Die «Moche»-Ausstellung in Schaffhausen

Die Sonderausstellung «Moche – 1000 Jahre vor den Inka» ist im Schaffhauser Museum zu Allerheiligen zu bewundern. Obwohl dieses Volk keine Schrift besass, weiss man Erstaunliches über Gesellschaft, Leben und Religiosität dieser Kultur zwischen dem 1. und 8. Jahrhundert n. Chr. Eine Begegnung mit dem Kurator und Ausstellungsmacher Werner Rutishauser und der Peruanerin Kela Kempter aus Beringen (SH) führt zu einer Spurensuche der indigenen Hochkultur aus Peru.

Diese präkolumbische Kultur wird nach dem Rio Moche im Norden Perus benannt. Durch ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem haben die Menschen die Flussoasen inmitten der wüstenartigen Küstenregion fruchtbar und bewohnbar gemacht. Die bildreichen sowie realistischen Darstellungen ihrer qualitätvollen Keramiken und metallurgischen Werke vermitteln ein lebendiges Moche-Bild. Die Ausstellung fokussiert auf die Themen Natur, Gesellschaft, Erotik, Musik, rituelle Kämpfe, Gottheiten, Totenkult sowie Kunsthandwerk. Die meisten Moche-Exponate stammen aus der Sammlung Ebnöther des Museums. Marcel Ebnöther (1920 - 2008) hat seine archäologische Sammlung im Jahr 1991 der Stadt Schaffhausen geschenkt.

Alles ist beseelt
In Mittelamerika durfte Werner Rutishauser mit seinem Ausgrabungs-Team erst einen Pickel in den Boden setzen, nachdem ein Schamane dort gebetet und Maiskörner auf die Erde gestreut hatte. «Danach konnten wir anfangen zu arbeiten», erzählt der Archäologe respektvoll. «Das hat mit Pachamama, der heiligen Mutter Erde, und ihrer Wertschätzung zu tun», ergänzt die Peruanerin Kela Kempter, «die heute noch von indigenen Katholiken im Hochland mit der Marienverehrung vermischt wird.» In den Andengebieten ist alles beseelt, auch die Objekte der Schaffhauser Ausstellung gelten als beseelte Wesen. Aus der Sicht der Indigenen muss man sie «nähren», also gut behandeln, und beachten. Daher gäbe es wenig Grund für sie, solche Exponate nach Peru zurückzuführen. Auch der peruanische Botschafter, der aus Chimbote im ehemaligen Moche-Gebiet stammt, sagte an der Vernissage begeistert: «Ihr baut dadurch eine Brücke nach Peru, das finde ich super!»

Die duale Harmonie
Interessant ist die duale Weltvorstellung sowohl bei den Moche als auch tausend Jahre später bei den Inka. Diese ist bei vielen andinen Objekten sichtbar: Gold/Silber, Sonne/Mond, Leben/Tod, Frau/Mann, hell/dunkel etc. «Zwei gegensätzliche Prinzipien müssen zusammenkommen», erklärt Werner Rutishauser, «damit Harmonie und Vollkommenheit entsteht.» Die Gabelhalsflasche als typisches Moche-Gefäss symbolisiert dies in ihrer kunstvollen Form. Zwei gegenüberliegende hohle Flaschenhälse entspringen aus dem Keramik-Korpus, vereinen sich zu einem Ring mit einer gemeinsamen Öffnung. Vermutlich war darin Chicha, eine Art Maisbier, das in der Flasche zusammen war, durch die Gabelhälse getrennt wurde, um wieder vereint herauszufliessen. Chicha diente als zeremonielles Getränk und als Grabbeigabe.

Ahnenkult
Dualität stellt eine Gabelhalsflasche mit einem männlichen Skelettwesen und einer Frau dar. Der Ahne ist durch Gewand und Panflöte als Musiker zu erkennen. Das Paar steht dicht nebeneinander und umarmt den Rücken des anderen. Dadurch wird die Trennung beider Welten aufgehoben, so ist es im aktuellen Moche-Katalog zu lesen. «Hochrangige Verstorbene wurden zu Ahnen, die im Jenseits als Mittler zwischen Göttern und Menschen weiterleben», schreibt dort die Wissenschaftlerin Doris Kurella. Auffällig ist die Vielzahl an Grabbeigaben. Jede figurative Vase verrät vieles über die Moche-Menschen, besonders die berühmten naturalistischen Porträtköpfe in Form von Gabelhalsflaschen.

Drei Ernten im Jahr
Die Moche-Menschen ernteten durch ein sparsames Bewässerungssystem bis zu drei Mal im Jahr in ihrer Flussoase. Durch ihre Kultivierung konnten sie wichtige Nahrungspflanzen wie Kürbis, Mais, Bohnen, die Frucht des Johannisbrotbaumes, Quinoa, Süsskartoffeln und Maniok anbauen. «Ohne die präkolumbischen Kulturen wäre die europäische Küche viel ärmer», betont Werner Rutishauser. In der Ausstellung sind Mais, Erdnüsse, Chilis und Kakteen aus Keramik zu entdecken. Begeistert ist der Kurator vom Kürbis in Flaschenform. «Er ist so hyperrealistisch, dass ich mich auf einem Feld der Moche fühle.» Man stellte von einem echten Kürbis ein Modell her und konnte diese Gabelhalsflaschen mehrfach produzieren und bemalen. Die Kürbisflasche, die ebenso als Grabbeigabe diente, war mit Chicha gefüllt und galt als Symbol für Essen und Trinken auf dem Weg ins Jenseits.

Judith Keller, 10.01.2024


Nähere Infos

Peruanerin Kela Kempter und Kurator Werner Rutishauser vor der Kürbis-Gabelhalsflasche
Quelle: Judith Keller
Peruanerin Kela Kempter und Kurator Werner Rutishauser vor der Kürbis-Gabelhalsflasche

 

 

Gabelhalsflaschen als Kürbis, Kaktus sowie Kalebassen mit Erdnüssen und Chili
Quelle: Judith Keller
Gabelhalsflaschen als Kürbis, Kaktus sowie Kalebassen mit Erdnüssen und Chili.

 

 

Gabelhalsflasche als Skelettwesen mit Panflöte und Begleiterin
Quelle: Judith Keller
Gabelhalsflasche als Skelettwesen mit Panflöte und Begleiterin

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