Mit Kindern theologisieren

Kinder sind von Natur aus neugierig. Sie stellen sich die «grossen Fragen» des Lebens und suchen auf ihre Art plausible Erklärungen. Dem Religionspädagogen Rainer Oberthür ist es ein Herzensanliegen, Kinder dabei zu unterstützen, ihre religiösen Vorstellungen in eigene Worte zu fassen. Wie das gelingen kann und welch anregende Gedanken dabei zu Tage treten, schildert er in einem Seminar, das in Weinfelden und Schaffhausen stattfindet.

«Alles kommt und geht, so wie das Meer. Du, Gott, bist die Welle der Hoffnung, der Trauer und der Freude. Du, Gott, entscheidest, wie die Wellen schlagen, wie die Wellen unserer Herzen schlagen», das schreibt ein 10-jähriges Mädchen zu einem Bild, das ein unruhiges Meer mit Walen darin zeigt und das mit den Worten «Gott, die Quelle des Lebens» überschrieben ist. Rainer Oberthür, Dozent für Religionspädagogik im Bistum Aachen, ist fasziniert davon, welch tiefe Gedanken sich Kinder vom Leben machen. Genau wie die «Grossen» beschäftigen sie schon die «klassischen» religiösen Fragen: die Frage nach dem Anfang der Welt und allen Lebens, nach der eigenen Identität, nach dem Ursprung des Leids, nach dem Tod und nach dem Danach… Darüber zu reden, ist ungewohnt. «Ich möchte Kinder und Jugendlichen Mut machen, das, was sie bewegt, in ihrer eigenen Sprache auszudrücken», sagt Rainer Oberthür. Kinder seien ungehemmter und fantasievoller als Erwachsene, wenn es darum ginge, über religiöse Vorstellungen zu reden. «Und sie bringen es besser auf den Punkt als Erwachsene.» Als Beleg zitiert er die Worte eines Jungen, der zu einem Bild mit einem grossen Fragezeichen schrieb: «Wir wissen nicht wirklich, wer Gott ist. Aber Gott weiss, wer wir sind.»

Jeder Beitrag ist wertvoll

Ähnlich wie beim herkömmlichen Religionsunterricht fliesst auch beim Theologisieren mit Kindern Wissenswertes über den Glauben ein. «Wir bringen die Kinder in Begegnung mit biblischen Texten», so Oberthür, der bis heute Projektunterricht in Primarschulklassen erteilt. Er scheut sich auch nicht davor, auf Fragen von Kindern von seinem eigenen Glauben zu erzählen. Dabei versucht er allerdings so zu antworten, dass die Fragen offen bleiben, dass die Kinder weiterhin nach eigenen Antworten suchen. Entscheidend für einen lebendigen und offenen Austausch in der Klasse ist die Gesprächsatmosphäre. Die Kinder müssen spüren, dass alle geschätzt sind und jeder einzelne Beitrag zählt. Eine weitere wichtige Voraussetzung ist ein sensibler Umgang mit der Sprache. «Wir versuchen, den Kindern deren bildhafte, symbolische Dimension zu erschliessen», erklärt Rainer Oberthür. Es braucht zudem immer wieder konkrete Beispiele, die die Kinder dazu anregen, selbst religiöse Sprechversuche zu wagen: «Von alleine machen sie das nicht.» So zeigt Oberthür seinen Klassen beispielsweise ein Bild von einer durchsichtigen Kugel, das beschrieben ist mit einem paradoxen Satz aus dem Buch der Philosophen: «Gott ist die unendliche Kugel, deren Mittelpunkt überall und deren Umfang nirgends ist.» Ein Anreiz, eigene Bilder für Religiöses zu suchen.

Glauben erleben

Beim Theologisieren mit Kindern werden aus religionspädagogischer Sicht somit drei grundlegende Aspekte unterschieden:

  • 1. Die Theologie der Kinder – die Lehrenden sollen auf die Kinder hören und für ihre Deutungen sensibel sein.
  • 2. Die Theologie für die Kinder – die Lehrenden sollen ihnen eine elementare Theologie anbieten, die offen ist für eine Weiterentwicklung im Jugend- und Erwachsenenalter.
  • 3. Die Theologie mit den Kindern – ein Austausch, bei dem Lehrende und Kinder gleichberechtigt beteiligt sind.

«Als Lehrer habe ich darauf zu achten, dass jeder der drei Pole dann berücksichtigt wird, wenn der Prozess es erfordert», fasst Rainer Oberthür zusammen. Er ist davon überzeugt, dass der Glaube erst dann für das Leben bedeutsam werden kann, wenn er als Erfahrung verankert ist. Angelerntes sei nicht ausreichend, es versickere wieder. Der aktive Austausch mit Gleichaltrigen und mit einer Lehrperson, der man vertraue, ermögliche hingegen solche elementaren Glaubenserfahrungen.

Buch mit Liedern

Im Mittelpunkt des Seminars, das am 30. März in Weinfelden und am 1. April in Schaffhausen stattfindet, steht Oberthürs neuestes Buch «Was glaubst du?». In diesem antwortet er in 20 Briefen auf fiktive, aber authentische Fragen von Kindern. Lieder des Duos Carolin No auf einer beigelegten CD vertiefen die Auseinandersetzung mit diesen Lebensfragen. Einen erlebnisorientierten Zugang zum Buch bieten die Konzertlesungen mit ihm und den Musikern, von denen eine am 20. Juni in Basel stattfindet.

Detlef Kissner (5.3.19)


Weitere Gedanken von Kindern

Zu einem Bild, auf dem ein grosser Mund zu sehen ist, schreibt ein Kind: 
«Gott hat keinen Mund. Er hat eine Herz und eine Seele mit denen er spricht: die innere Stimme.»

Auf einem anderen Bild mit dem Titel «Die Stille in uns», ist ein Junge zu sehen auf einem hohen Stuhl, der nach oben schaut. Ein Junge schreibt dazu: 
«Wir träumen in uns. Gott hat uns die Ruhe gegeben, weil wir sie in uns tragen. Wir fühlen die Liebe, die innere Stille und Ruhe. Wir fühlen deine Stille bei uns.»


Nähere Infos: www.was-glaubst-du.ch/ und www.rainer-oberthuer.de/


 

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Rainer Oberthür: «Kinder sind in der Lage, Tiefsinniges zu äussern.»

 
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Bilder: zVg

 

Buchtipp

In der Serie «Kinder fragen…», die 2017 in forumKirche veröffentlicht wurde, antworteten drei Theologinnen und zwei Theologen auf authentische Fragen von Kindern, die diese im Religionsunterricht oder im familiären Umfeld gestellt hatten. Die Beiträge wurden mit Bildern von Kindern illustriert. Auf Initiative von Daniel Ritter, Leiter der Fachstelle Religionspädagogik der katholischen Landeskirche Thurgau, und Prof. Christian Cebulj entstand daraus ein Buch, das durch religionspädagogischen Tipps ergänzt wurde. 


Hat Gott auch eine Mama?

Mit Kindern über Gott und die Welt reden

Wenn Kinder grosse Fragen nach Gott und der Welt, nach Leben und Tod stellen, wollen wir sie ernst nehmen und mit ihnen nach einleuchtenden Antworten suchen. Das Buch macht Erwachsenen Mut, einfache, aber nicht vereinfachende Antworten zu finden.
Philosophieren mit Kindern ist spannend. Doch bei religiösen Fragen werden wir oft unsicher. Die Zeitschrift forumKirche hat zu 24 Fragen kindergerechte Antworten gesucht und je mit einer Kinderzeichnung unterlegt. Diese werden ergänzt mit einer Einführung zum «Theologisieren mit Kindern» und mit zahlreichen Tipps von Religionspädagogen, wie Bezugspersonen mit Kindern über Gott und die Welt reden können: Wie ich ein philosophisch-theologisches Gespräch mit Kindern führe. Welche Bibelgeschichten sich für Kinder eignen. Rituale, Orte und Zeiten für religiöse Gespräche. Eine Kultur der Spiritualität in der Familie… Jede Kinderfrage ist mit einer Kinderzeichnung illustriert. Ein Buch, das Mut macht, auf grosse Kinderfragen Antworten zu suchen.

Zielgrupppe
Eltern, Grosseltern, Paten, Lehrpersonen, Jugendleiter/-innen; einfach alle, die auf religiöse Fragen von Kindern Antworten suchen.

Herausgeber
Daniel Ritter, Theologe und Religionspädagoge, leitet die Fachstelle Religionspädagogik im Kanton Thurgau. Er ist Vater von zwei Kindern im Schul- bzw. Vorschulalter.
Dr. Christian Cebulj, Professor für Religionspädagogik und Katechetikan der Theologischen Hochschule Chur, Vater von zwei Jugendlichen.

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Bild: zVg

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