Gedanken zum Jubiläum der AGCK.CH

Vor 50 Jahren – am 21. Juni 1971 – riefen die drei grossen Landeskirchen die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Schweiz (AGCK.CH) ins Leben, eine ökumenische Plattform, der heute 12 kirchliche Gemeinschaften angehören. forumKirche sprach mit Anne Durrer, der Generalsekretärin der AGCK.CH darüber, wie sich die Ökumene in dieser Zeit entwickelte und vor welchen Herausforderungen die Kirchen heute stehen. 

Die AGCK.CH feiert ihr 50-jähriges Bestehen. Was gibt es rückblickend zu feiern?

Das Wichtigste ist, dass es uns überhaupt gibt. In der Schweiz und in wenigen europäischen Ländern ist die römisch-katholische Kirche Mitglied bzw. sogar Gründungsmitglied. Das ist nicht selbstverständlich, in vielen Ländern ist das nicht der Fall. Bei uns waren die zwei grossen Kirchen von Anfang an mit dabei.
In den letzten Jahren hat sich die AGCK.CH bei Religionsartikeln und beim Lehrplan 21 eingebracht und die Feier für die Eröffnung des Gotthard-Basistunnels organisiert. Auch bei der gegenseitigen Taufanerkennung sind wir weit gekommen. 
In der Ökumene hat sich viel getan. Als ich ein Kind war, gab es noch viele Animositäten unter den Konfessionen, z. B. wenn ein katholisches Mädchen einen reformierten Freund hatte. Gespräche auf allen Ebenen – auch auf nationaler – haben dies verändert. 

Die AGCK agiert nicht nur auf nationaler Ebene.

Die AGCK verbindet zum einen die Kirchen auf nationaler Ebene. Sie sind meistens durch Personen in Leitungsfunktionen dort vertreten. Zum anderen gibt es auch Gremien der AGCK auf kantonaler und lokaler Ebene. Wir verfolgen auf allen Ebenen das gleiche Ziel. Die AGCK.CH hat keinen direkten Kontakt zu den Gläubigen an der Basis. Das ist eher die Aufgabe der lokalen AGCKs, die z. B. zur «Gebetswoche für die Einheit» einladen.

Vor zwei Monaten hat die AGCK den 20. Jahrtag der Unterzeichnung der Charta Oecumenica digital gefeiert. Welche Bedeutung hat diese Charta für die Schweiz?

In der Schweiz wurde die Charta im Jahr 2005 unterschrieben. Sie gilt als Kompass für die Ökumene in Europa und auch in der Schweiz auf allen Ebenen. Ein Vertreter der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) hat bei diesem Anlass hervorgehoben, dass die Charta nicht als ein Lehrbuch gedacht sei, in dem man Tipps oder Rezepte finde, sondern als eine Anregung dafür, dass die Kirchen sich auf einen Weg machen würden. In diesem Sinn ist die Charta nie abgeschlossen. Sie ist ein Prozess, ein Ziel, das man immer wieder verfolgen muss. 

Was bedeutet das konkret?

Ökumene ist getragen von Menschen. Wenn eine neue Generation heranwächst, müssen Beziehungen wieder neu aufgebaut und gepflegt werden. Sonst ist das Risiko gross, dass die Wege wieder auseinandergehen. In der Schweiz sind die drei grossen Kirchen schon lange miteinander unterwegs. Nach und nach sind weitere Kirchen dazugekommen, die integriert werden mussten.

Wie gelingt dieses Zusammenwachsen?

Die drei Landeskirchen haben eine andere Ausgangslage. Sie haben bestehende Kontakte zu den Behörden, was bei den anderen weniger der Fall ist. Das zeigte sich z. B. bei den Reaktionen auf die Corona-Massnahmen gegenüber dem Bundesamt für Gesundheit (BAG). Ausserdem vertraten die einzelnen Kirchen gegenüber dem BAG unterschiedliche Interessen z. B. in Bezug auf Massnahmen, die ihre liturgische Praxis betrafen. Die Kirchenlandschaft ist sehr vielfältig. Deshalb braucht es Orte, an denen sich die Kirchen austauschen und erfahren können, welche Sichtweisen die einzelnen Mitgliedskirchen haben. 

Von katholischer Seite aus ist die Ökumene zurückgebunden an Entscheidungen des Vatikans. Welchen Sinn macht es da, dass man sich in der AGCK.CH austauscht?

Es ist klar: Fragen, wie die der eucharistischen Gastfreundschaft, können wir nicht für die Schweiz lösen. Aber es gibt dennoch Spielraum. Ein konkretes Beispiel ist die gegenseitige Taufanerkennung. Sie besteht seit 1973 unter den drei Landeskirchen, 2014 kamen drei weitere Kirchen dazu. Nach eingehenden Gesprächen mit der Neuapostolischen Kirche soll auch diese einbezogen werden. Die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) war für die Erweiterung, befragte daraufhin Rom und erhielt grünes Licht für die Taufanerkennung in der Schweiz. Der SBK war es auch wichtig, dass die reformierte Kirche einverstanden war. Der Austausch aller Kirchen miteinander entwickelt eben eine andere Dynamik als ein nur bilateraler. 

An welchem Punkt steht die AGCK heute? Welche Projekte verfolgt sie derzeit?

Am 8. Juli werden die Kirchen die gegenseitige Taufanerkennung mit der Neuapostolischen Kirche unterschreiben. Am 4. September beteiligen wir uns an einem internationalen Schöpfungstag mit der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland und dem Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich. Bewahrung der Schöpfung ist ein Thema, das die Kirchen verbindet. 
Im Oktober soll ein Forum chrétien romand in der Westschweiz stattfinden. Es greift die Idee des Global Christian Forum auf, das vom Ökumenischen Rat der Kirchen initiiert wurde, um mit pfingstcharismatischen und freikirchlichen Gemeinden in Kontakt zu kommen. Diese sind nämlich in keinem ökumenischen Gremium vertreten. In einem solchen Forum führt man keine akademischen Diskussionen, sondern tauscht sich in kleinen Gruppen über seinen Weg mit Christus aus. Die Gespräche dauern ähnlich wie bei einem Speed-Dating nur sieben Minuten. 

Was braucht es um Mitglied bei der AGCK.CH zu werden?

Dies ist in den Statuten geregelt. Weil die AGCK.CH national ausgerichtet ist, muss eine kirchliche Gemeinschaft, die Mitglied werden möchte, national bzw. sprachregional vertreten sein. Sie muss ausserdem das Ziel der AGCK.CH unterstützen, «die bestehende Einheit der Kirchen auf Grundlage der Heiligen Schrift zu bezeugen und die Zusammenarbeit der Kirchen zu fördern».

Mit dem Oecumenica Label zeichnete die AGCK.CH wegweisende ökumenische Projekte aus. Um diese Auszeichnung ist es in letzter Zeit still geworden…

Ja, das ist so. Das Label ist nicht überall gleich begehrt. In der Westschweiz ist es relativ wichtig. Die, die es verliehen bekamen, möchten es unbedingt erneuern. In der Deutschschweiz ist der Ruf des Labels weniger ausgeprägt. Es herrscht die Ansicht, dass Aufwand und Nutzen in keinem Verhältnis stehen. Das Hauptkriterium, dass drei Kirchen beteiligt sein müssen, ist manchmal schwer zu erfüllen. Das müssen wir nochmals überprüfen. 

In Deutschland wird gerade darum gerungen, wie sich eucharistische Gastfreundschaft gestalten lässt. Inwieweit beschäftigt dieses Thema auch die AGCK?

Das ist bei uns weniger Thema. Wir treffen uns eher zu einem gemeinsamen Gebet, einer Vesper oder einem Wortgottesdienst ohne Eucharistie. Als 2017 das Jubiläum «500 Jahre Reformation» und der 600. Geburtstag von Niklaus von der Flüe ökumenisch gefeiert wurden, gab es eine Symbolhandlung mit Brot, die bewusst keine Eucharistie und kein Abendmahl war.

Vor welchen Aufgaben steht die AGCK.CH?

In letzter Zeit haben wir versucht, engere Kontakte zu den kantonalen AGCKs zu knüpfen. Wir möchten regelmässige Treffen mit den Präsident*innen und gemeinsame Aktionen initiieren. Ausserdem planen wir einen gemeinsamen Internetauftritt.
Ein wichtiges Anliegen ist, dass die christlichen Kirchen von aussen mehr als Einheit wahrgenommen werden. Für die Gesellschaft ist es nicht mehr nachvollziehbar, dass die Kirchen unterschiedliche Positionen haben. Das macht sie unglaubwürdig. Wir haben den Auftrag von Jesus, die Einheit der Kirche zu bezeugen. 

Wie wird die AGCK ihr Jubiläum feiern?

Normalerweise hätten wir es gern am 21. Juni gefeiert. Wegen Corona haben wir in den November verschoben. Wir planen einen Gottesdienst in der Predigerkirche in Basel, in dem wir auch den Vorgänger*innen für ihre Klarsicht und ihren Einsatz danken möchten. Es wird ein Podiumsgespräch mit den Kirchenleitungen über ihre Sicht der Zukunft und die Perspektiven für die Ökumene geben.

Interview: Detlef Kissner, forumKirche, 4.6.21


Respekt und Achtsamkeit fördern

Ökumene auf kantonaler Ebene
 

Derzeit gibt es zehn Organisationen der AGCK auf kantonaler und regionaler Ebene. Eine von ihnen ist die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen und Gemeinden im Kanton Schaffhausen (AK+SH).

«Diese Form der Ökumene hat im Kanton eine lange Tradition. Sie existiert seit den 80-er Jahren», weiss Matthias Eichrodt, Kirchenrat, evangelisch-reformierter Pfarrer von St. Johann-Münster und bis vor kurzem Präsident der AK+SH. Er schätzt die ökumenische Gemeinschaft, zu der neben den drei Landeskirchen auch die Evangelisch-methodistische Kirche, die Baptistengemeinde, Pfingstgemeinde, die Adventisten und die Heilsarmee gehören, weil man einander wahrnimmt und dadurch Respekt und Achtsamkeit füreinander gefördert wird. «Durch den persönlichen Kontakt können auch Vorurteile abgebaut werden», so Eichrodt. Letztes Jahr habe man sich anlässlich der Sitzung spontan über die Seelsorge in der Pandemie ausgetauscht. «Das hat Mut gemacht.» 2001 und 2008 stellte die AK+SH einen kantonalen ökumenischen Kirchentag auf die Beine, 2015 folgte eine Nacht der Kirchen. 2022 beteiligt sie sich am Internationalen Bodensee-Kirchentag.
Nicht alle Bemühungen sind von Erfolg gekrönt. So habe man vergeblich versucht, eine seit Jahren etablierte ökumenische Fastenwoche zweier Kirchgemeinden auszuweiten. «Es gibt Strukturen, die sich nicht so leicht verändern lassen», sagt Matthias Eichrodt. Auf jeden Fall ist die Zugehörigkeit zur AK+SH ein anerkannter Standard, der z. B. auch bei der Vergabe von kirchlichen Räumen eine Rolle spielt.

Detlef Kissner, forumKirche, 4.6.21
 

 

Teilnehmer*innen der Schöpfungsfeier am 1. September 2019 vor dem Berner Münster
Quelle: © Christoph Knoch
Teilnehmer*innen der Schöpfungsfeier am 1. September 2019 vor dem Berner Münster.
Die Theologin Anne Durrer ist seit August 2017 Generalsekretärin der AGCK.CH.
Quelle: zVg
Die Theologin Anne Durrer ist seit August 2017 Generalsekretärin der AGCK.CH.

 

 

 

 

 

 

 

Vertreter*innen der Kirchen der AGCK.CH beten im September 2014 vor der Kirche Peter und Paul in Bern gemeinsam für die leidende Bevölkerung in Syrien und Irak.
Quelle: © Christoph Knoch
Vertreter*innen der Kirchen der AGCK.CH beten im September 2014 vor der Kirche Peter und Paul in Bern gemeinsam für die leidende Bevölkerung in Syrien und im Irak.

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