Eine Chefärztin erzählt von ihrer Arbeit im Baby Hospital

Seit 30 Jahren arbeitet Dr. Hiyam Marzouqa im Caritas Baby Hospital. Als Chefärztin trägt sie Verantwortung für die medizinische Ausrichtung des Kinderspitals in Bethlehem. Für diese oft schwierige Aufgabe findet die Palästinenserin Kraft in ihrer Familie und im Glauben.

Schon als Kind wusste Hiyam Marzouqa, dass sie Kinderärztin werden wollte. Mit Bestnoten machte sie an der deutschsprachigen Schule in Bethlehem ihren Abschluss und erhielt ein Stipendium für ein Medizinstudium in Würzburg. Gerade mal 19-jährig flog sie nach Deutschland. Die erste Reise überhaupt, ganz auf sich gestellt, fernab von ihrer Familie. «Anrufe nach Hause waren teuer», erinnert sich Marzouqa, E-Mails gab es noch nicht und Post nach Bethlehem dauerte oft wochenlang. Fast täglich verfasste sie Briefe an ihre Eltern, berichtete ausführlich von ihrem Alltag in Deutschland. Nur von ihrem Heimweh schrieb sie nichts. Sie wollte Vater und Mutter nicht beunruhigen.

Grossfamilie als Heimat

Bis heute ist die Verbindung zu ihren betagten Eltern und ihren sechs Geschwistern sehr eng. «Die Grossfamilie ist meine Heimat, meine Wurzel. Ich kann und will nicht ohne sie sein», erläutert sie. Ihre eigenen beiden Söhne leben im Ausland. Wie so viele junge, gut ausgebildete Menschen sehen sie kaum eine Lebensperspektive in der Region.

Weihnachten kommen die beiden, wenn möglich, nach Bethlehem. Dann feiert die Chefärztin mit ihrem Mann, einem Professor für physikalische Chemie, den Söhnen und der ganzen Familie Christi Geburt. Wie gerne hätte sie dies auch während ihrer Studienzeit in Würzburg getan. Stattdessen hätte sie Weihnachten damals am liebsten aus dem Kalender gestrichen. Bis zum Heiligen Abend freute sie sich an den pittoresken Weihnachtsmärkten und gönnte sich gelegentlich ein Glas Glühwein. «Aber den 24. Dezember konnte ich kaum ertragen. Immer ging es mir durch den Kopf: Jetzt zieht der Patriarch durch die Strassen von Bethlehem; jetzt beginnt die Mitternachtsmesse in der Geburtskirche; jetzt sitzt die Familie zusammen und beschenkt die Kinder.» Noch heute findet sie die Adventszeit in Europa wunderschön – aber nichts geht über Weihnachten in Bethlehem.

Ganz andere Krankheitsbilder

Vor genau 30 Jahren, 1989, schloss Hiyam Marzouqa ihr Studium ab und machte, zurück in Bethlehem, ein Praktikum im Caritas Baby Hospital. Bald wurde sie Assistenzärztin und merkte rasch, dass sie ihre Ausbildung zwar optimal für den medizinischen Alltag in Deutschland vorbereitet hatte, aber sich im Westjordanland ganz neue Herausforderungen stellten. Dort gab es Krankheitsbilder, die sie bisher nur in Lehrbüchern gesehen hatte: genetisch bedingte Missbildungen, schwerste Unterkühlungen oder lebensgefährliche Unterernährung. Auch die Ausrüstung im Caritas Baby Hospital war damals nicht mit jener an europäischen Spitälern zu vergleichen. «Früher», so erinnert sich Hiyam Marzouqa, «hatten wir nicht einmal ein Beatmungsgerät.» Wenn die Kinderärztin auf diese Zeit zurückblickt, wird ihr bewusst, wie sehr sich die medizinische Versorgung in Palästina im Allgemeinen und im Caritas Baby Hospital im Speziellen weiterentwickelt hat. Inzwischen ist das Kinderspital einer der ersten Ansprechpartner im Land, wenn es um pädiatrische Medizin geht.

Persönliche Kraftquelle

Für Hiyam Marzouqa spielt der Glaube eine wichtige Rolle in ihrem Leben. Fast jeden Tag geht sie vor der Arbeit in die Geburtskirche in Bethlehem und zündet Kerzen an. Spassend nennt sie dies «Blitzpsychotherapie». Dieses Ritual hilft ihr, Kinder mit schwierigen Diagnosen «Gott anzuempfehlen». Das Gebet ist ihre persönliche Kraftquelle, der Austausch im Team die professionelle.

«In unserem Beruf gibt es sehr schöne Erlebnisse, aber eben auch schwierige», weiss sie aus ihrer jahrzehntelangen Erfahrung. Gerade zu chronisch kranken Kindern, die fast ihr ganzes Leben lang medizinisch begleitet werden, entwickelt man eine besondere Beziehung, selbst wenn man um professionellen Abstand bemüht ist. Wenn so ein kleiner Patient trotz bester fachlicher Behandlung stirbt, ist das sehr schmerzhaft für das ganze Team. Um in diesen bedrückenden Augenblicken weitermachen zu können, ist es wichtig, sich auf jene Kinder zu fokussieren, deren Schmerzen man lindern kann, auf Patientinnen und Patienten, die dank dem Spital gesund geworden sind. «In den schwierigsten Momenten ist ein Kinderlachen die beste Motivation.»

Kinderhilfe Bethlehem/Red. (17.12.19)



Das Caritas Baby Hospital

Finanziert und betrieben wird das Caritas Baby Hospital im Westjordanland von der Kinderhilfe Bethlehem in Luzern. Das Behandlungskonzept bindet die Mütter eng in den Heilungsprozess ihrer Kinder mit ein und das Spital verfügt über einen gut ausgebauten Sozialdienst. 2018 wurden 53'000 Kinder und Babys stationär oder ambulant betreut. Alle Kinder erhalten Hilfe, unabhängig von Herkunft und Religion. Im Fortbildungszentrum des Spitals werden Kurse für Mitarbeitende und Externe angeboten. Nur dank Spenden kann das Spital seine Aufgaben erfüllen und Kinderleben retten.

Nähere Infos auf www.kinderhilfe-bethlehem.ch


 

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«Kinderliebe und Geduld mit den Eltern sind für den Arztberuf wesentlich», sagt Dr. Hiyam Marzouqa.

 
 
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Besonderes Ritual: Fast jeden Tag besucht Hiyam Marzouqa vor der Arbeit die Geburtskirche in Bethlehem und zündet Kerzen an.


Bilder: © Meinrad Schade/Kinderhilfe Bethlehem

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