Zum Tod von Tovia Ben-Chorin

Der liberale Rabbiner Tovia Ben-Chorin ist in St. Gallen gestorben. Wie sein Vater Schalom Ben-Chorin pflegte er den christlich-jüdischen und den interreligiösen Dialog. Sein Humor war legendär. Doch wenn nötig, sprach er auch Klartext. 

Tovia Ben-Chorins gute Laune war selbst im hohen Alter ansteckend. Zu fast jedem Thema fiel ihm ein Witz oder eine Anekdote ein. So erzählte er gerne von seiner Zeit als Rabbiner in Jerusalem, wo ein rothaariger Kater sich öfter zum Schabbat in die Synagoge schlich. Ein rothaariger Mann soll sich darüber beschwert haben. Tovia Ben-Chorins Konter lautete: «Das ist die Seele eines orthodoxen Rabbi, der zur Strafe in einem liberalen Gottesdienst den Schabbat feiern muss.» 
Wenn nötig, sprach er aber Klartext. Als der emeritierte Churer Bischof Vitus Huonder 2019 ins Knabeninstitut der Piusbrüder nach Wangs SG zog, verurteilte Ben-Chorin das in aller Schärfe aufgrund der antijudaistischen Prägung der Piusbrüder.

Von Israel nach Zürich
Gemeinsam mit seinem Vater hatte Tovia Ben-Chorin 1958 die Har-El-Gemeinde im Zentrum Jerusalems gegründet, in der er später als Rabbiner wirkte. Sie gilt als Gründungsgemeinde der israelischen Bewegung für Reform und progressives Judentum. 1996 wurde Tovia Ben-Chorin von der Jüdischen Liberalen Gemeinde in Zürich, Or Chadasch, angefragt, weil es einen Mangel an deutschsprachigen Rabbinern gab. Dort war er 13 Jahre lang tätig, bis er zur Liberalen Gemeinde nach Berlin ging. Vor ein paar Jahren wechselte er nach St. Gallen: «Eine kleine Gemeinde mit weniger als 100 Mitgliedern: Sie ist traditionell ausgerichtet, hat aber viele Freidenker», scherzte Tovia Ben-Chorin.
Politisch engagierte er sich gegen die israelische Besatzung und den Siedlungsbau, unter anderem in der jüdischen Initiative JCall Deutschland, der er zwischenzeitlich vorstand.

«Unermüdlicher Einsatz»
Der Runde Tisch der Religionen St. Gallen und Umgebung nannte Ben-Chorin die «gute Seele» im interreligiösen Dialog. Sein Engagement schien unerschöpflich zu sein, wie es weiter hiess. 
«Der Tod von Rabbiner Ben-Chorin erfüllt uns mit grosser Trauer. Sein Engagement für die jüdische Gemeinschaft und sein unermüdlicher, jahrelanger Einsatz für den interreligiösen Dialog bleiben unvergessen», teilte der Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds, Jonathan Kreutner, mit. 

Er lernte deutsch und hebräisch
Tovia Ben-Chorins Vater Schalom war als Fritz Rosenthal aus Deutschland vor den Nazis geflohen und ins damalige Palästina emigriert. Tovia Ben-Chorin wurde 1936 in Jerusalem geboren. Er wuchs zweisprachig auf, lernte deutsch und hebräisch. «Meine Eltern mussten sich während des Kriegs oft rechtfertigen, warum sie auf der Strasse mit ihren Kindern deutsch sprachen», sagte Ben-Chorin. «Doch mein Vater sagte, man könne nicht ‘die Deutschen’ verurteilen; die Gräuel seien von den Nationalsozialisten begangen worden.» Später erzählte Tovia Ben-Chorin immer wieder, er habe in Jerusalem ganz praktisch den Dialog zwischen den Religionen mitbekommen.

Raphael Rauch/Red., 29.03.2022
 

Tovia Ben-Chorin
Quelle: zVg
Tovia Ben-Chorin bei der interreligiösen Feier zum Eidgenössischen Bettag auf dem Klosterplatz in St. Gallen.

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