Der Umgang mit der Klimakrise aus psychologischer Sicht

Viele Wissenschaftler*innen und Umweltverbände weisen darauf hin, dass die bisherigen Massnahmen gegen den Klimawandel nicht ausreichen, um das 1,5 Grad-Ziel von Paris zu erreichen. Warum tun wir uns so schwer, unseren Lebensstil zu ändern? Warum gelingt es uns als Gesellschaft nicht, die Weichen für eine nachhaltige Zukunft zu stellen? Der Umweltpsychologe Eike von Lindern versucht Antworten auf diese drängenden Fragen zu geben. 

Beim Kampf gegen den Klimawandel wird vor allem auf naturwissenschaftliche Argumentation gesetzt. Wurden psychologische und soziologische Aspekte bisher zu wenig berücksichtigt?
Das ist seit langem ein grosses Problem. Aus rationalen Gründen spricht alles dafür, dass wir uns im Blick auf unsere Umwelt anders verhalten müssten, als wir es momentan tun. In der Betriebs- und Volkswirtschaft wurde der Mensch lange als homo oeconomicus, als rationaler Kalkulator, gesehen. Das ist genau das Problem. Der Mensch handelt nicht ausschliesslich rational. Wir sind alle zu einem gewissen Teil auch emotions- und affektgesteuert, haben unsere Vorlieben und Abneigungen und persönliche Dinge, die wir uns nicht nehmen lassen wollen, eigene Vorstellungen davon, was für uns Lebensfreude und -qualität ausmacht. An der Schnittstelle zum persönlichen Lebensstil gibt es Konflikte mit der Rationalität. Spannend ist, dass wir in der Lage sind, uns eine Scheinrationalität aufzubauen, mit der wir das eigene Verhalten rechtfertigen. Man spendet zum Beispiel einer Umweltorganisation etwas und beruhigt so das eigene Gewissen, damit man drei Mal im Jahr in die Ferien fliegen kann.
Der menschliche Faktor wird in der Politik oft vernachlässigt. Die Psychologie, Umweltökonomie und die Umweltsoziologie schauen darauf, was den einzelnen Menschen zu bestimmten Verhaltensweisen motiviert, wie man Gleiches erreichen kann, sich dabei gut fühlt und die Umwelt weniger belastet.

Was hindert uns als Individuen, konsequenter Massnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen?
Zum einen ist es die Gewohnheit. Man hat Verhaltensweisen ausprobiert, von anderen vorgelebt und gelernt bekommen. Man merkt, dass man so seinen Alltag bestreiten kann, dass man gesellschaftlich anerkannt ist, wenn man sich an diese Regeln hält. Diese Verhaltensweisen etablieren sich als Gewohnheit. Es gibt keinen Grund, sie zu ändern, solange ich keine negativen Konsequenzen erlebe – oder etwas finde, was noch besser als die bisherige Gewohnheit funktioniert.

Wenn sich mir nichts in den Weg stellt, mache ich also weiter wie bisher?
Ich höre oft die Aussage, dass die Klimaerwärmung schlimm sei, dass es uns in der Schweiz ja aber noch gut gehe. Es hat also keine direkt wahrnehmbaren Konsequenzen, ob ich mein Verhalten ändere oder nicht. 
Wenn ich aber in einer Region lebe, die vom Ansteigen des Meeresspiegels bedroht wird, wenn ich stark davon betroffen bin, dann ist die Relevanz und der Leidensdruck viel grösser. Dann bin ich auch bereit, mein Leben umzustellen – muss das sogar tun, um überleben zu können. Die psychologische Ferne von negativen Konsequenzen ist eine Art Hürde, Absichten in Handlungen umzusetzen.
Deshalb ist es wichtig, den Menschen, denen es gut geht, die Konsequenzen ihres Verhaltens aufzuzeigen, dass diese Ereigniskette für sie erlebbar wird. Wenn sie Schlüsselerlebnisse haben, fangen sie an, sich zu engagieren.

Manche wollen an ihrem Verhalten nichts ändern, weil sie darauf vertrauen, dass der technische Fortschritt das Problem des Klimawandels lösen wird.
Die Technologie allein wird es nicht richten. Sie muss von der Gesellschaft angenommen und richtig genutzt werden, um wirken zu können. Der Nutzen neuer Technologien kann zum Beispiel durch Backfire-Effekte verpuffen. Das war zum Beispiel bei der Einführung von Energiesparlampen so. Manche dachten, dass man sie dann ja auch länger brennen lassen kann, weil sie weniger Energie verbrauchen. Das ist bei der Elektromobilität ähnlich. E-Autos, deren Herstellung viele Ressourcen verbraucht, sollten nicht zur Steigerung des Individualverkehrs führen. Deshalb muss der technologische mit einem gesellschaftlichen Fortschritt einhergehen. Wir müssen lernen, die Technologie richtig einzusetzen, so wie es auch in der Bildung für Nachhaltige Entwicklung angedacht ist. Das gewährleistet, dass neue Technik so genutzt wird, dass sie wirklich Vorteile für Mensch und Umwelt bringt. 
Manche befürchten, durch Massnahmen gegen den Klimawandel ihren Lebensstandard zu verlieren. Dies halte ich für unbegründet. Wenn wir effizientere Technologien richtig nutzen, können wir unseren Wohlstand erhalten, ja sogar verbessern, weil wir von einer saubreren Umwelt profitieren. Eine Art Evolution zum Besseren für alle und alles.

In Kampagnen gegen das Rauchen wird auf schockierende Bilder gesetzt. Braucht es im Blick auf den Klimawandel auch ein emotionales Wachrütteln?
Studien zeigen, dass diese Methode leider nicht die erhoffte Wirkung entfaltet. Aber sie wird im Klimabereich zum Teil genutzt. Ein Eisbär auf einer Eisscholle, die Schweiz ohne Gletscher, schneefreie Skigebiete – solche Fotos zeigen auf, wie schlimm es um die Umwelt steht. Das schafft ein Bewusstsein für die Klimakrise. Aber das allein reicht nicht. Es fehlen klare Handlungsalternativen. Es müssen Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie man sein Leben weiterführen kann, nur auf nachhaltigere Weise, zum Beispiel indem ich regionale und saisonale Produkte nutze.

Wie lassen sich Menschen dafür gewinnen, ihr Verhalten zu verändern?
Zum einen durch Rollenmodelle, Vorbilder, eine Person, die in einer Zielgruppe eine anerkannte Autorität ist und eine Botschaft authentisch und glaubwürdig rüberbringt. Zum anderen durch attraktive und verfügbare Angebote. Ich muss mich darauf verlassen können, dass Produkte, die als nachhaltig beworben werden, dies auch sind. Ausserdem müssen sie auch erhältlich sein. 
Schliesslich bieten auch soziale Belohnungen und Anerkennung Anreize zu nachhaltigem Verhalten. In der Psychologie spricht man davon, eine Annäherungsmotivation zu schaffen. Das Gegenteil wäre eine Vermeidungsmotivation, die Fehlverhalten bestraft. 

Ein Argument dafür, nichts gegen den Klimawandel tun zu müssen, lautet: Ich alleine kann sowieso nichts ausrichten. Stimmt das so? Welchen Einfluss können Verhaltensweisen einzelner auf gesellschaftliche Entwicklungen haben?
Wenn man als Einzelperson einen Prozess initiiert, ist das schwierig. Man hat das Gefühl, dass man nichts ausrichten kann. Schliesslich merkt man, dass andere sich auch engagieren. Man entdeckt Gleichgesinnte, denen man sich anschliessen kann. Man spürt, dass damit ein Prozessmomentum in Gang gesetzt wird. Fridays for Future ist so gestartet. Die Bewegung begann mit Greta Thunberg und ihrem Schild «Schulstreik für das Klima». Es gibt bestimmte Auslösemomente, die eine ganz eigene Dynamik entfalten können. Zuvor braucht es viele Einzelaktionen, die nicht immer Wirkung zeigen. 
Es ist wie mit dem Tropfen im Ozean. Wenn sich alle Tropfen ändern, ändert sich der Ozean. Aber ein Tropfen muss damit anfangen. 

Was versteht man in diesem Zusammenhang unter «Nudging»?
Das sind Massahmen, mit denen man Verhaltensweisen anstossen kann. Früher bekam man beim Einkauf die Plastiktüte gleich dazu. Möchte man heute eine Plastiktüte, muss man aktiv nachfragen und dafür bezahlen. Der Betrag ist marginal. Es geht nur darum, dass es umständlicher ist, das nicht nachhaltige Produkt zu erhalten. Den Einkauf in den Rucksack zu packen, ist einfacher.
Wichtig dabei ist, dass man schon zu Hause an den Rucksack denkt. Da hilft es, mit Erinnerungen – z. B. einem Zettel an der Wohnungstür - zu arbeiten. In der Psychologie redet man von «point of decision prompts». Es müssen schon dort «prompts» (Anregungen) gegeben sein, wo Entscheidungen getroffen werden. 

Politische Massnahmen können in der Bevölkerung Widerstände auslösen. Worauf müssen Politiker achten, dass Massnahmen akzeptiert werden?
Die Kommunikation ist dabei entscheidend. Es ist unklug, jemandem etwas vorschreiben zu wollen. Das mag niemand. Da fühlen wir uns in unserer eigenen Autonomie angegriffen. Das löst sogenannte Reaktanz aus, das heisst, dass man Widerstände gegen den Vorschlag entwickelt, obwohl man ihn inhaltlich vielleicht sogar gut findet. Man fühlt sich übergangen oder bevormundet.
Bei der Heizungsdebatte in Deutschland war eines der grossen Kommunikationsprobleme, dass die Regeln nicht klar waren. Zudem waren die Heizungen nicht verfügbar oder sehr teuer. Selbst willige Bürger*innen waren verunsichert. So etwas muss vermieden werden. 
Für die Politik ist es sinnvoll, Vorhaben langfristig anzugehen, gut zu recherchieren und vorzubereiten. Ängste und Bedenken sollten ernst genommen werden. Leider fehlt dafür oft die Zeit. 

Wie viel Zeit brauchen solche gesellschaftlichen Prozesse, in denen ein Umdenken stattfindet?
Wir sind schon lange in diesen Prozessen um den Klimawandel und den Ressourcenabbau drin. Die ersten wissenschaftlichen Berichte dazu stammen aus den 1970er- und 1980er-Jahren. Die Ergebnisse wurden nicht richtig aufgenommen, weil die wirtschaftlichen Erfolge zu attraktiv waren.
Der Prozess ist trotzdem in Gang gekommen. Damals wurden Umweltorganisationen und grüne Parteien gegründet, die sich weiterentwickelt haben. Die Themen Klimawandel, Erderwärmung, Nachhaltigkeit sind in vielen Teilen der Bevölkerung angekommen, werden breit diskutiert. Leugner des Klimawandels sind in der Minderheit. Viele wissen, was schief läuft. Das ist ein grosser Erfolg der Umweltschutzbewegungen.
Das Problem bei solchen gesellschaftlichen Prozessen ist, dass sie eine gewisse Zeit brauchen. Dadurch sind die einzelnen Veränderungen nicht so wahrnehmbar. Wie es vor 20 Jahren war, kann man sich heute kaum noch vorstellen, wenn man zum Beispiel an den «sauren Regen» denkt. Es sind jedoch eine Menge Prozesse in Gang und das muss so bleiben. Ein positiver Streifen am Horizont. 

Aber die Auswirkungen des Klimawandels entwickeln sich noch schneller …
Wir werden als menschliche Zivilisation unser Verhalten nicht so schnell ändern können, dass wir den Klimawandel aufhalten. Das ist sicher so. Wir werden alle Konsequenzen des Klimawandels erleben: Dürren, Überschwemmungen, Naturkatastrophen, Migrationsbewegungen, soziale Unruhen …
Aber wir können trotzdem versuchen, die Folgen zu begrenzen, dass es ein möglichst günstiges Szenario für uns Menschen gibt. Wir können mit unserem Boot an der Klippe entlangschrammen, statt mit Vollgas daran zu zerschellen. Es wird uns nicht gelingen, sie ganz zu umschiffen. Ziel ist die Schadensbegrenzung. Es lohnt sich, sich dafür zu engagieren – und dafür ist es sicher noch nicht zu spät!

Welche Rolle könnten gesellschaftliche Institutionen wie die Kirchen in diesem Transformationsprozess einnehmen?
Die Kirchen können viel machen. Sie haben eine gewisse Basis, die sie über Predigten und Publikationen erreichen. Sie können das Bewusstsein dafür schärfen, dass die Erde etwas Göttliches ist, das es zu wertschätzen und zu erhalten gilt. Alle sollten dazu beitragen, dass die Faszination des Lebens erhalten bleibt. Christliche Werte und die Werte der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes stehen sich sehr nahe.
Zudem war Jesus eine einzelne Person, der es durch ihren Lebensstil gelungen ist, eine Weltreligion entstehen zu lassen. Durch einen Tropfen ist ein ganzes Meer entstanden. Das zeigt, wie viel Kraft in jeder einzelnen Person steckt. Warum sollten wir nicht die Schaffenskraft haben, uns für die Umwelt einzusetzen, Vorbild zu sein, wie Jesus es für seine Überzeugung gemacht hat? Auf diesem Hintergrund können die Kirchen allen das Gefühl vermitteln, dass sie als Gemeinschaft stark sind und durchaus etwas ändern können.

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Mit welchen Gefühlen gehen Sie und Ihre Familie in die Zukunft?
Ich habe gemischte Gefühle. Meine Frau und ich reden viel mit unseren vier Jungen über den Klimawandel. Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind ein grosses Thema. Ich hoffe natürlich für meine Kinder, dass sie ein qualitativ gutes, nachhaltiges Leben leben dürfen und dass die Auswirkungen nicht so schlimm sind, wie in manchen Szenarien prognostiziert wird. Auf der anderen Seite habe ich grosse Hoffnung in die jüngere Generation. Sie hat verstanden, dass etwas geändert werden muss, und engagiert sich für diese Wende. Das finde ich wirklich gut und unterstützenswert.
Es gibt auch Studien, die zeigen, dass sich bei vielen Kindern und Jugendlichen Klimaangst ausbreitet. Da hoffe ich persönlich, dass wir unseren Kindern auch Fähigkeiten mitgeben, dass sie ins Handeln kommen, Dinge bewegen können und sich nicht ausgeliefert fühlen.

Interview: Detlef Kissner, forumKirche, 14.09.2023


SchöpfungsZeit 2023
Am Sonntag, 24. September, wird um 9.45 Uhr in der evangelischen Kirche in Neukirch-Egnach ein Gottesdienst zur SchöpfungsZeit gefeiert. Es wird angeregt zu überlegen, wie man mit konkreten Zeichen Zukunftshoffnung zum Ausdruck bringen kann. Im Anschluss gibt Ueli Schoch vom Verein Naturschutz und Kleintiere Egnach (NKE) einen Einblick in die Biodiversität auf dem Areal des Friedhofes bei der Kirche.
 


Klimagebet
Am 30. September findet die nationale Klima-Demo «Jetzt handeln» in Bern statt. Als Einstimmung auf die Demo wird um 12.45 Uhr zum ökumenischen Klimagebet in der Heiliggeistkirche eingeladen, um gemeinsam für ein lebensfreundliches Klima einzustehen - im Gebet und auf der Strasse. Um 14 Uhr startet dann die Klima-Demo beim Bollwerk, bei der sofortiger Klimaschutz und Klimagerechtigkeit gefordert wird.
 

Dr. Eike von Lindern
Quelle: zVg
Dr. Eike von Lindern ist assoziierter Wissenschaftler und Co-Geschäftsführer von Dialog N – Forschung und Kommunikation für Mensch, Umwelt und Natur.

 

 

Greta Thunberg
Quelle: Raph_PH/Wikimedia Commons
Greta Thunberg – hier beim Glastonbury Festival 2022 - fordert mit drastischen Worten politische Reaktionen auf die Klimakrise.

 

 

Fleischkonsum
Quelle: RitaE/pixabay.com
Wenn viele ihren Fleischkonsum reduzieren, wird damit ein grosser Beitrag zum Klimaschutz geleistet.

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