Genügsamkeit als Respekt für das Gemeinwohl

Es brauche neue wirtschaftliche Ansätze und ein verändertes Verhältnis zum Konsum, um die Klimakrise zu bewältigen, sagt der italienische Aktivist Francesco Gesualdi*. 

Die Menschheit steht vor einer ernsten Klimakrise, aber tut sich schwer, auf ein klimafreundlicheres Verhalten umzustellen. Wie können wir die Widerstände in Gesellschaft und Politik überwinden?
Die meisten Menschen tun sich schwer, ihren Lebensstil zu verändern, weil sie sich wegen der sozialen Folgen sorgen. Arbeit ist in unserer Gesellschaft untrennbar mit Konsum verbunden. Das Auto ist für viele zu einem grundlegenden Teil ihrer Existenz geworden. Diese Widerstände können wir überwinden, indem wir zeigen, dass Nachhaltigkeit und Alltagsleben miteinander vereinbar sind. Aber dafür brauchen wir einen anderen ökonomischen Ansatz, der nicht mehr Wachstum um jeden Preis anstrebt.

Der übermässige Konsum verschärft den Klimawandel. Womit bewirken wir am meisten?
Als Erstes müssen wir uns von Unnötigem trennen. Wir müssen Kaputtes reparieren, statt es neu zu kaufen. Wir müssen aufhören, wie besessen der Technologie hinterherzulaufen. Wir müssen Verpackungen reduzieren, recyceln und mehr Gebrauchtwaren verwenden. Wir müssen lernen, möglichst viel selbst zu produzieren und alles zu teilen, was wir können: vom Auto über die Bohrmaschine bis zur Waschmaschine.

Genügsamkeit wird oft mit Verzicht assoziiert. Ist es wirklich einer?
Viele verstehen unter Genügsamkeit eine Rückkehr zur Kerze. Es ist jedoch die Rückgewinnung der Souveränität. Statt sich von der Werbung beeinflussen zu lassen, entscheiden wir selbst, was wir wirklich brauchen. Genügsamkeit bedeutet, ein Gefühl der Sättigung und des Respekts für das Gemeinwohl wiederzuerlangen.

Wir erreichen nur etwas, wenn ganz viele ihren Beitrag leisten. Wie lassen sich genügend Einzelne motivieren, um gemeinsam zu handeln?
Die Klimakrise zeigt klar: Entweder wir retten uns alle oder niemand wird gerettet. Diese kollektive Rettung kann die Motivation sein, uns aus unserer Apathie zu befreien.

Der Slogan der Ökumenischen Kampagne 2024 lautet: «Weniger ist mehr». Stimmen Sie dem zu?
Absolut! Weniger auf der materiellen Ebene bedeutet mehr auf der emotionalen und existenziellen Ebene. Um viel zu kaufen, müssen wir viel arbeiten. Je mehr wir arbeiten, desto weniger Zeit bleibt uns für familiäre Beziehungen, das soziale und politische Leben, unser inneres Wachstum. Für wahres Wohlbefinden braucht es ein Gleichgewicht all dieser menschlichen Dimensionen. Dazu gehört auch Gesundheit, die eine gesunde Umwelt voraussetzt, und Frieden, wofür es Fairness auf allen Ebenen braucht.

Papst Franziskus spricht von integraler Ökologie und ruft zum ökologischen Übergang auf. Wie kann das umgesetzt werden?
Papst Franziskus warnt, die Umweltkrise sei ein Kind des wirtschaftlichen Ansatzes. Wir müssten das Gleichgewicht mit der Natur wiederfinden. Herausfordernd ist, von einer Wirtschaft, die darauf ausgerichtet ist, immer mehr zu produzieren und zu konsumieren, zu einer Wirtschaft überzugehen, die mit Grenzen umzugehen versteht. Der ökologische Übergang ist ein kulturelles, technologisches, soziales, wirtschaftliches, politisches und persönliches Projekt des Wandels, sodass auch bei einer Änderung unseres Ansatzes niemand der Lebenssicherheit beraubt wird. Das erreichen wir, wenn wir uns auf die Werte Respekt, Fairness und Rechte besinnen. Die persönliche Umkehr ist der erste Schritt dafür.

Experten zufolge ist es unerlässlich, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf 1,5°C zu begrenzen. Gelingt uns das?
Leider sitzen die wirtschaftlichen Kräfte, die ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Status quo haben, immer noch fest im Sattel und haben einen starken Einfluss auf die Politik, die sich entsprechend verhält. Trotz entmutigender Signale dürfen wir nicht müde werden, für den Sieg der Gerechtigkeit zu kämpfen. 

Interview: Federica Mauri/Red., 15.02.2024


* Francesco Gesualdi ist Gründer/Koordinator des Centro Nuovo Modello di Sviluppo bei Pisa, eines Dokumentationszentrums, das internationale Ungleichgewichte analysiert, das Verhalten von Unternehmen erforscht und gerechtere und nachhaltigere Wirtschaftsformen untersucht.


Ökumenische Kampagne 2024
Die Ökumenische Kampagne dauert vom 14. Februar bis zum 31. März. Mit dem Slogan «Weniger ist mehr – jeder Beitrag zählt» ermuntern Fastenaktion, HEKS und Partner sein die Menschen in Europa, sich gemeinsam an Projekten in der Umgebung zu beteiligen, um das 1,5-Grad-Ziel noch zu schaffen. 
 

Francesco Gesualdi
Quelle: zVg
Francesco Gesualdi rät, möglichst alles zu recyceln und zu teilen.

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