Redewendungen aus der Bibel

Die Redewendung «jemand unter seine Fittiche nehmen» meint, dass ein Erfahrener eine jüngere Person in einer gewissen Lebensphase begleitet oder einen Neueinsteiger in seine Aufgabe einführt.

Als jugendliche Maturandin war sie ins Badezimmer entschwunden. Gestylt und im mit Bedacht ausgewählten Kleid kam sie heraus – eine aufrechte junge Frau. Zugegebenermassen hat sich diese Wandlung nicht von einer Minute zur anderen vollzogen, es gab Anzeichen und heute lag ein gefühlter halber Tag zwischen Hineinschlüpfen und Heraustreten und die Verwandlung hat sich mit Unmengen von fliessendem Wasser, Föngebraus und Duftwolken angekündigt. «Mein lieber Schwan!», dem Vater stand die Überraschung ins Gesicht geschrieben. So hat er die Tochter noch nie gesehen. Selbstbewusst, deutlich in ihrer Kontur, erwachsen und bereit auf die Welt zuzugehen. Alle Zeichen deuteten auf Aufbruch. Der Wermutstropfen in diesem Zauber. – Wenn sie sich bei der Geburt etwas gewünscht hätten, wäre es dieser sichere und klare Augenblick von Stolz und Zutrauen gewesen. Damals war nur Staunen von den Haar- bis zu den Zehenspitzen und das wunsch- und bedingungslose Wunder, das in ihrem Arm lag.

«Wie köstlich ist deine Gnade!» (Ps 36,8a). Das überschäumende Glück, die köstliche Gnade im Anfang legen das Fundament, den Boden. Sie sind Ermöglichung, Eröffnung, Ouvertüre, auf die man ein Leben bauen kann. In unseren mitteleuropäischen Verhältnissen wird das Fundament eines Hauses betoniert. Der Psalmist denkt an leichtere Bauweisen: «In deinem Zelt möchte ich Gast sein auf ewig, mich bergen unter dem Schutz deiner Flügel.» (Ps 61,5 vgl. 36,8b). Manche kennen solche mobilen, schützenden «Zelte» noch. Es waren die Schürzen oder weiten Röcke der Mütter, unter die Kinder schlüpften und damit in Sicherheit waren.

«Jemanden unter seine Fittiche nehmen» ist nach dem gern verwendeten Bild der Psalmen (17,7; 36,8; 57,2; 61,5; 91,4) ein Wohnen wie ein Gast – willkommen, geschätzt, im Kern gemocht. Ein Gut-Sein in Freiheit und Geborgenheit, kein Dazu-Bringen oder Drücken und Zwängen. «Bewahre mich wie den Augapfel, birg mich im Schatten deiner Flügel» (Ps 17,7).

«Mein lieber Schwan!» Junge Schwäne springen wieder und wieder ins kalte Wasser. Sie schwimmen. Fittiche sind Schutz und Schirm bei Gefahr. Im Dauergebrauch würden sie zum «Scheffel», zum Eimer. (Mt 5,15). Mit dem Schwimmen ist es wie mit dem Leben oder dem Glauben. Man kann nicht stellvertretend leben und Glauben nicht weitergeben oder ausleihen. Kleinen und grossen Menschen Vertrauen und Zugehörigkeit zu geben, verleiht Flügel und sie bleiben ein Schutz – bis hin zum Augenblick, in dem wir den Geist in die Hände des Vaters legen (Lk 23,46).

Christine Rammensee, Theologin

Ausgabe Nr. 10/2018

Bild: Alina Martin

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