Kirchliches Hilfsangebot wurde in der Krisenzeit erweitert

Die Bilder aus Genf, wo über 2’500 Menschen für Gratislebensmittel anstanden, rüttelten auf. Auch wenn im Thurgau die Not durch die Corona-Krise nicht dieses Ausmass erreicht und damit weniger sichtbar ist, wächst sie auch hier. Caritas Thurgau hat ihre Hilfen für armutsbetroffene Menschen ausgebaut und konnte damit auf über 100 Anfragen reagieren. 

Als die ersten Massnahmen gegen die COVID19-Pandemie ergriffen wurden, erreichten die Mitarbeiterinnen der Caritas Thurgau vor allem viele Fragen: Was man bei Kurzarbeit oder zur Beantragung von Erwerbsersatzleistungen unternehmen muss, ob der Weg zum Sozialdienst nötig ist usw. «Dieser Informationsbedarf ist dann deutlich zurückgegangen», sagt Judith Meier Inhelder, Leiterin der Caritas Thurgau. Dafür seien in den letzten sechs Wochen in über 100 Fällen konkrete Hilfen angefragt worden. Etwa 20 dieser Anfragen kamen von Armutsbetroffenen, die schon vorher mit der Caritas in Kontakt standen. Die anderen Hilfesuchenden waren alle durch die Massnahmen gegen die Pandemie in eine bedrohliche Lage geraten. «Es handelt sich vor allem um Menschen, die schon vorher in einer prekären finanziellen Situation gelebt haben, keine Rücklagen bilden konnten und durch Einkommenseinbussen wie z. B. Kurzarbeit nun ihre Ausgaben nicht mehr bezahlen können», erklärt Judith Meier. Das betreffe Arbeitnehmer*innen aus der Gastrobranche, Taxifahrer*innen, aber auch Angestellte. Hinzu kämen Selbständige wie Künstler*innen oder Physiotherapeut*innen, die von heute auf morgen ihre Arbeit einstellen mussten, oder Menschen, die arbeitslos wurden und eine Überbrückung benötigten. Auch Fahrende hätten sich in den letzten Wochen vermehrt gemeldet. 

Starke Partner

Angesichts der gestiegenen Nachfrage ist Judith Meier sehr froh, dass der Caritas finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, die sie an die Bedürftigen weitergeben kann, damit diese ihre Miete, Krankenkassenprämie oder ihren Grundbedarf bezahlen können. Von der Glückskette erhielten sie und ihre Mitarbeiterinnen dafür 80'000 Franken. Die Vergabe von anfänglich 1'000 und jetzt 3'000 Franken pro Familie ist allerdings an strikte Kriterien geknüpft. «Die Reduktion oder der Verlust der Einkünfte muss im Zusammenhang mit der Krise stehen», sagt Judith Meier. Zudem müssen die Antragsteller*innen Unterlagen zur Prüfung ihrer finanziellen Situation vorlegen. Die Kooperation mit der Caritas St. Gallen- Appenzell, welche Gesuche der Stiftung Ostschweizer helfen Ostschweizern (OhO) bearbeitet, erweiterte den Spielraum, Menschen in dieser unverschuldeten Notlage zu unterstützen. «Hinzu kommen noch Spenden von Privatpersonen, die wir ebenfalls in der Einzelfallhilfe einsetzen können», sagt die Caritas-Leiterin. 

Lebensmittelspenden weitergeben

Da die Ausgabestellen von Tischlein deck dich im Thurgau coronabedingt geschlossen hatten – viele auch noch im Mai –, entschloss man sich bei Caritas Thurgau, die kostenlose Abgabe von Lebensmitteln selbst in die Hand zu nehmen. Das Brot steuerten zwei örtliche Bäckereien bei, die übrigen Lebensmittel kamen von der Restessbar Frauenfeld. «Angefangen haben wir mit 15 Lebensmittelsäcken. Doch die Nachfrage stieg immer mehr», erzählt Judith Meier. So entschied sich das Caritas-Team, das Angebot zu erweitern und dafür nach weiteren Partnern zu suchen. Die Schweizer Tafel sagte zusätzliche Lebensmittel zu. Und Armin Ruf, Leiter der Pfarrei Weinfelden, stimmte bereitwillig einer Kooperation zu. Er vermittelte Freiwillige aus der Kolpingfamilie und der Katholischen Arbeiternehmerbewegung (KAB), die nun bei der Verteilung der Lebensmittel helfen. Inzwischen werden bereits 40 Spenden bei der wöchentlichen Ausgabe verteilt. Ursprünglich war geplant, die Aktion nur bis Mitte Juni durchzuführen. «Wir würden die Zusammenarbeit gern noch weiterführen, damit ein grösserer Kreis von Menschen in den Genuss dieser Hilfe kommt», so Judith Meier. 

Sinnvoller Einsatz

Die Pandemie mit ihren unerwarteten Folgen prägte die Arbeit der Caritas Thurgau in den letzten Wochen in besonderem Masse. Zum einen mussten sich die fünf Mitarbeiterinnen in Bezug auf die neuen Bestimmungen umfassend informieren. Zum anderen forderte der Anstieg von Hilfesuchenden von ihnen vollen Einsatz, zumal das Verteilen der Glückskette-Zuschüsse zusätzlich mit einer präzisen Dokumentation verbunden ist. «Wir haben in den letzten Wochen Überstunden im Umfang einer 70 Prozent-Stelle geleistet », erklärt Judith Meier. Diesen Einsatz erbrachte das kleine Team gern, zumal es ihn als sehr sinnvoll erlebte: «Wir sehen, wie glücklich die Menschen sind, wenn sie zum Beispiel die Lebensmittelspenden erhalten.» Judith Meier ist dennoch froh, dass ein Teil der Überzeit durch zusätzliche finanzielle Mittel kompensiert werden kann. 

Hürden, Sozialhilfe zu beantragen 

Die Pandemie fordert die Gesellschaft auf vielen Ebenen heraus. Die Hilfspakete mit denen der Bund reagierte, sind nach Ansicht der Sozialarbeiterin nicht schlecht: «Aber die Armen sind wieder vergessen worden.» Es habe schon vor Corona viele Menschen gegeben, die trotz einer Vollerwerbsarbeit am Existenzminimum gelebt hätten. Kurzarbeit, der Wegfall kleinerer Jobs oder gar Arbeitslosigkeit habe ihre Situation derart verschärft, dass sie ohne Hilfe nicht mehr auskommen könnten. Nicht alle bringen es dann fertig, sich beim Sozialdienst zu melden. Die einen schämen sich, weil sie bis jetzt immer alleine zurechtgekommen sind, die anderen haben Angst, dass sie ihre Aufenthaltsbewilligung verlieren könnten, wieder andere schreckt die Rückzahlungspflicht ab. Ohne die zusätzlichen Hilfen wie die der Caritas wäre ihre Not noch grösser. «Wir bedauern es sehr, dass viele Menschen, die immer arbeiten, in diese Abhängigkeitsspirale rutschen, so Judith Meier. 

Detlef Kissner (26.05.20)



Spenden für Betroffene der Corona-Krise sind über www.caritas-thurgau.ch möglich
 

Judith Meier Inhelder
Judith Meier Inhelder mit den Lebensmittelsäcken, die an Bedürftige verteilt werden.

Bild: Detlef Kissner

 

 

 

 

 

 

 

Caritas
Durch die Corona-Massnahmen sind mehr Menschen darauf angewiesen, günstig Lebensmittel einzukaufen.

Bild: Conradin Frei/Caritas

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