Vatikan-Archive zu Pius XII. werden Anfang März geöffnet

Pius XII. war einer der umstrittensten Päpste der Neuzeit. Nicht zuletzt aufgrund seiner fragwürdigen Rolle im 2. Weltkrieg angesichts der NS-Verbrechen. Die Zweifel stehen auch dem Prozess seiner Seligsprechung im Weg, der weiterhin offen ist. Nun gibt der Vatikan am 2. März sämtliche Akten, die das Pontifikat Pius’ XII. betreffen, für die historische Forschung frei. Ob sie tatsächlich Licht ins Dunkel bringen und an der gespaltenen Meinung über den Papst etwas ändern, ist jedoch fraglich.

Von 1939 bis zu seinem Tod im Jahr 1958 war Pius XII. oder mit bürgerlichem Namen Eugenio Pacelli Oberhaupt der katholischen Kirche. Seine Amtszeit im Vatikan fiel somit in die des Zweiten Weltkriegs. Nach dem Krieg kritisierten Historiker und Politikwissenschaftler, Pius XII. habe in der Öffentlichkeit nicht entschieden genug gegen die nationalsozialistische Judenermordung Stellung bezogen und nichts gegen die Räumung des jüdischen Gettos in Rom sowie die Deportation der Bewohner nach Auschwitz im Herbst 1943 unternommen. Seine Verteidiger hingegen sehen bis heute darin eine Vorsichtsmassnahme des Papstes, mit welcher er negative Konsequenzen für Katholiken zu vermeiden versuchte. Ferner argumentieren sie, dass eine lautstarke Kritik vermutlich wirkungslos gewesen wäre und es ihm nur durch seine Zurückhaltung möglich gewesen sei, Tausenden Juden Kirchenasyl zu gewähren.

Die «Stellvertreter-Debatte»

Zur kontroversen Diskussion trug ab 1963 vor allem das Theaterstück «Der Stellvertreter» bei. Es wurde im selben Jahr vom deutschen Schriftsteller Rolf Hochhuth in West-Berlin uraufgeführt und 2002 auch unter dem gleichen Titel verfilmt. Das «christliche Trauerspiel», so der Untertitel der Inszenierung, löste mit seinem direkten Vorwurf des vatikanischen Schweigens zum Holocaust und damit verbunden einer Verinnerlichung des historischen Antijudaismus der Kirche, einen weltweiten Skandal aus. Rolf Hochhuth beruft sich in seinem Stück auf die reale Person Kurt Gerstein, eines Hygienespezialisten der Waffen-SS, der 1942 Augenzeuge der menschlichen Massenvernichtung in Konzentrationslagern durch den Einsatz von Zyklon B wird. In der Folge versucht er vergeblich, den Nuntius davon zu über - zeugen, gegen die Gräuel zu protestieren. Nur wenige Wochen nach der Uraufführung war Hochhuth bereits in eine spektakuläre Auseinandersetzung mit prominenten Katholiken verwickelt, die seitdem nicht mehr abbrach. Genauso wenig wie die Zweifel am Verhalten von Pius XII.

Flucht über die «Klosterroute»

Der Stoff kritisiert ferner, im Film noch deutlicher, ein anderes dunkles Kapitel in der römisch-katholischen Kirchengeschichte: der Nazi-Fluchthilfe nach Übersee, ermöglicht durch kirchliche Würdenträger. Auf der sogenannten «Klosterroute» (später «Rattenlinie» genannt), festgelegt und gepflegt von Geistlichen, gelangten Kriegsverbrecher wie KZ-Arzt Josef Mengele oder Treblinka-Lagerkommandant Franz Stangl über den Brenner durch Südtirol bis nach Rom und von dort weiter über Genua nach Argentinien. Eine der zentralen Figuren im kirchlichen Netzwerk für Fluchthilfe war der österreichische Bischof Alois Hudal, der in der letzten Filmszene zu erkennen ist. Die katholische Kirchenführung fürchtete damals, dass die Kommunisten an die Macht gelangten. Deshalb wollte sie die Deutschen, als starke Front gegen die Bedrohung, schnellstmöglich wieder in ihre Mitte aufnehmen. Doch viele Priester und Bischöfe hatten nicht nur politische Motive für ihr Handeln. Während einige mit den Nazis sympathisierten, standen für andere theologische Argumente wie die Vergebung im Mittelpunkt.

Die Seligsprechung stockt

Ungeachtet der öffentlichen Anklage, wurde 1965, zwei Jahre nachdem «Der Stellvertreter» für Furore sorgte, der Seligsprechungsprozess für Pius XII. eröffnet. Obwohl der Vatikan dem Pacelli-Papst den sogenannten heroischen Tugendgrad schon zugestanden hat, ist das Verfahren weiterhin offen, weil der Nachweis eines Wunders noch nicht erbracht wurde. Die Forderung, die Dokumente des Vatikanischen Geheimarchivs aus den Kriegsjahren zugänglich zu machen, besteht seitens Religionsforschern, katholischer Bischöfe und hochrangiger jüdischer Persönlichkeiten seit langem. Genauso wie der Wunsch einiger Historiker, die Seligsprechung so lange auszusetzen, bis die Unterlagen ausgewertet sind. Wohl auch, um diesen Prozess voranzutreiben, nahm nun im letzten Jahr Papst Franziskus den 80. Jahrestag für die Papstwahl des Italieners Pacelli (2. März 1939) zum Anlass, die Archivöffnung auf den 2. März 2020 anzukündigen. Zeitgleich betonte er die Bereitschaft der katholischen Kirche zur Transparenz.

Neues Wissen?

Doch grundsätzlich neue Perspektiven, wie sich Papst Pius XII. zum Holocaust und zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus verhalten habe, würden sich wohl in den veröffentlichten Dokumenten nicht auftun, erklärte der Papst-Forscher Volker Reinhardt (Professor für Geschichte an der Universität Fribourg) in einem Interview mit der Zeit im letzten Jahr. Dazu seien die Dokumente tatsächlich zu umfangreich und viele Quellen zu wenig aussagekräftig, bezogen auf die drängenden Fragen. Laut dem Historiker bestünde sogar die Gefahr, dass die Figur Pius XII. noch umstrittener werde, als sie es jetzt schon sei, wenn sich die polarisierenden Meinungen der Forscher weiter befeuerten. Letztlich entscheide dann die öffentliche Meinung, wie die Rolle von Pius XII. in der Geschichte künftig bewertet werde. Noch ist das Urteil hierzu nicht endgültig gefällt.

Sarah Stutte (18.2.20) 

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Papst Pius XII. bei seiner Einsetzung 1939.

Bild: © Wikimedia Commons

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