Online-Diskussion mit Islamwissenschaftler

Das Verhüllungsverbot steht kurz vor der Abstimmung und die Debatte dazu wird emotional geführt. Warum dies so ist, versuchte Hannan Salamat, Religionswissenschaftlerin und Fachleiterin Islam beim Zürcher Institut für interreligiösen Dialog (ZIID), in einer Online-Diskussion mit dem Islamwissenschaftler Dr. Andreas Tunger-Zangetti zu ergründen. Dieser hat unlängst eine Studie zur Situation in der Schweiz herausgebracht (siehe S. 14).

Andreas Tunger-Zangetti führte im Gespräch vom 9. Februar aus, dass die Gesichtsverhüllung schon in der altorientalischen Kultur auftauche. Dort vor allem als Kultsymbol, indem sich Priester verhüllten, um sich vor den Heiligen Mächten, denen sie gegenübertraten, zu schützen. «Andererseits stand der Gesichtsschleier für einen bestimmten sozialen Status. In der Regel für die verheiratete, ehrbare Frau im Unterschied zur Sklavin oder der Prostituierten, die den Gesichtsschleier nicht tragen durften», erklärt er.
Zu Zeiten Mohammeds war eine rigide Auslegung des Verhüllens für Frauen nicht so verbreitet, diese hätte sich erst nach seinem Tod verfestigt, sei aber auch da vor allem auf die Bedeckung der Haare und des Körpers ausgerichtet gewesen und nicht auf das Gesicht. Spannend sei in dem Zusammenhang, dass lange vor dem Islam schon im Christentum die Vorstellung von arabischen Frauen mit einer umfassenden Gesichtsverhüllung verknüpft wurde – unabhängig davon, ob dies in der Realität tatsächlich so umfassend praktiziert worden sei. Im 20. Jahrhundert hätten sich dann, auch als Folge des Zusammenpralls mit der westlichen Kultur, im Nahen Osten verschiedene Strömungen entwickelt. In einigen Ländern hätte die fremde Kultur auch auf das religiöse Verständnis Einfluss nehmen können, in anderen sei man in Protest zu ihr getreten – wodurch der Frauenschleier islamisiert wurde. 

Die Situation in der Schweiz

Die Zahl der Nikab-Trägerinnen in der Schweiz sei sehr gering, sagte Andreas Tunger-Zangetti. Es handle sich – auf die ganze Schweiz verteilt – um etwa 30 Frauen. Dabei zeigte sich einerseits, dass fast alle dieser vollverhüllten Frauen in der Regel im Westen geboren wurden oder im Kindesalter mit ihren Eltern ins Land kamen und eine umfassende Kenntnis der hiesigen Gegebenheiten besässen. Sie seien nicht organisiert und in den seltensten Fällen aktivistisch motiviert. Die Frauen würden aus freiem Willen und einer inneren Überzeugung den Nikab tragen. Praktisch nie zwinge der Vater oder der Ehemann sie zu dieser Entscheidung. Es zeige sich auch, dass die Gründe der Nikab-Trägerinnen mehrdimensional seien. «Es gibt den religiösen Aspekt. Die Frauen haben das Gefühl, ihr Gesicht zu verhüllen sei ein von Gott besonders wertgeschätzter Akt der Hingabe. Die zweite wichtige Dimension ist das Verhältnis zum anderen Geschlecht und zum Zeigen des Körpers im öffentlichen Raum. Dann gibt es noch die Dimension des Protestes gegenüber der eigenen Familie oder der westlichen Gesellschaft », erklärte der Islamwissenschaftler.

Verunsicherung und Lösungsansätze

Um was es in der Debatte denn eigentlich gehe, fragte Hannan Salamat. «Der Islam sei eine Religion mit einer ausgeprägt sichtbaren Praxis. Solche religiösen Praktiken würden wir in unserer christlichen aber stark säkularisierten Umgebung kaum mehr spüren. Davon fühlten sich manche Christen vielleicht herausgefordert, so Andreas Tunger-Zangetti. Vielleicht spiele auch ein Missverständnis von Kultur eine Rolle. Denn Kultur sei weder so eindeutig, wie wir es gerne hätten, noch so unveränderlich, wie wir es uns vorstellen würden. Es ginge also viel eher um die Frage, wie wir mit dieser Diversität und Pluralität so umgehen, dass wir sie produktiv nutzen können. «Mir fehlt die Flexibilität des Perspektivwechsels oft auf beiden Seiten ein wenig und Verbote erachte ich für einen ziemlich untauglichen Weg». Mögliche Veränderungen sieht er eher in einer stärkeren Diversität auf Redaktionen, denn auch die Medien würden durch eine unkritische Berichterstattung, die auf die zunehmende Konzentration in der Medienlandschaft zurückzuführen sei, eher dazu beitragen, vorhandene Vorurteile zu verfestigen.

Sarah Stutte, forumKirche, 16.2.21


Stellungnahmen zur Abstimmung

Iras CotisDie interreligiöse Arbeitsgemeinschaft in der Schweiz – lehnt das Verhüllungsverbot entschieden ab, da die «Burka» viel häufiger in Medien und Politik diskutiert würde, als dass sie auf der Strasse tatsächlich anzutreffen sei. «Zu diesem Thema einen Verfassungszusatz einzuführen, ist weder sinnvoll noch verhältnismässig. Kleidervorschriften widersprechen den Grundsätzen einer weltoffenen, modernen Schweiz», schreibt sie in einer Medienmitteilung dazu. Weiter heisst es dort, «Das Verbot diene der Bewirtschaftung islam- und muslimfeindlicher Gefühle und kann zur Radikalisierung beitragen». Auch der Interreligiöse Arbeitskreis im Kanton Thurgau hat in einer Stellungnahme die Ablehnung formuliert, die in der Begründung derjenigen des Rates der Religionen sowie der von Iras Cotis folgt.
 

Unter diesem Link kann die Online-Veranstaltung als Audiodatei nachgehört werden: 

https://www.ziid.ch/de/uber-uns/aktuell-news/2021/zum-nachhoren-ein-gesprach-uber-die-burka-debatte/

 

Die Nikab-Debatte wird in der Schweiz hoch emotional geführt.
Quelle: pixabay.com
Die Nikab-Debatte wird in der Schweiz hochemotional geführt.

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