Schafft man es, 7 Wochen lang nicht zu lügen?

Jedes Jahr initiiert die evangelische Kirche in Deutschland in der Fastenzeit die Aktion «7 Wochen ohne…». Dieses Jahr hat sie sich für das Thema «Mal ehrlich. 7 Wochen ohne Lügen» entschieden. Wir wollten von Menschen unterschiedlichen Alters deshalb wissen, ob sie es für realistisch halten, sieben Wochen lang ganz ehrlich zu sein. Herausgekommen ist ein bunter Bilderbogen an unterschiedlichen Meinungen.


● Ich stelle mir sieben Wochen ohne Lügen nicht so schwer vor. Aber wenn ich ehrlich bin, würde ich es in manchen Situationen schon vermissen. Wenn ich das machen müsste, würde ich es aber durchhalten.

Nuria (12), St. Gallen


● Wenn ich sagen würde, dass ich sieben Wochen ohne Lügen auskommen würde, hätte ich schon gelogen. Ich bin grundsätzlich ein ehrlicher Mensch, aber ich bin auch ehrlich genug, um zu sagen, dass ich in sieben Wochen mindestens einmal lügen werde. Man hat so schnell gelogen, dass man es gar nicht merkt. Einmal die Hausaufgaben vergessen, die Grüsse nicht ausgerichtet oder die Socken irgendwo liegen gelassen. «Ich habe sie zu Hause vergessen.», «Ja, ich habe die Grüsse ausgerichtet.» und «Das sind gar nicht meine Socken.», sprudelt es schneller aus mir heraus, als ich nachdenken kann. Und selbst wenn man anschliessend zugibt, gelogen zu haben, hat man bereits gelogen. Ich denke, solche Lügen sind Reflexe, die wir nicht kontrollieren können.

Silas (17), Weinfelden


● Wir sollen nicht lügen, sondern lernen, eine Wahrheit angemessen zu vermitteln. Das klingt zunächst wie eine Ausrede: ein bisschen lügen ist doch sozial wichtig. Ich unterscheide da zwischen zwei Ebenen: Mir gegenüber will ich ehrlich sein. Das, was mich an mir nervt, will ich nicht schönreden – also mir etwas vorlügen. Gegenüber meinen Mitmenschen möchte ich aber vor allem achtsam sein. Bei jeder Gelegenheit die radikale Wahrheit zu sagen, wäre unpassend, ja, lieblos. Gnadenlos ehrlich zu sein – ist so gesehen – kein guter Vorsatz für die Fastenzeit.

Armin Ruf (57), Weinfelden


● Mit 72 hat man es nicht mehr nötig, anderen oder sich selbst etwas vorzumachen. Ich kann zu mir und meinen Aussagen stehen, habe eine gewisse Narrenfreiheit. Aber wenn ich zurückblicke: Wir wurden «gut» erzogen. Damals waren Notlügen an der Tagesordnung. Nett, angepasst und höflich zu sein, gehörte zum guten Ton. Wahres sagen, zog oft Strafen nach sich. Ausreden erfinden war einfacher. Später, wohl bis heute, habe ich eher geschwiegen und einfach freundlich gelächelt. Ich wollte keinen verletzen, Konflikte vermeiden. Ein guter Versuch, sieben Wochen ganz ehrlich zu sein, aber ich glaube nicht, dass das bei uns möglich ist.

Marie-Anne Stucki-Honig (72), Müllheim


● Ich glaube nicht, dass man so lange nicht lügen kann. Neben den verbalen gibt es noch die nonverbalen Lügen, die man nicht immer so gut unter Kontrolle hat. Um seine Antwort zu reflektieren, benötigt man Zeit. Normalerweise hat man die nicht, weil das Gegenüber durch seine Erwartungshaltung Druck ausübt. Privat versuche ich stets, ehrlich zu mir und anderen zu sein. In erster Linie muss ich mich in meiner Haut wohlfühlen und mich nicht für die Reaktion auf eine ehrliche Meinung verantwortlich fühlen. Doch in meinem Beruf als dipl. Pflegefachfrau mit Schwerpunkt Psychiatrie muss ich gewisse Patienten auch vor sich selbst schützen, weshalb die Antworten ethisch vertretbar sein müssen. Oft lasse ich dann Sachen offen, um mich nicht auf eine bestimmte Aussage festlegen zu lassen.

Géraldine Gruber (27), Schaffhausen


● Dass ich so lange nicht lüge, kann ich nur schaffen, wenn ich auf einen Berg gehe oder mich einbuddle, ganz allein bin und mit niemandem reden muss. Bewusst machen kann man sich, ob man nun lügt oder nicht. Ich meine, nur schon, wenn jemand fragt: Wie geht es dir? Dann ist die antrainierte Antwort, zumindest bei mir: Gut, danke, und selbst? Und manchmal ist das gelogen. Man möchte ja auch nicht jedem erzählen, wie es einem wirklich geht. Anstand ist auch so eine Sache. Anstandshalber sag ich nicht, was ich denke, sondern nicke höflich lächelnd mit dem Kopf. Es gibt Menschen, die machen einen Unterschied zwischen schwindeln, lügen oder verheimlichen. Für mich ist das alles dasselbe, nur eben nicht immer schlecht.

Melanie Hauser (35), Frauenfeld 


(25.3.19)

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Oft verbergen wir unsere wahren Gedanken und Emotionen, um uns selbst und andere zu schützen.

Bild: pixabay.com

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