Ein Porträt über einen israelischen Filmemacher

Am 16. November wird in Romanshorn der Film «Zwei Träume: eine israelisch-palästinensische Dorfgeschichte» gezeigt. In ihm wird ein israelischer Filmemacher porträtiert, der voller Scham entdecken musste, dass sein Heimatort auf den Ruinen eines palästinensischen Dorfes gebaut worden war. Er verarbeitete seine Erfahrungen in einem Dokumentarfilm. Die schon lange geplante Vorführung des Filmes fällt gerade in eine Zeit der Eskalation von Gewalt in und um Israel und erhält dadurch eine traurige Aktualität.

Michael Kaminer lebt in einem Kibbuz, der 1948 auf den Trümmern eines palästinensischen Dorfes errichtet wurde. Auf Anregung einer israelischen HEKS-Partnerorganisation begab er sich auf eine Spurensuche nach der tabuisierten Geschichte seines Kibbuz. Er konfrontierte seine Gemeinschaft mit den Fakten der Vergangenheit und suchte in palästinensischen Flüchtlingscamps nach jenen Menschen, die einst dort lebten, wo heute sein Zuhause ist. Seine persönliche Reise verarbeitete er in einem Film, den er nun an so vielen Orten wie möglich zeigt. Denn er ist überzeugt: Eine Versöhnung zwischen Israelis und Palästinenser*innen wird nur möglich sein, wenn beide Seiten dazu bereit sind, sich mit dem erlebten Leid und auch den Träumen der jeweils anderen Seite auseinanderzusetzen. 

Erste Entdeckung
Michael Kaminer wurde 1964 im Kibbuz Tzor’a geboren. Seine Eltern gehörten nicht zu den Gründern des Kibbuz, sondern zogen erst im Jahr seiner Geburt dorthin. Nach seiner Schulzeit im Kibbuz leistete er vier Jahre Militärdienst, unter anderem auch im Westjordanland. Nach einer Weltreise studierte er Filmwissenschaften in Tel Aviv. Mit Abschluss seines Studiums lernte er seine Frau Tal kennen und kehrte mit ihr in seinen Kibbuz zurück, wo er ein Filmstudio eröffnete. Als er in den Archiven des Kibbuz Tzor’a die Fotografien und verwackelten Filmaufnahmen aus den Gründertagen seines Kibbuz anschaute, schämte er sich. Er schämte sich dafür, dass er mehr als 40 Jahre gebraucht hatte, um zu verstehen, dass sein Kibbuz 1948 auf den Ruinen eines arabischen Dorfes errichtet worden war. Was damals im israelischen Unabhängigkeitskrieg ein hoffnungsvoller Neubeginn für das jüdische Volk war, war für die arabische Bevölkerung eine Katastrophe, die «Nakba». Sie flohen vor den heranrückenden israelischen Truppen, verliessen ihre Häuser und Felder und liessen alles zurück – in der Hoffnung, bald zurückzukehren.  

Eine Spurensuche beginnt
Sar’a hiess das arabische Dorf, auf dem der Kibbuz Tzor’a errichtet worden war. Die Ruinen hatte Michael Kaminer als Kind stets vor Augen, doch erst jetzt wurde ihm klar, dass hier nicht Ali Baba und die 40 Räuber lebten, so wie er sich das in seiner kindlichen Fantasie ausgemalt hatte, sondern dass hier einmal ein ganzes Dorf stand, wo das echte Leben von 400 Menschen stattgefunden hatte. Er fragte sich, wie es sein konnte, dass niemand – weder seine Eltern noch die Lehrer*innen noch die Kibbuz-Gründer*innen – ihm je von dieser Vergangenheit erzählt hatten. Ein Seminar der israelischen HEKS-Partnerorganisation Zochrot gab ihm Mut und gleichsam den letzten Anstoss: Er entschied, sich auf eine Spurensuche nach der Vergangenheit zu begeben und diese Reise filmisch zu dokumentieren. Er wollte mehr wissen, wollte mit den noch lebenden Gründungsmitgliedern von Tzor’a sprechen, wollte mehr über Sar’a erfahren, über seine ehemaligen Bewohner*innen und darüber, wo sie heute leben. Es sollte auch eine persönliche Reise werden, die ihn und seine Ansichten für immer veränderten. 

Ein filmisches Porträt 
Kaminer stellte seinen Film im Jahr 2015 fertig und gab ihm den schlichten Titel «Sar’a». Er zeigt ihn seither an so vielen Orten in Israel wie möglich. Wo auch immer er eingeladen wird, gehen die Emotionen hoch. Manche macht der Film verlegen, viele nachdenklich. Manche reagieren mit Verleugnung, manche mit einem persönlichen Gegenangriff, manche mit Wut. 
HEKS hat Michael Kaminer und seine Arbeit porträtiert im Film «Zwei Träume: eine israelisch-palästinensische Dorfgeschichte». Es ist also ein Film über einen Filmemacher und seine Suche nach der Wahrheit über die Geschichte seines Dorfes. Im Anschluss an die Filmvorführung findet ein Gespräch mit Kerstin Göller, der Verantwortlichen für die Programme Israel/Palästina des Hilfswerks HEKS, statt.

Corina Bosshard, HEKS/Red., 01.11.2023
(Der ganze Artikel ist in Handeln 04/2022 erschienen.)


■ Filmvorführung am 16.11. um 19.30 Uhr im Kino Roxy (Salmsacherstrasse 1, Romanshorn)

Michael Kaminer
Quelle: © Christian Bobst /HEKS
Michael Kaminer besucht manchmal die Ruinen des arabischen Dorfes oberhalb seines Kibbuz.

 

 

 

Archivfoto
Quelle: zVg
Auf den Archivfotos erkannte Michael Kaminer plötzlich, dass die ersten Kibbuz-Gebäude auf den Ruinen des arabischen Dorfes Sar’a errichtet worden waren.

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