Porträt einer grossen Dichterin

Beeindruckend sind die Wendungen im Leben von Mascha Kaléko (1907–1975) und wie sie diesen begegnet: die Ächtung durch die Nazis, die Emigration in die USA und der frühe Tod ihres Sohnes. Beeindruckend sind vor allem ihre Gedichte, in denen sie das Erlebte verarbeitet und deutet. Bis heute finden sich Menschen in ihren Worten wieder.

Menschen, die Mascha Kaléko begegneten, erinnern sich auf jeden Fall an sie. In jungen Jahren war es ihr Charme, ihr Humor und ihre Wortgewandtheit, die Eindruck hinterliessen, auf dem Sterbebett ihre liebenswerte Art. «Sie war so kongruent mit ihrer Poesie und mit ihrer Ausstrahlung, das war faszinierend… Sie war ja von grosser Lebhaftigkeit und einem unglaublichem Charme», beschreibt sie die Schauspielerin Gisela Zoch-Westphal. Mascha Kaléko wird am 7. Juni 1907 im galizischen Chrzanów (Österreich-Ungarn, heute Polen) geboren. Ihre Mutter ist österreichische Jüdin, ihr Vater russischer Jude. Aus Furcht vor Pogromen zieht 1914 zunächst die Mutter mit ihren beiden Töchtern nach Frankfurt am Main, wo Mascha die Volksschule besucht. 1918 findet die Familie in Berlin eine neue Bleibe. Da ihr Vater der Meinung ist, dass ein Mädchen nicht studieren braucht, beginnt sie mit 18 Jahren eine Bürolehre. Nebenher besucht sie Abendkurse in Philosophie und Psychologie.

Vielversprechendes Talent

1928 heiratet sie den Hebräischlehrer Saul Aaron Kaléko. Ihre Ehe ist nicht von Dauer und wird zehn Jahre später geschieden. Mascha Kaléko heiratet den polnischstämmigen Musikwissenschaftler Chemjo Vinaver, der auch der Vater ihres 1936 geborenen Sohns Evjatar ist.

Schon Ende der Zwanziger Jahre kommt Mascha Kaléko mit der künstlerischen Avangarde Berlins in Kontakt. Im Romanischen Café lernt sie literarische Grössen wie Else Lasker-Schüler, Erich Kästner oder Joachim Ringelnatz kennen. Mit 22 Jahren beginnt sie, in verschiedenen Zeitschriften eigene Gedichte zu veröffentlichen. In ihnen greift sie Alltägliches auf, das, was die Menschen in der Grossstadt bewegt: das Aufstehen, den Traum vom Ruhm, Geldsorgen, Abschied und Einsamkeit… Die Mischung von Melancholie und einer Prise Ironie, die ihre Gedichte prägt, wird zu ihrem Markenzeichen. Bereits 1933 publiziert der renommierte Rowohlt-Verlag ihr Gedichtband «Das lyrische Stenogrammheft», 1935 folgt ihr «Kleines Lesebuch für Grosse».

Auf die «leuchtenden Jahre» in Berlin folgt «die grosse Verdunkelung» – wie es Mascha Kaléko rückblickend beschreibt: Das nationalsozialistische Regime belegt die jüdische Dichterin mit einem Schreibverbot und erklärt ihr «Lyrisches Stenogrammheft» zum «unerwünschten Schrifttum». Sie versucht ihren Lebensunterhalt mit Übersetzungen zu verdienen. Im September 1938 wandert sie zusammen mit Mann und Kind in die USA aus.

Im Zwiespalt

Da ihr Mann im neuen Land beruflich nicht Fuss fassen kann, muss Mascha Kaléko nach dem Erlernen der englischen Sprache mit Übersetzungen und Werbetexten für das Familieneinkommen sorgen. Gedichte schreibt sie weiterhin in ihrer Muttersprache, so z. B. verschiedene Kindergedichte. 1945 veröffentlicht ein amerikanischer Verlag ihre «Verse für Zeitgenossen».

Das Leben fern der alten Heimat ist von zwiespältigen Gefühlen geprägt: Einerseits vermisst Mascha Kaléko Berlin und Deutschland, andererseits schmerzt sie die Erinnerung an das Land, das sie vertrieben und ihren Verwandten den Tod gebracht hat. So ist es ihr erst zehn Jahre nach Kriegsende möglich, wieder dorthin zu reisen. Trotz neuer Veröffentlichungen in Deutschland und anfänglicher Erfolge gelingt ihr das erhoffte Comeback nicht. 1960 wird sie für den Fontane-Preis nominiert. Als sie aber erfährt, dass ein Jurymitglied der Waffen-SS angehörte, zieht sie ihre Kandidatur zurück.

Schicksalsschläge

Noch im gleichen Jahr zieht Mascha Kaléko mit ihrem Mann nach Jerusalem. Während er dort versucht, einen neuen Chor aufzubauen, kommt sie am neuen Wohnort nie richtig an. Sie lernt kaum Hebräisch und lebt dadurch sehr isoliert. Ihr Unglück erreicht den Höhepunkt, als ihr musikalisch hochbegabter Sohn mit nur 31 Jahren nach einer schweren Krankheit in New York stirbt. 1973 folgt ihm auch ihr Mann. In der Todesanzeige steht ein Satz, der ahnen lässt, wie schwer sie an ihrem Schicksal trägt: «Bedenkt: den eigenen Tod, den stirbt man nur, doch mit dem Tod der anderen muss man leben.» Trotz dieser Schicksalsschläge bekommt sie neue Kraft zum Schreiben. Es entstehen nochmals sehr leidenschaftliche Gedichte. Mascha Kaléko stirbt am 21. Januar 1975 bei einem Zwischenhalt in Zürich an den Folgen einer Magenkrebs-Erkrankung.

Detlef Kissner (29.4.19)


Siehe auch www.maschakaleko.com


 

 

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Mascha Kaléko im Mai 1938 in Berlin

Bild: © Deutsches Literaturarchiv Marbach

 

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Bild: zVg

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