Impulse, die vom Konstanzer Konzil ausgingen

Der grösste Erfolg des Konstanzer Konzils (1414–18) war zweifelsohne die Beseitigung des kirchlichen Führungschaos. Darüber hinaus stärkte es die Position von Konzilen gegenüber der päpstlichen Macht. Mit diesem Schritt war die Kirche ihrer Zeit voraus, meint Markus Ries, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Luzern, weil sich darin erste parlamentarische Strukturen zeigten.

Ende des 14. Jahrhunderts befand sich die Kirche in einer äusserst misslichen Lage: An ihrer Spitze standen gleichzeitig zwei Päpste, die von verschiedenen kirchlichen und weltlichen Lagern unterstützt wurden (Grosses Abendländisches Schisma). Der eine residierte in Avignon, einem externen Besitz des Kirchenstaates, der andere in Rom. Auf dem Konzil von Pisa (1409) wollte man diese unglückliche Spaltung überwinden, indem man beide Päpste absetzte und einen neuen Papst bestimmte. Die Rechnung ging leider nicht auf. Da die abgesetzten Päpste an ihrem Anspruch festhielten, gab es nun drei konkurrierende Amtsinhaber. «Es handelte sich um keine theologische, sondern rein organisatorische Spaltung», sagt Markus Ries.

Im Osten Europas schwelte ein weiterer Konflikt: Inspiriert durch die Ideen von John Wyclif (1330–1384) forderte der böhmische Gelehrte Jan Hus (1379–1415) eine Reform der verweltlichten Kirche. Er kritisierte den Besitz der Kirche und trat für Gewissensfreiheit ein, die Bibel war für ihn höchste Instanz in Glaubensfragen. Dies missfiel der etablierten Amtskirche. «Es war eine von der theologischen Debatte her aufgeladene Situation ähnlich wie vor und während der Reformation», stellt Ries fest. Die beiden Jahrhunderte liessen sich gut miteinander vergleichen, zumal die Reformatoren in Hus und seinen Anhängern ihre Vorläufer gesehen und sich in ihren Gedanken verbunden gewusst hätten.

Drei Ziele

Da die anhaltende Kirchenspaltung den weltlichen Frieden bedrohte, setzte sich der römisch-deutsche König Sigismund engagiert für eine Lösung des Konflikts ein. Er brachte Papst Johannes XXIII. dazu, 1414 ein Konzil in Konstanz einzuberufen. Neben der Beseitigung des Schismas (causa unionis) steckte man sich das Ziel, die Kirchenstrukturen zu bereinigen, die letztlich zum Konflikt geführt hatten (causa reformationis). «Die Gewichte zwischen Papst, Bischöfen und Landesherren sollten neu verteilt werden», so Markus Ries. Schliesslich sollten die Glaubensdifferenzen mit Jan Hus geklärt und damit eine Abspaltung der östlichen Gebiete verhindert werden (causa fidei).

Letzteres gelang den Konzilsvätern nicht. Obwohl Jan Hus freies Geleit zugesichert worden war, wurde er in Konstanz der Ketzerei angeklagt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Seine Anhänger rückten von der katholischen Kirche ab. In der Folge kam es zu zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen (Hussitenkriege 1419–36) im Osten Europas.

Das Konzil greift zur Macht

«Der auffälligste und bedeutsamste Erfolg des Konzils war die Rückführung der Kirchenleitung auf einen einzigen Papst», resümiert Markus Ries. Das Konzil wählte am 11. November 1417 Oddo di Colonna zum Papst. Er nannte sich Martin V. Zuvor konnte einer der drei konkurrierenden Päpste zum Rücktritt bewegt werden, die beiden anderen wurden abgesetzt. Eine weitere bemerkenswerte Entwicklung fand im Dekret «Haec sancta» ihren Abschluss. Nach der Flucht von Papst Johannes XXIII., dessen Chancen auf eine alleinige Herrschaft geschwunden waren, verfügte die Versammlung, dass im Fall einer Krise einem rechtmässig einberufenen Konzil die oberste Entscheidungsgewalt zukomme. «Damit gab es erstmals eine Institution, die über dem Papst stand», hebt Markus Ries hervor, «diese Festlegung galt bis ins 19. Jahrhundert hinein als ein Hoffnungszeichen, eine Reform, die vor allem bei der Diskussion um den päpstlichen Primat nicht ausser Acht gelassen werden konnte.» Doch der Kirchenhistoriker warnt zugleich, dass dieser synodale Aufbruch auch mit einer belastenden Erinnerung verbunden sei: «Es war das Konzil – und nicht ein Papst –, das Jan Hus zum Tod verurteilte und damit versuchte, eine Glaubensdifferenz mit Justizgewalt zu klären.»

Regelmässige Konzile

Um ihre neue Macht zu festigen und Reformen beschliessen zu können, schrieben die Konzilsväter für die Zukunft regelmässige Zusammenkünfte vor – etwa alle 10 bis 20 Jahre. Dieses Vorhaben sollte jedoch scheitern. Zum einen waren die nachfolgenden Päpste zu schwach, es umzusetzen. Zum anderen war man sich in wichtigen Fragen uneins, was die Zusammenkünfte verhinderte. «Angesichts der Bedrohung von Konstantinopel wurde zum Beispiel der Versuch gestartet, Ost- und Westkirche wieder miteinander zu vereinigen. Dieser Versuch scheiterte wegen unterschiedlicher politischer Interessen», sagt Markus Ries. Schliesslich hatten die Gedanken des Humanismus seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts in Europa Einzug gehalten. Auch unter den Konzilsteilnehmern – Papstsekretären, Theologen usw. – fanden sich eifrige Anhänger dieser geistigen Strömung. Der Humanismus setzte auf intellektuelle Auseinandersetzung, auf Aufstieg der Universitäten. Er trug dazu bei, dass man Kirche nicht mehr nach dem mittelalterlichen Prinzip «Papst gegen Kaiser» organisieren konnte. Die Vorstellungen des Konzils verloren an Bedeutung.

Die Bedeutung der Konzilsbeschlüsse

Auch wenn sich die Institution des Konzils nicht als Gegengewicht zur päpstlichen Macht etablieren konnte, begann mit dem Konstanzer Konzil etwas Neues. «Es werden regelmässige Treffen, eine Gewaltenteilung und Kontrollen angestrebt. Darin zeigen sich Vorläufer von parlamentarischen Strukturen, die es vor der Aufklärung gegeben hat», stellt Markus Ries fest. Damit sei die Kirche ihrer Zeit weit voraus gewesen. Vergleichbares habe sich auch in England entwickelt, wo es seit dem Mittelalter ein Parlament gab. In den Territorien des Reiches gab es vergleichbare Versammlungen. Diese Frühformen waren vor der Aufklärung allerdings allesamt stark ständisch geprägt.

Detlef Kissner (6.8.2019)

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Das Konzil tagte im Konstanzer Münster (Richentalchronik).

 
 
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Der neugewählte Papst reitet vom Kaufhaus zum Münster.



Bilder: Rosgartenmuseum/Wikimedia Commons

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