Redewendungen aus der Bibel

Wenn man Abscheu oder Ekel empfindet, wenn einen etwas graust oder man etwas Schlimmes befürchtet, spricht man davon, dass einem «die Haare zu Berge stehen».

Sechs Uhr morgens. Keine Strassenlaterne. Vollkommene Dunkelheit und Stille. Ich laufe wie fast jeden Morgen entlang des Waldrandes zum Bus. Dann das unerwartete Geräusch in den Gebüschen zu meiner Rechten, es schreckt mich auf. Ein Gefühl der Kälte streicht über meine Unterarme, und trotz der dicken Jacke meine ich zu spüren, wie sich die Haare sträuben. Ein Moment der Angst überkommt mich. Die körperlich fühlbare Redewendung «die Haare zu Berge stehen» finden wir im Buch Hiob: «Ein Geist schwebt an meinem Gesicht vorüber, die Haare meines Leibes sträuben sich» (4,15). Elifas beschreibt an dieser Stelle sein Unbehagen.

In der hebräischen Bibel haben Haare verschiedene Bedeutungen. So sind sie ein Zeichen von Stärke, wie das Buch der Richter in den Kapiteln 13–16 erzählt, wo Simson mit dem Verlust der sieben Locken auch seine unglaubliche körperliche Stärke verliert. Anders verstehen wir den Verlust von Haaren bei Jes 3,24. «Dann habt ihr Moder statt Balsam, Strick statt Gürtel, Glatze statt kunstvollen Locken, (…)». Es handelt sich um eine Strafandrohung des Herrn an die hochmütigen Töchter Zions.

Als Zeichen ihrer Schönheit werden die Haare einer Frau mit einer Herde von Ziegen verglichen (Hohelied 4,1). Mutet dieser Vergleich beim erstmaligen Lesen unverständlich an, so steckt in der Ziege das Bild von Stärke, Vitalität und Lebenskraft. Eine mentale Stärke und Glauben muss auch die Sünderin besessen haben, als sie ins Haus des Pharisäers ging, um mit ihren Haaren die von ihren Tränen benetzten Füsse Jesu zu trocknen (Lk 7,37f). Wie in den bildlichen Darstellungen aus den verschiedenen Epochen dürfen wir uns eine Frau mit langen wallenden Haaren vorstellen.

Die heutige Gesellschaft steht der Körperbehaarung ambivalent gegenüber. So wird der Pflege des Kopfhaares und den Frisuren sehr grosse Bedeutung zugemessen, die Bedeutung des Körperhaares allerdings reicht von Akzeptanz bis zu einer vollständigen Rasur desselbigen. Den Vergleich mit einer Herde von Ziegen würde man heute nicht mehr machen, auch wenn die Werbung versucht zu vermitteln, dass nur kräftiges Haar gesund sei und verschiedene Pflegeprodukte vitalisierend für das Haar. Wenn uns «die Haare zu Berge stehen», dann können wir fühlen, wie die Kraft, der Mut uns bildlich gesprochen über die aufgestellten Haare verlässt. So verlässt uns auch die Körperwärme, wenn die Haare vor lauter Kälte zu Berge stehen oder unsere Gelassenheit dem blanken Entsetzen weicht. Man könnte meinen, die Haare seien das Ventil, über welches manche Empfindungen den Körper verlassen.

Andrea Moresino-Zipper, Theologin und Journalistin


Ausgabe Nr. 24/2018


 

Bild: clipdealer.com

Kommentare

+

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.
Bild-CAPTCHA
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.