In der Türkei trafen sich vor 1'700 Jahren Geistliche zum Ersten Konzil

Wenn wir heute auf das Jahr 325 n. Chr. zurückblicken, treffen wir auf eines der bedeutendsten Ereignisse der Kirchen­geschichte : das Erste Konzil von Nizäa. In einer kleinen Stadt in Bithynien, heute Iznik in der Türkei, versammelten sich rund 300 Bischöfe und Priester aus allen Teilen des Römischen Reiches.

Das Erste Konzil von Nizäa war weit mehr als eine theologische Konferenz. Es war ein machtpolitisches Ereignis, ein Streit um Identität und Wahrheit, ein Versuch, Einheit zu schaffen – und ein Spiegel der jungen Kirche im Spannungsfeld zwischen Glaube und Geschichte. Eingeladen zum heute noch bedeutsamen Konzil von Nizäa hatte kein Geringerer als der römische Kaiser Konstantin der Grosse. Doch was brachte den erst kurz zuvor christlich gewordenen Herrscher dazu, Theologen an einen Tisch zu bringen ? Worüber stritt man sich so leidenschaftlich, dass selbst das Osterdatum bis heute nicht einheitlich geregelt ist ?

Rom wird christlich
Mit dem Toleranzedikt von Mailand im Jahr 313 n. Chr. beendete Konstantin offiziell die Christenverfolgung im Römischen Reich. Es war eine Zeitenwende. Die bis dahin marginalisierte christliche Bewegung wurde innerhalb weniger Jahrzehnte zu einer staatlich anerkannten und später sogar bevorzugten Religion. Doch mit der raschen Expansion ging keine theologische Einigkeit einher. Lokale Bischöfe hatten sich eigene Traditionen bewahrt, und viele Fragen der christo­logischen, der Lehre von Jesus von Nazareth, und kirchenrechtlichen Lehre waren offen. Besonders die Debatte über das Wesen Christi spaltete die Kirche und stellte eine ernsthafte Gefahr für die Einheit des Reiches dar.

Konstantin erkannte, dass religiöser Zwist politische Instabilität bedeutete. Schon 323 n. Chr. hatte er Bischöfe aus Ägypten und Libyen zu einer Synode nach Alexandria eingeladen. Unter ihnen Arius, der Jesus Christus absprach, Gott zu sein. Kurz darauf wurde Arius mit einigen anderen Bischöfen, Priestern und Diakonen exkommuniziert, was zu Protesten und Gegenreaktionen führte. Um die im Osten gefährdete Kircheneinheit besorgt, weniger aus persönlicher Frömmigkeit berief der prag­matische Staatsmann Konstantin 325 n. Chr. eine Vollversammlung in Nizäa ein. Er über­nahm dabei eine bis dahin beispiel­lose Rolle : ein römischer Kaiser als Einberufer eines theologischen Konzils.

Die Frage nach Christus
Im Zentrum des Konzils im Mai und Juni vor 1'700 Jahren stand die Christologie – genauer gesagt : das Verhältnis Jesu Christi zu Gott, dem Vater. Die Debatte entzündete sich an der Lehre von Arius aus Alexandria. Arius war der Ansicht, Christus sei nicht göttlich im gleichen Sinne wie der Vater. Für ihn war der Sohn ein geschaffenes Wesen, das nicht von Ewigkeit existierte. Mit dem provokanten Satz « Es gab eine Zeit, da war er nicht », brachte er seine Lehre auf den Punkt.
Diese Position fand rasch sowohl Anhänger als auch entschiedene Gegner. Einer der schärfsten Widersacher von Arius war Athanasius, ein Diakon, der ebenfalls aus Alexandria stammte und der später Bischof wurde. Er betonte, dass Christus wesensgleich mit dem Vater sei. Es ging dabei um nicht weniger als die Frage, ob Christen in Jesus einen zweitrangigen Gott oder den wahren Sohn Gottes anbeteten. Die Diskussion um den griechischen Begriff « homoousios » (gleichen Wesens) war keineswegs ein blosser Streit um Worte, sondern eine sehr tiefgreifende Auseinander­setzung über die Grundlage des christ­lichen Glaubens.

Einheit um jeden Preis
Kaiser Konstantin war kein Theologe, aber ein kluger Machtpolitiker. Er duldete theo­logische Differenzen nur insoweit, wie sie die öffentliche Ordnung nicht gefährdeten. Auf dem Konzil drängte er auf eine Einigung – zur Not auch mit kaiserlichem Nachdruck. Am Ende setzte sich die Position Athanasius’ durch, zumindest offiziell. Das Konzil verurteilte die Lehre des Arius als Häresie, eine von der offiziel­len Kirchenmeinung abweichende Lehre, und verabschiedete das sogenannte Nizänische Glaubensbekenntnis, das bis heute in vielen Kirchen im Gottesdienst gesprochen wird. Darin heisst es unter anderem :

« Wir glauben an den einen Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes,
den Einziggeborenen,
der aus dem Vater geboren ist,
das ist aus dem Wesen des Vaters, Gott von Gott, Licht von Licht,
wahrer Gott vom wahren Gott,
geboren, nicht geschaffen,
eines Wesens mit dem Vater .»


Doch damit war der Streit keineswegs beigelegt. Arius wurde zwar exkommuni­ziert, doch seine Lehre blieb lebendig – unter anderem bei germanischen Völkern wie den Goten und Vandalen. Ironischerweise wurde Konstantin selbst kurz vor seinem Tod von einem arianischen Bischof getauft, was bis heute Rätsel aufgibt.

Das Osterdatum
Neben der Christologie beschäftigte das Konzil auch ein praktisches Problem : Wann soll das wichtigste Fest der Christen­heit gefeiert werden ? Der Streit über den Ostertermin war keineswegs banal, denn er berührte die Autorität einzelner Bischofssitze und deren Liturgien. Einige Kirchen, vor allem im Osten, orientierten sich am jüdischen Passahfest, während andere, insbesondere in Rom, einen vom jüdischen Kalender unabhängigen Termin anstrebten. Das Konzil einigte sich auf eine Formel : Ostern sollte am ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond im Frühling gefeiert werden. Die Kirche von Alexandria mit ihrer damals fortgeschrittenen Astronomie wurde mit der jährlichen Berechnung des Osterdatums betraut. Doch auch dieser Beschluss konnte die Einheit nicht dauerhaft sichern. Denn Ost und West verwendeten unterschiedliche Kalender : Die Orthodoxen behielten den julianischen, die Westkirche folgte dem gregorianischen Kalender. Bis heute feiern orthodoxe und westliche Christen Ostern oft an unterschiedlichen Sonntagen.

Kirchenrecht und Disziplin
Neben den teilweise starrköpfigen Debatten wurden auch zahlreiche praktische Fragen am Konzil in Nizäa behandelt. In 20 erhaltenen Kanones (Regelbeschlüssen) legte das Konzil kirchenrechtliche Standards fest, darunter :

•    Jurisdiktion : Bischöfe sollten nur in ihrer eigenen Diözese amtieren.

•    Rangfolge der Bischofssitze : Rom wurde als « Primus inter pares » genannt, gefolgt von Alexandria und Antiochia.

•    Zölibat : Verheiratete Priester wurden nicht verboten, aber das Zölibat für bestimmte Kleriker empfohlen.

•    Wiederverheiratung : Geistliche, die nach ihrer Weihe erneut heirateten, wurden vom Amt ausgeschlossen.

•    Bussdisziplin : Regeln für die Wieder­aufnahme von Häretikern und Gefallenen wurden formuliert.
Diese Entscheidungen legten den Grund­stein für die spätere kirchliche Hierarchie und das Kirchenrecht – mit Auswirkungen bis in die Gegenwart.

Der arianische Streit lebt weiter
Trotz der Verurteilung von Arius und seiner Lehre erlebte der Arianismus nach dem Konzil eine bemerkenswerte Renaissance. Kaiser Konstantius II., ein Sohn Konstantins, war arianisch gesinnt und setzte zahlreiche Arianer in hohe kirchliche Ämter ein. Athanasius wurde mehrmals ins Exil geschickt und musste um sein Leben fürchten. Erst das Konzil von Konstantinopel im Jahr 381 n. Chr. unter Kaiser Theodosius I. konnte den Arianismus in der Reichskirche zurück­drängen. Dort wurde das erste Glaubens­bekenntnis von Nizäa leicht über­arbeitet und zur verbindlichen Lehre erklärt. Das sogenannte Nizänokonstantinopolitanische Glaubens­bekenntnis wird bis heute in vielen Kirchen verwendet.

Rezeption und Bedeutung
Das Konzil von Nizäa war der Auftakt zu einer langen Reihe ökumenischer Konzilien. Es begründete die Praxis, dass Fragen der kirchlichen Lehre in kollektiver Beratung unter kaiserlicher Autorität entschieden werden. Es markierte den Beginn einer engen Verbindung zwischen Kirche und Staat. Zugleich war Nizäa ein Wendepunkt : Die Kirche formulierte erstmals ein verbind­liches Dogma, also eine absolut wahr und allgemeingültig verstandene Lehre. Der Weg zur dogmatisch definierten Trinitätslehre der Einheit Gottes in drei Personen von Vater, Sohn und Heiligem Geist war damit geebnet. Doch das Ringen um die richtige Formulierung zeigt auch, wie umkämpft Glaubenswahrheiten sein können – und wie sie durch politische Interessen beeinflusst werden.

Dass sich Christen bis heute nicht auf ein gemeinsames Osterdatum einigen können, ist ein ironisches Nachspiel eines Konzils, das genau diese Einheit anstrebte. Und vielleicht liegt gerade darin seine grösste Bedeutung : Es zeigt, wie leidenschaftlich und folgenreich Fragen des Glaubens die Geschichte prägen können – bis heute.

Zusammengetragen : Ralph Weibel, forumKirche, 02.07.2025


Zweites Konzil von Nizäa
Nizäa war nach 325 n. Chr. noch einmal Ort einer Weichenstellung in der Geschichte der Kirche. Über 450 Jahre nach dem Ersten Konzil versammelte sich im Jahr 787 erneut ein Konzil in der Stadt Nizäa. Es war das siebte ökumenische Konzil und hatte die Bilder­verehrung zum Thema. Der sogenannte Bilderstreit hatte Byzanz tief gespalten : Ikonoklasten (Bilderfeinde) wollten die Verehrung von Heiligenbildern verbieten, während Ikonodulen (Bildbefürworter) an der Tradition festhielten.
Das Konzil setzte sich schliesslich für die kontrollierte Verehrung von Ikonen ein. Nicht als Anbetung, sondern als Ehrung, die auf das dargestellte Urbild zielt. Damit bestätigte es die Rolle religiöser Kunst in der Liturgie und Volksfrömmigkeit.

Statue von Kaiser Konstantin
Quelle: Gerd Eichmann / Wikimedia Commons
Kaiser Konstantin : Statue vor dem York Minster, der Kathedrale im englischen York

 

 

Kolosseum von Nizäa
Quelle: Wikimedia Commons
Zerfallenes Symbol einer Hochkultur : Ruine des Kolosseums in Nizäa

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