Der Bundesrat will die Adoption von Kindern aus dem Ausland verbieten
Kinderhandel, gefälschte Dokumente und den Müttern entrissene Kinder. Das passierte bei Adoptionen aus dem Ausland in die Schweiz. Um dies künftig zu verhindern, sprach sich Bundesrat Beat Jans Anfang Jahr für ein Verbot internationaler Adoptionen aus. Die Meinungen bei Betroffenen sind gespalten.
Draussen ziehen Wiesen mit blühenden Blumen vorbei. Doch die Stimmung im Familienauto liegt im starken Kontrast zur sonnigen Umgebung. « Wir waren schockiert über das Verbot, nie hätten wir damit gerechnet », sagt Thomas* (Name von der Redaktion geändert). Mit im Auto sitzen seine Frau Manuela* und die beiden Adoptivsöhne im Primarschulalter.
Die Eltern haben die zwei Kinder aus Thailand adoptiert. Dass der Bundesrat nun Familien wie ihre verbieten will, empört die Eltern. Doch das Communiqué des Bundesrats vom Januar ist eindeutig : Ab Ende 2026 sollen internationale Adoptionen in der Schweiz nicht mehr möglich sein. Grund dafür sind mehrere Tausend Fälle von Kinderhandel durch internationale Adoptionen, insbesondere vor der Jahrhundertwende.
Solche Ereignisse dürften sich nicht wiederholen, schreibt der Bundesrat. Von einer unabhängigen Experten-Gruppe liess der Bund deshalb in verschiedenen Szenarien den Umgang der Schweiz mit Auslandsadoptionen prüfen. Das Ergebnis des Berichts : Nur ein Verbot kann Missstände komplett ausschliessen. Verschärfte Reglementierungen würden nicht ausreichen, um missbräuchliche Adoptionen verhindern zu können. Ausserdem wären Verschärfungen mit « immens hohem zeitlichem und finanziellem Aufwand verbunden ». Das sei unverhältnismässig bei der geringen Zahl an Auslandsadoptionen. Im Jahr 2023 waren es noch 19 Fälle.
Adoption kann eine zweite Chance sein
« Unser Sohn hätte es mit seiner schweren Epilepsie in Thailand vermutlich schwer gehabt », sagt Thomas. Er glaubt, dass für seine Kinder die Adoption eine gute Lösung war. Denn in Thailand konnte für die beiden Buben keine Familie gefunden werden. Dass Herkunftsländer dies überprüfen müssen, bevor ein Kind ins Ausland platziert werden darf, ist eine der Bedingungen des Haager Adoptionsübereinkommens. Dieses soll unter anderem sicherstellen, dass die Auslandsadoption als letzte Möglichkeit eintritt und nur dann, wenn dies im bestmöglichen Interesse des Kindes ist.
Thailand ist seit 2004 Vertragsstaat, in der Schweiz trat das Übereinkommen 2003 in Kraft. « Internationale Adoptionen sind wichtig, um vielen Kindern einen Platz in einer Familie zu ermöglichen », sagt Thomas überzeugt. Es liege in der humanitären Verpflichtung der Schweiz, bedürftigen Kindern aus dem Ausland das Aufwachsen in einer Familie zu ermöglichen. Die Adoptiveltern selbst warteten fünf Jahre auf ihren älteren Sohn. Während des Adoptionsprozesses mussten sie sich regelrecht röntgen lassen – auf die finanzielle Situation, die Gesundheit und auf ihre erzieherischen Fähigkeiten. Deshalb denkt Thomas, dass Adoptionsverfahren in der Schweiz ausreichend reglementiert sind.
Schutz der Kinder im Vordergrund
Anders sieht dies Sarah Ramani Ineichen. « Trotz strikter Massnahmen gibt es auch heute noch Hinweise auf missbräuchliche Adoptionen », sagt die 42-Jährige. Sie war Teil der unabhängigen Gruppe von Expertinnen und Experten, auf deren Bericht sich der Bundesrat bei seinem Entscheid stützte.
Als Kind wurde sie selbst Opfer von Kinderhandel durch Adoption aus Sri Lanka in die Schweiz. Davon wusste sie lange nichts. Erst als sie Jahre später in Sri Lanka nach ihrer leiblichen Familie suchte, erfuhr sie : Die Frau, die ihre Geburtsurkunde als ihre Mutter unterschrieb und sie so offiziell zur Adoption freigab, war nicht mit ihr verwandt. « Von den Behörden wurde mir anfangs immer wieder gesagt, ich sei ein Einzelfall », sagt Sarah Ramani Ineichen. Dass das nicht stimmte, stellte sich schrittweise bei der Aufarbeitung der Fälle aus Sri Lanka der Siebziger- und Neunzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts heraus, zusammengefasst in einem Bericht der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW).
Sarah Ramani Ineichen sagt dazu : « Keine einzige der untersuchten Adoptionen verlief rechtmässig. Eine legale Adoption wäre also die Ausnahme. » Für die zweifache Mutter und Hebamme steht der Schutz der Kinder bei internationalen Adoptionen an erster Stelle – und dieser könne nur durch ein Verbot gewährleistet werden.
Nationalrat will kein Verbot
Der Bundesratsentscheid für ein Verbot hat indes weit über die betroffenen Adoptivkinder und -eltern hinaus Wellen geschlagen. Bereits im April hatte die zuständige Nationalratskommission eine Motion gegen ein Verbot von internationalen Adoptionen eingereicht. Nun stellte sich der Nationalrat in der Herbstsession Anfang September ebenfalls gegen den Bundesrat und nahm die Motion mit klaren 151 zu 31 Stimmen bei 15 Enthaltungen an. Statt eines Verbots fordert der Nationalrat verschärfte Massnahmen bei internationalen Adoptionen, um das Missbrauchsrisiko zu reduzieren. Bundesrat Beat Jans gab daraufhin im Rat bekannt, der Bundesrat würde alternativ zum Verbot Transparenz- und Kontrollmechanismen vorschlagen. Trotzdem plädiert der Justizminister dafür, die Debatte um internationale Adoption weiterhin aufrechtzuerhalten und ein Verbot nicht im Vorhinein auszuschliessen.
Nathalie Reichlin, 10.11.2025
« Ein Kind zu haben, ist ein Privileg und kein Recht »
Als Baby wurde Sarah Ramani Ineichen Opfer von Kinderhandel durch internationale Adoption. Heute setzt sie sich für den Schutz von Adoptivkindern ein. Als Präsidentin des Vereins Back to the Roots unterstützt sie adoptierte Personen bei der Herkunftssuche und war Teil der unabhängigen Experten-Gruppe im Auftrag des Bundes.
Sarah Ramani Ineichen, Sie sind selbst Opfer einer missbräuchlichen Adoption und kennen viele weitere Betroffene. Wie geht man mit diesem Schicksal um ?
Das ist sehr individuell, jede adoptierte Person geht damit anders um. Besonders schwierig ist die Aufarbeitung einer Adoption aber bei Personen, deren Adoption rechtswidrig verlief.
Wenn man herausfindet, dass die eigene Mutter nicht selbst entscheiden durfte, ob sie einen behalten möchte oder nicht. Das ist extrem schwierig und belastet die betroffenen Personen oft ihr ganzes Leben lang.
Für Sie steht im Umgang mit internationaler Adoption der Schutz der Kinder im Vordergrund. Weshalb kann die Schweiz diesen Schutz mit den heutigen Regulierungen nicht gewährleisten ?
Die Schweiz kann gewisse Aspekte des Adoptionsprozesses im Herkunftsland nicht kontrollieren. Beispielsweise, wie die Schwangerschaft entstanden ist, wie es zu der Geburt des Kindes kam oder ob die Mutter eine freiwillige Entscheidung treffen konnte. Einen DNA-Test zur Bestimmung der Mutterschaft macht man zurzeit nicht. Sollten weiterhin internationale Adoptionen durchgeführt werden, nimmt man weiterhin Missbräuche in Kauf.
Durch Auslandsadoption konnten bisher Paare mit einem unerfüllten Kinderwunsch Eltern werden. Verwehrt man diesen Personen mit einem Verbot nicht eine Familie ?
Bei einer Adoption sollte man für ein bedürftiges Kind eine Familie suchen – und nicht umgekehrt. Als Hebamme betreue ich täglich Paare mit Kinderwunsch und werdende Eltern. Deshalb verstehe ich, wie schwierig ein unerfüllter Kinderwunsch sein kann. Aber ein Kind zu haben, ist ein Privileg und kein Recht. Hingegen hat ein Kind ein Recht auf eine Familie, die Bindung zwischen Mutter und Kind und das Recht auf Schutz. Die Vergangenheit zeigte, dass dieser Schutz bei internationalen Adoptionen nicht gewährleistet wurde.
Sehen Sie das Potenzial eines Schwarzmarktes für Kinder bei einem Verbot von Auslandsadoptionen ?
Natürlich können immer illegale Machenschaften entstehen. Aber aktuell haben wir ein Rechtssystem, das illegale Adoptionen akzeptiert oder gar ermöglicht. Das darf nicht passieren, denn internationale Adoptionen sind ein Mechanismus, um Kinder zu schützen.
Interview : Nathalie Reichlin
Die Autorin studiert Kommunikation und Journalismus an der ZHAW in Winterthur.
Kommentare