Spitalseelsorge in Zeiten von Corona

Nähe aufbauen, trotz strenger Schutzvorschriften: Die Spitalseelsorgenden und Pflegeteams in den Spitälern und auf den Intensivstationen geben ihr Bestes, um diesem Anspruch in Zeiten von Corona gerecht zu werden. Dabei unterstützen sie nicht nur vor Ort die Erkrankten, sondern auch telefonisch und auf dem digitalen Weg deren Familien – um den Angehörigen ihre Ängste zu nehmen, zu helfen, den Kontakt nicht zu verlieren und auch in der dunkelsten Stunde an ihrer Seite zu stehen.

Die Besuche von Corona- Patient*innen würden eine besondere Aufmerksamkeit erfordern und aufgrund der geltenden Schutzmassnahmen viel Zeit und höchste Sorgfalt benötigen, erklärt Alex Hutter, katholischer Spitalseelsorger am Kantonsspital Frauenfeld. «Aufgrund des derzeitigen Besuchsverbots – Gemeindeseelsorgende nur auf Anfrage – spüren wir jetzt deutlich die erhöhten Anfragen von Patient*innen an uns. Die Gespräche dauern meist länger und der Wunsch nach wiederholten Besuchen stellt sich häufiger als sonst», so Hutter. Dabei seien die Situationen der Betroffenen sehr unterschiedlich. «Einzelne stehen nur unter Corona-Verdacht, andere haben milde Verläufe, wieder andere leiden sehr stark an den Symptomen von Covid- 19. Die spirituellen Bedürfnisse gehen deshalb auch weit auseinander», so der Spitalseelsorger. Es sei aber auch in dieser Situation möglich, auf persönliche Wünsche einzugehen wie Sakramente zu spenden, Seelsorgegespräche zu führen, zu beten und kleine Rituale zu halten. «Ich bete sehr oft mit den Patient*innen. Gerade das ‹Vater unser› ist ein Gebet, welches die Menschen das ganze Leben hindurch begleitet hat», erklärt er. In der jetzigen Situation seien nahe Angehörige von sterbenden Personen vom grundsätzlichen Besuchsverbot ausgenommen. Die Spitalleitung käme damit den Bedürfnissen der Angehörigen entgegen. «Ich höre immer wieder, wie dankbar diese dafür sind, dass sie ihre Liebsten in der Phase des Sterbens besuchen dürfen und für mich ist es immer wieder ergreifend zu sehen, wie liebevoll die Pflegeteams die sterbenden Menschen begleiten», sagt Alex Hutter.

Gegen die Schreckensbilder

Im Kantonsspital Münsterlingen versucht man, neben der Betreuung der Patient*innen und der Pflegeteams, im Besonderen auf die Ängste der Angehörigen einzugehen. Dafür begründete die evangelische Spitalseelsorgerin Karin Kaspers-Elekes, zusammen mit Psycholog*innen und Psychosomatiker*innen, ein sogenanntes Kriseninterventionsteam, dass die Angehörigen täglich mit Informationen über die Patient*innen per Telefon oder mittels Zoom-Videoschalte versorgt. «Ich versuche eine Brücke zwischen den Erkrankten und deren Angehörigen zu sein. Wenn jemand auf der Intensivstation liegt und nur noch in Ausnahmefällen besucht werden kann, ist es für seine Familie wichtig zu hören, wie es ihm geht», so Kaspers-Elekes. Und sie fügt hinzu: «Die Angehörigen können besser verstehen, wo jemand ist, wenn sie wissen, wie es dort aussieht und sie mitbekommen, dass die Patient*innen gut begleitet werden, als wenn sie die ganze Zeit mit diesen medialen Schreckensbildern im Kopf ausharren müssen». In den Gesprächen mit Patient*innen als auch deren Angehörigen sei spirituelles Vertrauen sehr wichtig und damit die Frage, wo die Betroffenen ihre innere Heimat hätten und sich getragen fühlen würden. Den engsten Familienmitgliedern wird in Münsterlingen eben - falls ein Abschiednehmen ermöglicht, wenn ihre Liebsten einen lebensbedrohlichen Zustand erreichen. «Das ist für die anschliessende Trauerphase und für die eigene psychische Gesundheit wichtig», sagt Kaspers-Elekes. Auf die Frage, inwieweit sich die Spitalseelsorgerin selbst von diesen Schicksalen abgrenzen kann, meint sie: «Abgrenzung bedeutet immer Abstand. Wenn ich jemanden begleiten will, muss ich ganz da sein, solange diese Beziehung dauert».

Ein Mensch für andere

Eine Begleiterin war Karin Kaspers-Elekes auch für Anna Terzen* aus Kreuzlingen, deren Mann Ende des letzten Jahres an den Folgen seiner Corona-Erkrankung im Spital Münsterlingen verstarb. «Ich kann nur Positives über das Pflegeteam sagen, dass mich täglich mittags anrief und über den Zustand meines Mannes informierte. Alle zwei bis drei Tage hat sich noch zusätzlich ein Arzt bei mir gemeldet. Ausserdem bekam ich auf meinen Wunsch hin immer wieder Fotos von meinem Mann geschickt, was sehr hilfreich für mich war. Karin Kaspers-Elekes rief mich jeden Morgen an und vermittelte mir ein Stimmungsbild. Sie fragte auch immer, wie es mir ging und das fand ich sehr schön», erzählt Anna Terzen. Ein humorvoller Mensch sei ihr Mann gewesen, sehr fürsorglich und einfühlsam, was die Not und das Leid anderer betraf, sagt sie. «Klaus* fuhr regelmässig nach Deutschland, um seinen an Alzheimer erkrankten Vater zu betreuen. Er hat gerne Neues kennengelernt, war extrem belesen und hat in seinen Büchern gelebt. Klaus hat den Garten und seine Hochbeete geliebt, sich zu Hause wohlgefühlt, ist aber auch gerne gereist. Gerade das Reisen wollten wir nach unserer Pensionierung intensivieren – immerhin hatten wir nun noch vierzehn Monate zusammen», so Anna Terzen. Mit seinen 66 Jahren ging es Klaus Terzen gut, er hatte keine grossen Vorerkrankungen und war weitgehend gesund. Wo sich ihr Mann angesteckt haben könnte, weiss die 65-Jährige nicht. «Wir haben immer sehr aufgepasst, schon von Anfang an Masken getragen, waren viel zu Hause – da wir beide unsere Väter in Deutschland betreut haben, war es uns wichtig, in die Heime gelassen zu werden. Wir sind auch nicht gerade von dort gekommen, sondern waren schon seit Wochen wieder hier, als Klaus erkrankte», erzählt sie. Anfangs Oktober hätten die Symptome angefangen: Schnupfen und Husten sowie sehr sprunghaftes Fieber. «Klaus meinte, das könne nur Corona sein. Ich glaubte das aber anfangs nicht, weil ich es mir einfach nicht erklären konnte. Trotzdem riefen wir Misanto an, den mobilen Testdienst und bekamen einen Tag später den positiven Bescheid. An diesem Morgen hatte mein Mann schon Atemnot und konnte am Telefon nicht mehr sprechen», erzählt Anna Terzen. Sie brachte ihn daraufhin sofort in die Notfallaufnahme nach Münsterlingen. Dort umarmten sie sich zum letzten Mal. «Ich habe mich einige Zeit später testen lassen und war auch infiziert. Acht bis zehn Tage lang hatte ich keinen Geruchs- und Geschmackssinn und war in Quarantäne. Doch ich habe unheimlich viel geschlafen und die Erkrankung sehr gut weggesteckt», sagt die 65-Jährige.

Wiedersehen zum Abschied

Nach den ersten Untersuchungen wurde Klaus Terzen auf einer Isolierstation untergebracht und mit einem Nasenschlauch beatmet. Zwei Tage darauf wurde er jedoch auf die Intensivstation verlegt und nur einige Stunden später mussten ihn die behandelnden Ärzte bereits intubieren und ins künstliche Koma versetzen. «Ich habe auf die täglichen Anrufe aus der Klinik hingelebt. Wir waren 41 Jahre verheiratet und noch nie im Leben so lange getrennt wie in diesen vier Wochen bis zu seinem Tod. Es war immer ein Hoffen und Bangen, aber es waren immer nur Hiobsbotschaften», so Anna Terzen. In der dritten Woche hätte sie dann ihren Blickwinkel geändert. Sie versuchte, die Situation nicht mehr mit ihren, sondern mit den Augen ihres Mannes zu sehen. «Ich hätte ihn so genommen, wie er ist, aber ich weiss, dass er nicht körperlich oder geistig stark eingeschränkt sein wollte und aus diesem Grund auch immer Angst vor dem Alter hatte. Vielleicht ist ihm so auch vieles erspart geblieben, dadurch, dass er einfach aus dem vollen Leben rausgegangen ist», meint Anna Terzen nachdenklich. In seinen letzten Stunden durfte sie ihren Mann noch einmal sehen. «Ich bin gleich losgefahren, es war mitten in der Nacht, aber auch die Nacht unseres gemeinsamen Lebens. Es war ganz merkwürdig, ich freute mich riesig, ihn zu sehen, aber gleichzeitig wusste ich auch, dass es ein Wiedersehen zum Abschied ist. Zu diesem Zeitpunkt wurde er schon zu 100% beatmet, war also ganz tief in der Narkose. In kompletter Schutzmontur durfte ich mehrere Stunden bei ihm sein. Gegen Morgen habe ich dann gesagt, dass wir jetzt bereit sind. Als er aufgehört hat zu atmen, war ich noch eine Weile mit ihm allein. Bei allem Abschiedsschmerz bin ich doch sehr dankbar, dass er nach vier Wochen von seinem Leid erlöst und befreit wurde», berichtet sie.

Neu lernen zu leben

Die grösste Unterstützung habe sie während dieser ganzen Zeit von ihrer Hausgemeinschaft erfahren. Von den Nachbarn, die eine Kerze für Klaus auf ihrer Terrasse anzündeten, als er ins Spital kam und ein kleines Erinnerungsgesteck mit einem Bild von ihm neben ihrer Eingangstür aufstellten. «Anderen Betroffenen in einer ähnlichen Situation würde ich wünschen, dass sie ein solches Umfeld haben, das ich erleben durfte. Menschen, die einfach da sind, zuhören und das Leid mitaushalten», sagt Anna Terzen. Auch die Telefonate mit ihren Verwandten in Deutschland seien unterstützend gewesen, genauso wie das Gedicht «Von guten Mächten» von Dietrich Bonhoeffer – und Musik, bestimmte Liedtexte, denn sie habe immer gerne gesungen. «Mein Mann und ich haben schon vor Jahren eine Bestattungsverfügung gemacht und waren uns beide einig, dass wir kein Grab wollen. Stattdessen haben wir gesagt, wer zuerst stirbt, nimmt die Urne mit nach Hause. Ich bin froh, dass ich ihn hier bei mir habe – in meiner Gedenkecke, mit einem Foto von ihm. Ich sitze auch oft in seinem Büro, in dem er gearbeitet hat und in dem seine ganzen Bücher sind», sagt Anna Terzen. Und nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu: «Ich muss jetzt noch einmal neu lernen zu leben. Einsam fühle ich mich nicht, es ist nur einfach leer ohne ihn».

Sarah Stutte, forumKirche, 12.1.21

* Namen geändert
 

Die Spitalseelsorgenden wollen eine Brücke sein zwischen Patient*innen und Angehörigen.
Quelle: pixabay.com
Die Spitalseelsorgenden wollen eine Brücke sein zwischen Patient*innen und Angehörigen.

 

 

 

Alex Hutter
Quelle: zVg
Alex Hutter

 

 

 

Karin Kaspers-Elekes
Quelle: zVg
Karin Kaspers-Elekes

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