Grossherzig und emanzipiert

Emilie Herzog-Welti (1859–1923) aus Ermatingen sang als Sopranistin vor Kaisern und Königen. Als Mutter und Ehefrau lebte sie mit Unterstützung ihres Ehemanns Heinrich Welti ein für die damalige Zeit emanzipiertes Leben.

Die Thurgauer Nachtigall: So wird der gefeierte Thurgauer Opernstar Emilie Herzog-Welti häufig betitelt. Emilie wer? Ja, selbst im Geburtsort Ermatingen und in Diessenhofen, wo die 1859 geborene Emilie Herzog ihre Kindheit verbrachte, war die talentierte Sopranistin kaum bekannt. Reto Knöpfel hat sie aus der Versenkung geholt. Knöpfel ist ehrenamtlicher Kurator des Vinorama Museum in Ermatingen und ausgebildeter Sänger. Seine vertieften Recherchen führten ihn zu einer Urenkelin Emilies, die Knöpfel unbekannte Informationen und äusserst wertvolle Erinnerungsstücke übergab. «Ich stiess dabei auf persönliche Agenden mit Auftritten, die ihr Mann Heinrich minutiös geführt hatte», sagt Knöpfel. Das waren Zeit ihres Lebens über 4'000 Opernabende und Konzerte. 

Weltweite Auftritte
Ihr musikalisches Talent wurde bereits im Kindesalter entdeckt. Obwohl sie zunächst Putzmacherin (Modistin resp. Hutmacherin) lernte, studierte sie danach Gesang in Zürich und München. Sie sang von 1880 bis 1889 am dortigen Hoftheater und trat in dieser Zeit an etwa 650 Theaterabenden in über fünfzig verschiedenen Rollen auf. Danach wechselte sie bis 1910 ans Schauspielhaus Berlin, wo sie unter anderem als Königin der Nacht in Mozarts «Zauberflöte» brillierte. Sie heiratete 1890 Heinrich Welti aus Aarburg, Doktor der Musikwissenschaften. Dieser organisierte für sie Konzertabende in Deutschland und in der Schweiz. Aufgrund ihrer Berühmtheit sang sie vor Königen, Kaisern und vor dem letzten russischen Zaren. Dennoch blieb sie mit ihrer Heimat verbunden und trat an Eidgenössischen Sängerfesten auf, so als Vitodura in Winterthur. Ihr sängerischer Weg führte sie u.a. nach Paris, Wien, Florenz, Hamburg und Moskau.

Harmonische Ehe
In ihrem musikalischen Schaffen unterstützte sie ihr Mann Heinrich, mit dem sie eine harmonische und gleichberechtigte Ehe führte. «Sie waren sich genug, im positivsten Sinn», sagt Reto Knöpfel dazu. Heinrich schrieb ihr jeweils Briefe, die er mit «mein liebes Schnüggeli» begann. Oder er liess ihr in der Konzertpause kleine Zettelchen mit Rückmeldungen in die Garderobe zukommen. Gemeinsam förderten sie junge Komponisten wie etwa Richard Strauss. Emilie Herzog-Welti erteilte dessen Frau Gesangsunterricht, Strauss komponierte zum Dank das Opus 19. Sie stand sogar mit dem berühmten Tenor und Herzensbrecher Enrico Caruso auf der Bühne. Doch die hochbegabte Sopranistin war laut Knöpfel eine tugendhafte Schweizerin, arbeitsvoll und nur am Gesang interessiert.

Duett-Abend mit Tochter
Nebst dem mondänen Leben auf den Opernbühnen dieser Welt war Emilie Herzog-Welti auch Mutter. Tochter Eva, spätere Kötscher, wurde 1896 geboren. Warum sie mit 37 Jahren noch Mutter wurde? «Vielleicht, weil Muttersein zum guten Ton gehörte», mutmasst Reto Knöpfel. Auf jeden Fall geht aus der von Ehemann Heinrich geführten Agenda hervor, dass seine Frau hochschwanger bis Januar noch auftrat. Im Februar wurde Tochter Eva geboren, und im Mai sang Emilie an der Krönungsmesse des Zaren Nikolaus. Eine «Working Mom», eine arbeitende Mutter, würde man heute sagen. Deshalb war ihr Mann bei der Erziehung der Tochter, die später selbst Konzertsopranistin und Pädagogin werden sollte, massgeblich beteiligt. Eva wurde von ihrer Mutter unterrichtet, erreichte jedoch nie deren Niveau. Die Abgrenzung zur aussergewöhnlichen Sängerin wie auch der ständige Vergleich waren schwierig. Knöpfel sagt, dass die Urenkelin Grossmutter Eva nicht als nette Frau erlebt habe. Mit Emilie fühle sie sich mehr verbunden. Dennoch hat die Mutter mit ihrer Tochter Duett-Abende durchgeführt. Der Erste Weltkrieg könnte der Grund sein, dass Emilie Herzog-Welti im Thurgau fast unbekannt blieb. «Sie fühlte sich dem deutschen Volk sehr verbunden und spendete einen grossen Teil ihrer Pension. Sie verkaufte auch den vom Zaren geschenkten Schmuck, um den Erlös dem Roten Kreuz zukommen zu lassen», erzählt Knöpfel.

Claudia Koch, 24.04.2024


Ausstellungen zu Emilie Herzog-Welti
Im Vinorama Museum in Ermatingen werden die Karriere-Highlights, Herausforderungen und Hürden der Diva präsentiert. Die Kabinettausstellung im Museum kunst + wissen in Diessenhofen widmet sich der Thurgauer Herkunft sowie den ersten Karriereschritten. 
www.vinorama-ermatingen.ch und www.diessenhofen.ch/staedtlileben/kultur-gesellschaft/museum-kunst-wissen.html/136
 

Emilie Herzog-Welti
Quelle: zVg
Emilie Herzog-Welti als Königin der Nacht in Mozarts «Zauberflöte»

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