Ein Thurgauer unterstützt die Basiskirche in El Salvador

Während Altersgenossen an ihrer Karriere basteln oder sich eine eigene Existenz aufbauen, zählen für Andreas Hugentobler andere Ideale: Der 37-jährige Theologe lebt zusammen mit seiner Familie im vom Bürgerkrieg gezeichneten El Salvador, wo er mit seiner Frau zusammen ein Netz von Basisgemeinden (siehe unten stehende Anmerkung) begleitet. Ende Januar besuchte er seine Familie in Frutwilen und stellte an verschiedenen Orten seine Arbeit vor. Bei einem Treffen mit forumKirche gab er Einblicke in sein nicht gerade alltägliches Leben und erzählte, was ihn daran fasziniert.

El Salvador ist kein Land, das von seiner politischen und gesellschaftlichen Situation her einlädt, dauerhaft zu verweilen. Die Spannungen zwischen Arm und Reich sind gross, Gewalt ist an der Tagesordnung. Bereits in den 70er-Jahren entstand eine von der ärmeren Bevölkerung getragene Protestbewegung, die Landreformen und die Einhaltung der Menschenrechte forderte. Nach der Ermordung von Erzbischof Óscar Romero 1980 begann ein Bürgerkrieg, der zwölf Jahre lang tobte. «Am Ende stand kein wirklicher Friede, sondern nur eine Art Waffenstillstand. Die sozialen Konflikte wurden nicht beseitigt, sie bestehen bis heute», sagt Andreas Hugentobler. Erbe dieses Konfliktes sind Jugendbanden mit mafiaähnlichen Strukturen (Maras), die vor allem ländliche Gegenden kontrollieren.

Frühes Interesse
Diese widrigen Bedingungen konnten Andreas Hugentobler nicht davon abhalten, sich für dieses Land zu interessieren und schliesslich seinen Lebensmittelpunkt dorthin zu verlegen. Schon früh war bei ihm das Interesse an Lateinamerika, seiner Geschichte, seiner Kirche und vor allem an den Basisgemeinden geweckt. Bereits nach seiner Matura absolvierte er 2002 einen halbjährigen Freiwilligeneinsatz in Peru. Danach wendete er sich dem Theologiestudium zu in Freiburg i. Üe. und an der Jesuitenuniversität in San Salvador – eben an jenem Ort, an dem 1989 sechs Professoren und zwei Frauen für ihre Solidarität mit den Armen hingerichtet wurden. «Sie gehört zu den klassischen Universitäten, die die Aufmerksamkeit für Basisgemeinden theologisch warm hält», hebt Hugentobler hervor. Seinen Zivildienst leistete er im Projektbereich bei Mission 21, wo er ebenfalls für das Gebiet Lateinamerika zuständig war.

Eigenständigkeit fördern
Nach seinem Studium und der Berufseinführung als Pastoralassistent wollte der junge Theologe das Leben in den Basisgemeinden unmittelbar kennenlernen. 2014 reiste er zusammen mit seiner Frau Betsaida, die aus El Salvador stammt, in das mittelamerikanische Land am Pazifik und betreute dort im Auftrag einer Organisation einen Zusammenschluss von verschiedenen Basisgemeinden. Doch schon bald musste er feststellen, dass ihm diese Form der Begleitung widerstrebte: «Die Entwicklung verlief von oben nach unten. Die Menschen vor Ort sind mit ihren Bedürfnissen gar nicht zu Wort gekommen. Ich bin aber überzeugt, dass der Glauben von unten wächst», erzählt Hugentobler. Es kam zum Konflikt, er wurde entlassen. Zu seiner Überraschung stellten sich die acht Basisgemeinden hinter ihn, schlossen sich in einen eigenen Verein zusammen und berieten in einem einjährigen Analyseprozess die Ausrichtung ihres Zusammenlebens. «Sie wollten mehr auf die Schreie, d. h. die Nöte, in ihren Reihen achten und den Betroffenen Beistand leisten», fasst Andreas Hugentobler das Ergebnis zusammen. Es entstanden Gruppen für Kinder, Jugendliche, Frauen und Seniorinnen, die von einem Animationsteam begleitet und einmal pro Monat durch einen Workshop unterstützt werden. Den Zusammenhalt fördert auch das Gedenken an die Aktivisten, die im Kampf für mehr Gerechtigkeit in den 70er-Jahren ihr Leben liessen. Jedes Jahr finden Gottesdienste für sie statt.

Zwischen Bedrohung und Brüderlichkeit
Die Gewalt in El Salvador ist allgegenwärtig, vor allem auf dem Land. Deshalb zog Andreas Hugentobler es vor, mit seiner Frau und den beiden Kindern Paula (6) und Santiago (2) in einem bewachten Viertel in der Hauptstadt zu leben und eine knapp einstündige Autofahrt zu dem Basisgemeindenetz in Kauf zu nehmen. Trotz der latenten Gefahr schätzt er das Leben dort sehr, nicht nur des warmen Klimas, des Meeres und der guten Mangos wegen: «Es begeistert mich, wie die Menschen es trotz ihrer Sorgen immer wieder schaffen zu lachen, zu singen und zu feiern. Sie machen aus jedem Moment ein Fest.» Ausserdem liebt er seine Arbeit mit den Menschen in den Basisgemeinden: «Die Freiheit ist riesig, die Erfüllung gross. Wir sind füreinander nicht nur Arbeitskollegen, sondern Freunde.»

Zurück in die Schweiz
Von daher fällt es ihm und seiner Frau nicht leicht, sich mit dem Gedanken an eine Rückkehr in die Schweiz zu befassen. Dieser rückt für Andreas Hugentobler aber immer näher, zum einen weil er seinen Kindern eine gute Bildung ermöglichen möchte, zum anderen aus finanziellen Gründen. Denn die Unterstützung von Fidei Donum, einer Einrichtung für weltkirchlichen Austausch der Schweizer Bischofskonferenz, ist in seinem Fall zeitlich befristet und bietet keine langfristigen Perspektiven für eine Arbeit in El Salvador. So wirkt er derzeit in seiner Arbeit darauf hin, noch mehr Verantwortung abzugeben. Um jemanden für die Koordination vor Ort anstellen zu können, sucht er derzeit in der Schweiz nach finanzieller Unterstützung. «Letztlich geht es uns aber um mehr. Es sollen Partnerschaften entstehen, die von gegenseitigem Interesse getragen sind», erklärt Hugentobler. Im Blick auf den eigenen Neustart in der Schweiz hoffen er und seine Frau auf eine Arbeitsstelle, bei der sie in einem Team arbeiten und weiterhin eine «Kirche von unten» mitgestalten können.

Detlef Kissner (18.2.20)


Basisgemeinden

Basisgemeinden sind ein Ausdruck einer Kirche der Armen, sie liegen entweder in armen Stadtquartieren oder in kleinen abgelegenen Dörfern. Dort, wo es keine Dienstleistungen gibt und der Pfarrer nur selten hinkommt, übernimmt eine Basisgemeinde die Sorge um das Wohl der Ärmsten unter den Armen, organisiert Krankenbesuche, Senior/innen-Nachmittage, Gemeindefeiern, Produktionsinitiativen, Kinderausflüge, Nachhilfekurse, Protestmärsche etc. Die Basisgemeinden wurden kurz nach dem Zweiten Vatikanum 1969 auf der lateinamerikanischen Bischofsversammlung in Medellin (Kolumbien) als offizieller Ausdruck der katholischen Kirche anerkannt. Das Ziel der Basisgemeinden ist die Verbreitung eines befreienden Glaubens, der Unrecht nicht als gottgewollt akzeptiert, sondern seine Ursachen anklagt und verändert. (Aus: Projektbeschrieb Basisgemeinden El Salvador).

Nähere Infos: www.ecosdelpulgarcito.wordpress.com  


 

"

Andreas Hugentobler bei seinem Besuch bei forumKirche.

Bild: Detlef Kissner

 
 
"

Musik bereichert das Leben der Basisgemeinden.

Bild: zVg

Kommentare

+

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.
Bild-CAPTCHA
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.