs, bedient ihr auch andere Stile?

Ja, unser Ziel ist es, möglichst viele Stile abzudecken. Durch unser Instrumentarium mit E-Gitarre, Schlagzeug und E-Bass liegt Rock natürlich nahe. Doch wir spielen von Pop, Blues und Jazz über Groove und Funk bis zu Samba, Latin sowie Bossa Nova eigentlich alles. Dadurch kann man uns nicht schubladisieren. Unser Slogan lautet: Musik ohne Filter. Wir sind ein spezielles Projekt und dürfen auch so tönen.

Dabei vermischt ihr auch Stile innerhalb eines Songs, oder?

Genau. Wir bedienen uns verschiedenster Elemente. Auf einem Konzert hören die Besucherinnen und Besucher dann plötzlich einmal einen Synthesizer im Hintergrund, dort, wo sie keinen erwartet haben. Bei uns spielt auch immer eine Handorgel mit, die man in einer klassischen Rockformation eher selten hört. Es ist schön, die Menschen überraschen zu können.

Was gibt das Projekt denjenigen, die dort mitspielen?

In erster Linie macht es ihnen extrem viel Spass. Die Freude an der Gemeinschaft und an der Musik ist sehr gross. Wir merken, wie die Bandmitglieder dabei aufblühen, und das ist grossartig. Sie fühlen sich bestätigt und dadurch auch im Alltag wohler. Wir machen ja auch sonst noch sehr viel zusammen, haben schon zwei CDs aufgenommen, waren schon zusammen im Ausland oder in Theaterproduktionen und Musicals involviert. Alle zwei Jahre organisieren wir zudem Anfang August ein grosses einwöchiges Sommerlager an einem wechselnden Ort. Diese Musikprojektwoche gibt uns Gelegenheit, einmal anders zu arbeiten als nur zwei Stunden in der Woche, ist überdies aber natürlich mit Freizeit verbunden. Dadurch wird der Zusammenhalt enorm gestärkt und mit all diesen Unternehmungen eine Beständigkeit geschaffen. Diese Konstante ist, neben der wöchentlichen Probe, immer ein grosser Motivationsschub.

Haben die Musikerinnen und Musiker auch einmal keine Lust auf eine Probe?

Das gibt es auch. Sie haben, genau wie alle anderen, bessere und schlechtere Tage. Das ist aber nicht so schlimm, sie kommen trotzdem gern zur Probe. Motivation und positive Willenskraft überwiegen. Über die Auftritte freuen sie sich immer. Sie stehen gern auf der Bühne und agieren auf dieser nicht zurückhaltend. Sie legen immer mit Volldampf los. Für mich als Musiker ist das eine ganz tolle Erfahrung. Diese Haltung zu spüren, völlig im Moment zu sein. Das hat mich auch persönlich weitergebracht.

Eure Auftritte sind ganz unterschiedlich, einmal Chilbi, einmal Festival, auf der WEGA seid ihr auch schon gewesen – wie sind die Reaktionen der Besucher?

Wir kommen mehrheitlich sehr gut an, vielleicht auch, weil wir Erwartungen brechen. Viele Zuschauer sind erstaunt über die Energie, die sich von der Bühne aus auf sie überträgt. Wir haben schon viel für verschiedene Institutionen gespielt, also in einem geschützten Rahmen. Uns freut es aber insbesondere, wenn wir an die Öffentlichkeit gehen können und vor Leuten spielen, die keine Ahnung haben, wie diese Welt aussieht. Daraus ergeben sich oft schöne Begegnungen, auch neben der Bühne. Der kommende Auftritt an den Musikfestwochen ist für uns grandios, wir freuen uns riesig darauf. Auch beim Auftritt an der WEGA vor vier Jahren hatten wir viel Laufpublikum, das zufällig auf uns aufmerksam wurde, das hat grossen Spass gemacht.

Spielt ihr zum ersten Mal an so einem grossen Event wie den Musikfestwochen?

Ja, das ist für uns ein Highlight. In den letzten sieben Jahren haben wir immer das Alternativfestival Out in the Green Garden in Frauenfeld eröffnet. Dieses Jahr konnten wir zum ersten Mal nicht zusagen, weil der Termin mit unserem Lagerdatum kollidierte. Dafür ging das Tor zu den Musikfestwochen auf. Wir achten stets darauf, dass wir kein allzu strenges Programm mit zu vielen Daten planen, um die Band nicht zu überfordern.

Nach aussen sprecht ihr vor allem von Menschen mit einer besonderen Begabung und nicht von Menschen mit einer Behinderung. Um Vorurteilen den Wind aus den Segeln zu nehmen?

Ja, genau. Das Wort «Behinderung» hat eine negative Prägung. Doch die Bezeichnung «Menschen mit speziellen Fähigkeiten » ist mittlerweile auch schon veraltet. Sie sind ja keine Superhelden, sondern Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Das ist sicher eine Gratwanderung: Wie findet man die richtige Bezeichnung für sie, ohne sie abzuwerten. Diese Diskussion findet derzeit in der gesamten Institutionslandschaft statt und bringt wissenschaftliche Begriffe wie «neurotypisch» hervor. Für mich machen sie einfach Musik, genauso wie andere Musiker, aber auf ihre eigene Art.

Interview: Sarah Stutte (6.8.2019)


Die Band «Funkesprung» spielt am 11. August an den Musikfestwochen Winterthur, 15 Uhr, Kirchplatz.


Sponsoren und Gönner gesucht!
Da das Projekt «Funkesprung» keinen therapeutischen Ansatz verfolgt, wird es kantonal nicht subventioniert. Deshalb ist das Leitungsteam froh über jegliche finanzielle Unterstützung, die für die verschiedensten Projekte oder den Ersatz von Instrumenten eingesetzt werden kann. (www.funke-sprung.ch)


 

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Lukas Gallati, musikalischer Leiter und Bandmitglied von «Funkesprung».

Bild: Sarah Stutte

 

 
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Die Band freut sich auf den grossen Auftritt an den diesjährigen Musikfestwochen.

Bild: zVg

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